Zum Hauptinhalt springen

Kapitalistischer Bock

Von Reinhard Göweil

Leitartikel
Chefredakteur Reinhard Göweil.

Hinweis: Der Inhalt dieser Seite wurde vor 9 Jahren in der Wiener Zeitung veröffentlicht. Hier geht's zu unseren neuen Inhalten.

Die Weltbörsen fallen seit einer Woche, der Ölpreis und andere Rohstoffwerte ebenso. Binnen weniger Tage wurde ein Milliardenbetrag vernichtet, in welchem wohl ein griechisches Hilfspaket Platz gehabt hätte. Der Weltwirtschaft droht eine neue Krise, diesmal geht sie nicht von den Industriestaaten aus, sondern von großen Schwellenländern wie China, Brasilien, Russland. Die Leidtragenden dieser Entwicklung werden, das lässt sich heute schon ohne Gefahr vorhersagen, Arbeiter und Kleinunternehmer sein. Die einen werden arbeitslos, die anderen verlieren ihre geschäftliche Existenz.

Der Kapitalismus ist wieder auf Vernichtung aus, und der Satz hat wenig mit Klassenkampf zu tun. Die Finanzkrise 2008 wurde von einer entwickelten Finanzindustrie ausgelöst, die ihre eigenen Produkte nicht mehr verstand. Die aktuelle Entwicklung geht tiefer, sie betrifft die reale Wirtschaft. Denn in diesen großen Schwellenländern wurde dereguliert, was das Zeug hält. Wenige wurden sehr schnell sehr reich, und viele wollten es ihnen gleichtun. In China entstand eine ungeheure Blase. In Brasilien bedienten sich korrupte Eliten am neuen Wohlstand. Und Russland ruhte sich auf einem (marktgetriebenen) Ölpreis von 100 Dollar je Barrel aus. Aktuell liegt der US-Preis bei 40 Dollar.

Nun kommt das böse Erwachen, die Welt hat einen kapitalistischen Bock geschossen. Anstatt auf Nachhaltigkeit zu setzen und den Wohlstand einigermaßen fair zu verteilen, wurde spekuliert. Anstatt die Gewinne dazu einzusetzen, Bildungssysteme zu verbessern, Sozialsysteme aufzubauen und für ein wenig Gleichheit zu sorgen, wurde das Geld von vergleichsweise wenigen konsumiert. Yachtwerften und Luxusgüterkonzerne lebten ganz gut in den vergangenen Jahren. In einer funktionierenden sozialen Marktwirtschaft sind dies die letzten Branchen, die von höherem Wohlstand profitieren sollten.

Derzeit schaut die Welt recht fassungslos zu, wie ein Teil ihren Wohlstandes wieder verschwindet, weil er auf Erwartungen aufgebaut war, die der Realität widersprachen. Wenn Griechenlands Regierungschef Tsipras davon sprach, dass wir unser Wirtschaftssystem verändern müssen, dann hatte er recht. Das war in der EU und im Währungsfonds den meisten egal, jetzt wird - von ganz anderer Seite - die Rechnung präsentiert. Und es ist wie 2008: Am Ende zahlen die Steuerzahler.