Ökonom Gabriel Zucman fordert ein internationales Finanzregister und Sanktionen für Steuer-Schurkenstaaten.
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Wien. 5,8 Billionen Euro liegen weltweit in sogenannten Steueroasen. In Hundert-Euro-Scheinen sind das 59,16 Millionen Tonnen Geld und mehr als das Tausendfache des österreichischen Bruttoinlandsprodukts. Nur 1,1 Billionen davon sind steuerrechtlich deklariert. Der französische Ökonom Gabriel Zucman (28) hat internationale Kapitalströme ausgewertet und versucht, so Steuerhinterziehung sichtbar zu machen. Eigentlich ist die Rechnung simpel: Die Kapitalausfuhr und die Kapitaleinfuhr aller Länder müssten genau gleich groß sein. 100 Euro verlassen ein Bankkonto und tauchen in gleicher Höhe woanders wieder auf.
In den Berechnungen klafft allerdings eine milliardenschwere Lücke. Bei der Ein- und Ausfuhr von Kapital verschwindet Geld. In seinem Buch "Steueroasen" rechnet Zucman vor, dass den Staaten weltweit jährlich 200 Milliarden Dollar, das sind 176,76 Milliarden Euro, an Steuereinnahmen auf Kapitalerträge und Erbschaften entgeht. Allein in Europa sollen es jährlich 66,16 Milliarden Euro sein (siehe Grafik).
Wie viel Steuergeld tatsächlich hinterzogen wird, sei schwer zu berechnen, weil die Datenlage in den unterschiedlichen Ländern auch unterschiedlich ausgiebig sei. "Es war sehr schwierig, Daten aus Österreich zu bekommen", sagt Zucman, also könne er auch den Steuerentgang hierzulande nicht beziffern. Deutschland entgingen jedenfalls 30 Milliarden Euro jährlich.
Offshore-Tricks mit Lizenzen
"Diese Lücke zu schließen, sollte die wichtigste Priorität der Politik sein", sagt der Forscher am Freitag vor Journalisten. Er bindet seine akribisch genau aufbereiteten Daten an politische Forderungen wie Verteilungsgerechtigkeit und Strafen für Steuersünder. Ganz wie sein Doktorvater Thomas Piketty - dem Marx des 21. Jahrhunderts mit französischem Akzent. "Bis 2016 wird ein Prozent der Weltbevölkerung über die Hälfte des Reichtums verfügen", sagt Zucman im Rahmen seiner Buchvorstellung in Wien.
Zucman prangert auch das Vorgehen multinationaler Konzerne wie Google und Amazone an. Diese würden jährlich 120 Milliarden Dollar an Gewinnsteuern sparen, indem sie Gewinne in Offshore-Steueroasen verschieben. Starbucks hat beispielsweise 2013 in Österreich 1311 Euro an Steuern gezahlt - bei einem Umsatz von elf Millionen.
Das Muster ist dabei fast immer das gleiche: Die Tochtergesellschaft in Österreich bezahlt Gebühren an eine Tochterfirma in einer Steueroase, wo es praktisch keine Gewinnsteuern gibt. Die Höhe dieser Zahlungen, meist auf nicht-materielle Güter wie Franchise- oder Lizenzgebühren, ist so festgelegt, dass sie die Gewinne und damit die Steuerlast hierzulande beträchtlich schmälert.
US-Konzerne generieren 35 Prozent ihrer Gewinne im Ausland. Zucmans Untersuchungen zeigen, dass 50 Prozent dieser Gewinne in steuerschonende Länder wie Luxemburg, Singapur oder der Schweiz deklariert wurden. Das geschieht oft mithilfe von internationalen Steuerberatungskanzleien, die gezielt nach Lücken in den unterschiedlichen nationalen Steuersystemen suchen.
Auch wenn diese Praktiken aus moralischer Sicht fragwürdig erscheinen, illegal sind sie keinesfalls. "Der beste Weg, dieses Verhalten zu ändern, ist, die nationalen Steuergesetze zu ändern", sagt Zucman. In Österreich werden beispielsweise seit 2014 keine Lizenzzahlungen von internationalen Unternehmen akzeptiert, die in Staaten mit einer Gewinnsteuer von unter zehn Prozent fließen. Die Abschaffung des Bankgeheimnisses und der automatische Informationsaustausch in der EU seien ein wichtiger Schritt in Richtung Transparenz, aber noch nicht genug. "Man kann nicht darauf vertrauen, dass Banken einfach so Informationen über ihre Kunden einschicken. Sie haben jahrzehntelang ihren Kunden geholfen, Geld zu verstecken und haben dabei sehr gut verdient", sagt er.
Internationales Finanzregister
Deshalb sollte es empfindliche Strafen bei Nicht-Kooperation geben; ähnlich wie in den USA, die Schweizer Banken mit Strafzahlungen belegt haben, als sich diese weigerten, steuerrelevante Kundendaten herauszugeben. Zucman prangert auch Staaten an, die mit extremen Steuererleichterungen und Deals, wie etwa Luxemburg, andere Staaten auf diese Weise um ihre Steuern bringen. Deshalb fordert er Sanktionen und Embargos für Länder, die sich weigern, in Steuerfragen zu kooperieren.
Die Transparenz über vorhandenes Vermögen müsse erhöht werden. Deshalb plädiert Zucman für ein internationales Register für Finanzvermögen. "In jedem Land gibt es eine Institution, die darüber Buch führt, wem welche elektronischen Wertpapiere gehören", sagt er. In einem ersten Schritt könne man das auf EU-Ebene rasch umsetzen. Das Register könne man auch bei den Verhandlungen zum Freihandelsabkommen mit den Vereinigten Staaten thematisieren. Genau wie Piketty fordert auch er Vermögenssteuern, die mithilfe einer solchen Datenbank leichter eingehoben würden.
Zucman spricht sich dafür aus, Gewinne dort zu besteuern, wo sie auch generiert wurden. "Man kann Kapital oder Firmensitze verschieben, aber nicht Kunden." Er fordert deshalb eine globale Steuer, die sich an den Profit und nicht an den Firmensitz orientiert. Diese wird dann, je nachdem wie viel ein Konzern in welchem Land verdient hat, eingehoben.
Österreich, das sich gemeinsam mit Luxemburg bis zuletzt gegen die Aufhebung des Bankgeheimnisses gewehrt hat, hält Zucman übrigens für keine Steueroase. Laut Nationalbank hätten Ausländer etwa 30 Milliarden Euro auf österreichischen Bankkonten geparkt. "Das ist ein Zehntel des Offshore-Vermögens Luxemburgs. Ich verstehe nicht, warum Österreich Luxemburg hier so lange unterstützt hat", sagt er.
Buchtipp
Gabriel Zucman, französischer Ökonom und Lehrender an der London School of Economics. "Steueroasen: Wo der Wohlstand der Nationen versteckt wird", Suhrkamp, 14 Euro.