Kanzler Kurz fordert ausgerechnet von seinem politischen Hauptgegner die Stützung seiner Minderheitsregierung.
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Wien. Vor dem Bundeskanzleramt sind noch Absperrgitter aufgestellt. Einige Kamerateams stehen diesseits, ein paar Schaulustige jenseits davon. Viele sind es nicht, auch ein paar Touristen verharren kurz: eine Regierungskrise als Sehenswürdigkeit. Vom Heldenplatz wabert der Sound der Demonstration von Schülern gegen den Klimawandel herüber, sie haben sich wie jeden Freitag zwischen Hofburg und den Ausweichquartieren des Parlaments versammelt. Vor wenigen Wochen wurde hier auch die Ausstellung "Bewegende Momente" eröffnet, es sind Säulen mit Fotos aus den Wendejahren 1989, vom "Ende der Teilung Europas".
Einem Vergleich mit jenen dramatischen Ereignissen hält die gegenwärtige Lage der Republik natürlich nicht stand, politisch bewegende Zeiten erlebt Österreich aber zweifellos. Am Montag muss sich erstmals ein Bundeskanzler einem Misstrauensvotum stellen und könnte gestürzt werden.
Bei Ministern gab es solche Misstrauensvoten mehrfach, in dieser Legislaturperiode siebenmal. Insgesamt wurde ein solches Votum 185 Mal in der Zweiten Republik probiert, doch 185 Mal ist nichts passiert. Diesmal ist es anders. Die Regierung hat durch die Koalitionsauflösung nicht nur ihre Mehrheit im Nationalrat verloren, es ist tatsächlich auch das Misstrauen groß. Bei allen.
Neos und die Liste Jetzt kritisierten den Kanzler für sein ostenatives Wegschauen, Wegreden oder gar Schweigen zu den vielen "Einzelfällen" der FPÖ - 66 solcher Einzelfälle zählte etwa Peter Pilz. Und zudem fühlen sich auch diese beiden Parteien von Kurz nicht gerade umfassend eingebunden. Die Neos wollen dennoch nicht bei dem Antrag mitstimmen. Alles steht und fällt aber ohnehin nur mit FPÖ und SPÖ. Beide Parteien werden am Montag in der Klubsitzung darüber entscheiden.
Die FPÖ hegt Sympathien für den Antrag, sie wirft Kurz den voreiligen Gang in Neuwahlen und die Entlassung von Innenminister Herbert Kickl vor. Und zwischen SPÖ und Kurz hat das Misstrauen ohnehin fast biblische Ausmaße angenommen. So gesehen wäre eigentlich alles andere als ein Mitgehen dieser beiden Parteien völlig unlogisch. Doch bei derartigen Abstimmungen geht es eben nicht wirklich um die Frage von Vertrauen oder Misstrauen.
SPÖ will Kurz Misstrauen aussprechen
Anfangs wohl von der Einzigartigkeit der Situation beeindruckt, dürfte bei der SPÖ zuletzt das Pendel doch immer weiter Richtung Zustimmung ausschlagen. Sogar Altkanzler Franz Vranitzky, der nicht gerade im Verdacht steht, ein staatspolitischer Hasardeur zu sein, hat sich via "Tiroler Tageszeitung" recht eindeutig positioniert. Und am Freitag folgten auch die drei roten Landeshauptleute, Hans Peter Doskozil, Peter Kaiser und Michael Ludwig dieser Sichtweise. "Der Bundeskanzler braucht im Nationalrat eine Mehrheit, und seine Aussagen waren nicht überzeugend", sagte Wiens Bürgermeister Michael Ludwig. Und Kaiser ergänzte, dass schon "sehr Überraschendes, passieren müsse", damit Kurz doch noch das Vertrauen der SPÖ gewinne.
Freilich, niemand bei den Roten stellt konkrete Forderungen und erklärt, was genau der Bundeskanzler tun müsse, um ein SPÖ-Votum gegen ihn doch noch zu verhindern. "Wir sind jedenfalls nicht seine Erfüllungsgehilfen", sagte Ludwig, der dem Kanzler - nicht als Einziger - vorwarf, bereits in den Wahlkampfmodus geschalten zu haben. Auch die Neos kritisierten tags davor die "Selbstbeweihräucherung" Kurz’.
