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Kanzlerin drängt Koch aus Politik

Von Christine Zeiner

Europaarchiv

Forderung nach Einsparungen bei Bildung als Kriegserklärung an Merkel. | CDU-Mann für polarisierende Äußerungen bekannt. | Koch zeitweise als Merkels Ersatzmann im Gespräch. | Berlin. Das politische Klima wird in Deutschland bald schon besser sein - das glauben jedenfalls die Grünen. Denn einer ihrer größten Feinde verkündete gestern, Dienstag, völlig überraschend seinen Rückzug: Roland Koch legt alle politischen Ämter nieder. | , Schwarzer Sheriff´ steht in den Startlöchern


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Der 52-Jährige will nur noch wenige Wochen lang stellvertretender CDU-Chef im Bund sowie Ministerpräsident Hessens und CDU-Vorsitzender im Land sein. Damit verlasse ein "rechter Hardliner" die CDU, sagte der Geschäftsführer der Grünen Bundestagsfraktion, Volker Beck.

Koch hatte seinen Rückzug lange geplant, er hat seine Familie informiert und freilich auch seine Chefin, Kanzlerin Angela Merkel. Der Zeitpunkt allerdings ist dennoch bemerkenswert. Denn die Koalition in Berlin hat schon bessere Tage gesehen, und erst vor kurzem hatte sich Koch erneut mit Angela Merkel angelegt. Der Ministerpräsident schlug vor, ausgerechnet bei Kinderbetreuungsplätzen und Bildungsausgaben zu sparen. Die Kanzlerin ließ keinen Zweifel daran, dass sie das als Kriegserklärung verstehe. In Interviews machte sie klar, dass sie nichts von Kochs Ideen halte, zuletzt verdeutlichte sie, dass Koch in der Bundes-CDU isoliert sei. Den Rücktritt nahm Merkel dann aber "mit Respekt, aber auch großem Bedauern" zur Kenntnis. "Wir werden auch in Zukunft fest auf seinen Rat bauen."

Mit Koch verlieren die Konservativen einen Politiker, der polarisierte wie kaum ein anderer. "Egal, wie man zu Koch steht - er hatte eigenständige Positionen, er gehörte nicht zu den Ja-Sagern", befand die Vorsitzende der Linkspartei, Gesine Lötzsch. Koch habe stets eine "eigene Facette" eingebracht, auch wenn sie selbst mit ihm inhaltlich weit auseinander liege.

Das äußerte sich etwa Anfang des Jahres in den Aussagen über Langzeitarbeitslosigkeit. "In Deutschland gibt es Leistungen für jeden, notfalls lebenslang. Deshalb müssen wir Instrumente einsetzen, damit niemand das Leben von Hartz IV als angenehme Variante ansieht", hatte Koch da zur "Wirtschaftswoche" gesagt. Auch "niederwertige Arbeit" sei als Gegenleistung durchaus angebracht. Seine Äußerungen brachten ihm nicht nur Kritik von der linken Seite. Neben der Arbeitsministerin (CDU) wollte vor allem die Kanzlerin von einer härteren Gangart nichts wissen.

Radikale Rhetorik

Zu Angela Merkel verband Koch jahrelang ein ambivalentes Verhältnis. Gemeinsam mit anderen CDU-Mitgliedern hatte er etwa die Kanzlerkandidatur der Parteivorsitzenden 2002 verhindert. Drei Jahre später allerdings zeigte er sich loyal Merkel gegenüber, die schließlich nach haarscharfem Wahlausgang Kanzlerin wurde. Koch war immer wieder als Ersatzmann Merkels im Gespräch, bei Postenpokern fehlte sein Name nicht -- zuletzt, als es dem deutschen Finanzminister gesundheitlich wieder einmal schlecht ging. Doch Koch blieb in Hessen.

Seit 1999 war er dort Ministerpräsident, die Art und Weise, wie er die Wahl für sich gewann, ist heute noch Thema in der deutschen Innenpolitik: Im Bund wollte zu dieser Zeit Rot-Grün die doppelte Staatsbürgerschaft einführen. Koch sammelte Unterschriften dagegen, es brachte ihm dem Ruf der Ausländerfeindlichkeit, der neun Jahre später erneut lautstark erklang: Wieder im Wahlkampf, nahm er einen Überfall ausländischer Jugendlicher zum Anlass, in der "Bild"-Zeitung schärfere Gesetze zu fordern. Junge ausländische Straftäter sollten schnell abgeschoben werden können. Wieder einmal wurde Kochs Rücktritt gefordert.

Eine der lautesten Aufforderungen war freilich im Zuge der CDU-Spendenaffäre gekommen. "Ich bin fest davon überzeugt, dass es für die Generation, der ich angehöre, in der Politik der Union nur eine Chance gibt. Diese Chance ist, unverzüglich dafür zu sorgen, dass alles bekannt wird, alles, schonungslos und gelegentlich auch brutal", hatte Koch vor zehn Jahren erklärt. Er wisse nichts von illegalen Parteispenden und schwarzen Kassen. Koch sprach stattdessen von einem "Darlehen" - eine Lüge, wie er später gestand.

Koch nimmt Urlaub

Erst im Jahr 2008 wackelte so richtig sein Sessel. Die SPD wollte mit den Grünen regieren, brauchte dafür aber die Linkspartei - und gegen diese Variante sträubten sich vier Sozialdemokraten offen. Koch blieb geschäftsführender Ministerpräsident und gewann anschließend die Neuwahlen. "Politik ist nicht mein Leben", erklärte er nun am Dienstag in Wiesbaden, und dass er sich ein paar Monate Zeit nehmen wolle zum "Durchatmen".

Er habe einige Vorstellungen, aber noch keine konkreten Pläne, sagte der Jurist, der als Rechtsanwalt früher auf Wirtschaftsrecht spezialisiert war. "Sie werden mich noch eine ganz lange Zeit nicht auf der Pensionsliste des Landes Hessen finden", verkündete Koch.

"Die Union verliert einen in der Tat überragenden Politiker, überragend in dem Sinne: Er denkt schneller als andere, er formuliert präziser als andere, er ist unbequemer als andere, er hat nie davor zurückgescheut zu polarisieren, hat auf diese Weise manche programmatische Entscheidung klarer gemacht", analysierte der renommierte Politologe Jürgen Falter von der Uni Mainz im "Deutschlandfunk". "Er konnte, sagen wir einmal, selbst den politischen Gegner bis zur Weißglut reizende gute Reden halten. Das verliert die Union. Sie verliert einfach ein bisschen Profil."