Zum Hauptinhalt springen

Karlsruhe vs. ESM-Schirm - 1:0 fürs nationale Parlament

Von Konstanze Walther

Wirtschaft

Deutsches Verfassungsgericht sieht Informationspflichten bei ESM-Vertrag.


Hinweis: Der Inhalt dieser Seite wurde vor 12 Jahren in der Wiener Zeitung veröffentlicht. Hier geht's zu unseren neuen Inhalten.

Ein Sieg für die deutschen Grünen, ein Sieg für mehr Demokratie und eine Absage an all jene, die gehofft hatten, dass Entscheidungen in der Eurozone künftig schneller getroffen werden - und die Währungsunion rascher reagieren kann.

Das deutsche Verfassungsgericht hat die Mitspracherechte des Bundestags in Fragen der weiteren europäischen Integration erneut gestärkt. Laut einem am Dienstag in Karlsruhe verkündeten Urteil muss die deutsche Bundesregierung das Parlament künftig so früh wie möglich über internationale Verhandlungen wie etwa zum Euro-Rettungsschirm ESM informieren und dem Bundestag eine Mitwirkung daran ermöglichen. Zur Begründung hieß es, die stärkere Einbindung des Parlaments in solche Verträge diene als Ausgleich für die Verschiebung von Kompetenzen zugunsten der Europäischen Union.

Die deutschen Grünen hatten voriges Jahr beim Verfassungsgericht in Karlsruhe geklagt, weil sie sich zu wenig über die Verhandlungen zum ESM-Schirm informiert fühlten. Sie verwiesen auf das Grundgesetz, das ihnen Mitgestaltung bei EU-Angelegenheiten einräume.

Die deutsche Bundesregierung beharrte darauf, dass der ESM ein völkerrechtlicher Vertrag sei, der zwischen souveränen Staaten abgeschlossen werde - der ESM sei also kein EU-Recht (folglich brauche es die Einbindung der nationalen Parlamente nicht).

Der Vertrag zum dauerhaften Euro-Rettungsschirm ESM ist im Februar 2011 von den Euro-Staaten vereinbart und bereits einen Monat später beschlossen worden, ohne dass der Bundestag daran mitwirken konnte. Deutschland muss an den ESM heuer Bareinlagen in Höhe von 8,7 Milliarden Euro entrichten. Bundestag und Bundesrat können dem Vertragswerk nur noch zustimmen, Änderungen daran sind ihnen nicht möglich.

"Spannender wird, wie man mit dem Fiskalpakt umgehen wird", meint Franz Leidenmühler, Vorstand des Europarechtsinstituts der Linzer Johannes-Kepler-Universität. Denn der dauerhafte Euro-Rettungsschirm ESM und die Pflicht zur Schuldenbremse - der Fiskalpakt - sind rechtlich bis jetzt genau gleich ausgestaltet: als völkerrechtliche Verträge.

Einige Juristen halten das aber für eine Mogelpackung - ein EU-Vertrag, der so tut, als wäre er ein völkerrechtlicher Vertrag. Diese Mogelpackung hat natürlich ihre Vorteile: Transnational ist schneller eine Einigung zu erzielen. Die Informationspflichten fallen quasi weg (die österreichische Bundesverfassung normiert in Artikel 23e eine unverzügliche Informationspflicht gegenüber dem nationalen Parlament über alle Vorhaben der EU; in Deutschland findet sich diese Pflicht in Artikel 23 des Grundgesetzes).

Auch bei der Ratifizierung des neuen Vertragswerkes macht es einen großen Unterschied, ob das EU-Mascherl daran hängt oder es nur ein herkömmlicher völkerrechtlicher Vertrag ist. Bei Letzterem würde in Österreich etwa eine einfache Mehrheit im Nationalrat genügen. Ein Vertrag, der Grundlagen der EU ändert, braucht in Österreich hingegen eine Zweidrittelmehrheit. So wie es nach Ansicht von Leidenmühler der Fiskalpakt brauchen wird. Ein Vertrag, der nach Europarecht schmeckt, nach Europarecht riecht - und daher wohl faktisch ein europarechtlicher Vertrag ist. Auch wenn der Fiskalpakt auch formal so tut, als wäre es reines Völkerrecht. Doch der Fiskalpakt nimmt inhaltlich Bezug auf die Europäische Kommission (bekanntlich ein Organ der EU) und versieht sie mit Aufgaben (Kontrolle). Bei den Durchführungsbestimmungen wird ebenso auf sekundäres EU-Recht verwiesen, und der Pakt soll auch früher oder später in - formales - EU-Recht überführt werden.

Diesen rechtlichen Wildwuchs - also neuartige EU-Verträge - wird es künftig immer häufiger geben, fürchtet Leidenmühler. Es komme immer mehr zu einer Zerfransung.

Die deutsche Bundesregierung sieht durch das jüngste Urteil des Verfassungsgerichts internationale Verhandlungen erschwert. "Die Regierung muss handlungsfähig bleiben im internationalen Bereich. Die Geheimhaltung wird schwerer", hieß es am Dienstag nach der Urteilsverkündung in Karlsruhe.

Ad hoc wird sich nichts ändern am Fahrplan der deutschen Regierung zur Ratifizierung von ESM und Fiskalpakt. Doch künftig wird Berlin noch vorsichtiger auf EU-Ebene agieren.