Es ist jedenfalls eine sehr bemerkenswerte Volte der jüngeren politischen Geschichte, dass Sebastian Kurz’ Kanzlerschaft nun ausgerechnet an einem seidenen, roten Faden hängt; einer Kanzlerschaft, die er nicht zuletzt der scharfen Abgrenzung zur großen Koalition und damit zur SPÖ verdankt, erst mittendrin als ihr Störsignal und schließlich Sprengmeister, danach als klarer Gegner einer Fortsetzung dieser Koalition. Und die SPÖ blieb auch der politische Hauptgegner von Türkis.
Der Reiz, den türkisen Kanzler im Amt zu belassen, seine Alleinregierung mitzutragen, ist für die SPÖ enden wollend. Auch wenn Kurz angekündigt hat, keine Gesetze mehr einbringen zu wollen, kann er als Kanzler durch die Welt reisen und wichtige Hände schütteln, die ÖVP könnte in den Ministerien auf wichtige Ressourcen zurückgreifen, die im Wahlkampf wichtig sind - noch dazu auf Steuerkosten. Ein Kanzler Kurz erhält wohl auch leichter Fernsehminuten als nur ein Parteichef Kurz. Das sind alles Gründe, weshalb die SPÖ am Montag zustimmen könnte. Zumal sie damit rechnen muss, dass sich Kurz nach der Wahl nicht ihr zuwenden wird.
Warnungen aus den Ländern
Genau hier setzt auch der Druck der ÖVP an, die eine tatsächliche Absetzung des Kanzlers zur Staatskrise erklärt. "Die Krise der FPÖ darf nicht zur Krise der gesamten Republik werden", sagte Tirols Günther Platter nach einem Treffen aller Landeshauptleute mit dem Kanzler. "Es geht hier um das Staatsganze", ergänzte Markus Wallner, Landeschef aus Vorarlberg. Salzburgs Wilfried Haslauer warnte: "Wenn das durchgeht, herrscht ein Jahr Stillstand."
Worin die mögliche Staatskrise genau bestehe oder warum ausgerechnet bei einem Sturz von Kurz das Land in einen einjährigen Stillstand versinken müsse, konnten die schwarzen Landeshauptleute ebenso wenig schlüssig erklären wie die roten, welche konkreten Schritte Kurz nun setzen müsse, um das Vertrauen der SPÖ zu bekommen. Der Verdacht liegt hier wie dort nahe, dass es eher vorgeschobene Argumente sind.
Fakt ist, dass eine Situation wie derzeit in Österreich zwar auch international nicht alltäglich, jedoch durchaus bekannt ist. In Spanien ist Premier Mariano Rajoy im Vorjahr durch ein Misstrauensvotum gegangen worden, sein portugiesischer Kollege Pedro Passos Coelho musste sich 2015 einem solchen Votum beugen. Diese Möglichkeit des Nationalrats wurde einst auch in der Bundesverfassung (Artikel 74) explizit hineingeschrieben - wohl aus begründeten Überlegungen. Es ist in dieser auch festgelegt, wie es in diesem Fall weitergeht. So oder so wird Österreich einen neuen interimistischen Kanzler bis zur Wahl erhalten. Das könnte - theoretisch - sogar Kurz sein, realistischer ist eine andere Person. Etwa Vizekanzler Hartwig Löger?
Das wäre wiederum für die ÖVP nicht sehr attraktiv. Für sie geht es nur um Kurz, und wenn diesen die SPÖ aus der Kanzlerrolle schießt, dann "gibt’s Kampf", sagt ein ÖVP-Landespolitiker. Dann könnte es auch zu einem Komplettrückzug der Regierung kommen, doch auch das hätte einen Nachteil: Dann ginge nämlich auch der Schwarze Peter im Staatskrisen-Quartett an die Volkspartei. Sie hätte dann ja eine unsicherere politische Situation als notwendig geschaffen. Ein Dilemma.
Die SPÖ überlegt aber ohnehin, ob sie am Montag nicht einen eigenen Misstrauensantrag gegen die gesamte Regierung einbringen soll. Auch Ludwig sprach sich für eine komplette Expertenregierung aus. Das wiederum will die Liste Jetzt nicht. Denkbar daher, dass zwei Anträge eingebracht werden - und keiner der beiden eine Mehrheit findet. Dann hätte eine Mehrheit im Nationalrat Kurz zwar ihr Misstrauen ausgesprochen, aber nicht gleichzeitig. Und auch beim 186. Mal wäre nichts passiert.