Er ist ein absoluter Neuling auf der europäischen Bühne. Doch vier Monate nach seinem Debüt als Bargeld kann der Euro schon mit einer europäischen Auszeichnung glänzen, die vor ihm Staatsmänner und gekrönte Häupter erhielten. Am gestrigen "Europa-Tag" wurde der Euro in Aachen mit dem Internationalen Karlspreis der deutschen Stadt ausgezeichnet. Stellvertretend entgegengenommen hat die Würdigung der Präsident der Europäischen Zentralbank, Wim Duisenberg.
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"Wie kein anderer Integrationsschritt zuvor wird die neue Währung, der Euro, die Identifikation mit Europa fördern", stellt das Karlspreis-Direktorium in seiner Begründung zur Wahl fest. In der Liste der 43 Karlspreis-Träger nimmt der Euro in zweifacher Hinsicht eine Sonderrolle ein. Zum einen erhält erstmals eine Sache den Karlspreis. Zum anderen werden Vorschusslorbeeren vergeben. Bisher wurden rückblickend Verdienste der Vergangenheit gewürdigt.
Der Präsident der Europäischen Zentralbank (EZB), Wim Duisenberg, hat stellvertretend für den Euro Urkunde, Medaille und Preisgeld (5.000 Euro) überreicht bekommen. Auf das traditionelle "Bad in der Menge" kann der neue Preisträger allerdings verzichten. Kein Vorgänger hat sich jemals schon vor der Verleihung so unters Volk gemischt wie der Euro.
300 Millionen Bürger in "Euroland" tragen die neue Währung in den Taschen. Politiker und Finanzlenker werten den reibungslosen Übergang ins Euro-Zeitalter als Erfolg. "Die Begeisterung der Bürger im Euro-Gebiet für das neue Bargeld kann als klare Abstimmung für ein vereintes Europa gewertet werden", so EZB-Präsident Duisenberg. Auch Historiker wie der Aachener Professor Max Kerner attestieren dem neuen Geld: "Da wächst auf eine lautlose Weise Gemeinsamkeit."
Doch Volkes Stimme schlägt auch andere Töne an. In Deutschland etwa mischen sich in die "Europhorie" der Premierenzeit längst Nachdenklichkeit und Kritik. Viele Verbraucher fühlen sich angesichts der neuen Preise betrogen. Sie argwöhnen: Die Umstellung von Mark auf Euro erfolgte nicht 1,95:1, sondern 1:1 - vieles sei jetzt teurer. Der deutsche Einzelhandel klagt über massive Umsatzrückgänge und rechnet mit 15.000 Geschäftsaufgaben in diesem Jahr. "Die Lage ist alarmierend", prophezeien Pessimisten.
Während das neue Geld anfangs - ähnlich wie im Urlaub - locker in der Tasche saß, so drehen viele Deutsche inzwischen angeblich jeden Cent um. Hartnäckig hält sich der Slogan "Euro ist Teuro", und das nicht nur in Deutschland. Nicht wenige trauern ihren früheren Gehaltsabrechnungen mit den vergleichsweise üppigen Mark-Beträgen nach. Wissenschaftler sprechen vom Wechsel einer Liebes- zu einer Zwangsbeziehung. Psychologen ziehen Vergleiche zu Partnerschaften: Die Mark sei eine "Traumpartnerin" gewesen, der Euro dagegen sei eine "unberechenbare Gefährtin" - ergab eine Studie eines Kölner Marktforschungsinstitutes. Mehr noch: Alles deute auf ein Beziehungsdrama hin. Deutsche Forscher sind sich einig: Noch wird Trauerarbeit für die Mark geleistet. Für viele Deutsche sei die alte Währung das Symbol einer Schlaraffenland-Zeit mit dem eigenen kleinen Häuschen gewesen. Dagegen verkörpere der Euro den Aufbruch in eine ungewisse Zukunft.