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Karmasins tätige Reue

Von Patrick Krammer

Politik

Der Richter sah schweren Betrug bewiesen und sprach die ehemalige Ministerin trotzdem frei. Was ist tätige Reue?


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Der schwere Betrug sei "eindeutig dokumentiert" und damit klar erwiesen, meinte Richter Patrick Aulebauer. In seiner 16-jährigen Karriere sei ein Fall noch nie so gut dokumentiert gewesen wie hier. Und trotzdem sprach er Sophie Karmasin frei. Die frühere Ministerin hatte sich nach ihrem Rückzug aus der Politik ihr Entgelt noch weiter auszahlen lassen, obwohl sie darauf keinen Anspruch hatte. Und das wusste sie, fragte sie beim Bundeskanzleramt doch nach, ob sie neben der Entgeltfortzahlung etwas dazuverdienen dürfe. Die Antwort: Nein. Zwei Wochen später tat sie es trotzdem. Daraus ergibt sich für den Richter in seiner mündlichen Urteilsbegründung, dass Karmasin "mit voller Absicht und wissentlich den Betrug begangen" hatte. Damit hätte ihr mit großer Wahrscheinlichkeit eine unbedingte Haftstrafe geblüht, immerhin lag der Schaden bei fast 80.000 Euro.

Problem der Abwägung

Schlussendlich wurde Karmasin wegen tätiger Reue freigesprochen. Kurz erklärt bedeutet das: Sie machte den entstandenen Schaden wieder gut, noch bevor eine Strafverfolgungsbehörde aktiv wurde. Um sich für tätige Reue zu qualifizieren, muss der Schaden nur rechtzeitig, vollständig und freiwillig wieder gut gemacht werden. Dann gibt es Straffreiheit. Wobei der letzte Punkt sehr weit ausgelegt wird. "Selbst wenn man mit bevorstehenden Ermittlungen rechnen muss, ist eine Schadenswiedergutmachung noch rechtzeitig, meint Christopher Schrank, Anwalt für Wirtschaftsrecht. "Dahinter steht ein ganz starker Opferschutzgedanke", erklärt Robert Kert, Wirtschaftsstrafrechtsprofessor an der Wirtschaftsuniversität Wien im Gespräch mit der "Wiener Zeitung". Es geht um die Abwägung, was wichtiger ist: Den entstandenen Schaden des Opfers wieder gutzumachen oder einen Täter - bei Karmasin Täterin - zu bestrafen?

Damit gibt es auch einen zweiten Aspekt, der vor allem bei Karmasin zum Tragen kommt: Zählt der spezialpräventive Blick auf einen oder eine Einzelnen oder der generalpräventive Blick auf die Gesellschaft. Oft sei der "Ersatz des Schadens wichtiger als die Bestrafung", so Kert. So soll die Wiedergutmachung angeregt und es dem Täter leichter gemacht werden, wieder in die Gesellschaft eingegliedert zu werden. Möglich ist die tätige Reue deshalb bei Vermögensdelikten, "die nicht mit Gewalt verbunden sind", so der WU-Wirtschaftsrechtsexperte. Sie sind in der Bestimmung aufgezählt, reichen von Diebstahl und Unterschlagung bis hin zu Wucher und dem Eingriff in fremdes Jagd- oder Fischereirecht.

Die tätige Reue ist eine nicht weitverbreitete Möglichkeit in europäischen Strafordnungen. Liechtenstein hat sie - vor allem, weil Liechtenstein das österreichische System verwendet - und auch Griechenland. Doch viele Rechtssysteme sind weniger formalistisch, Staatsanwaltschaften haben von Haus aus mehr Handlungsspielraum bei Anklagen und brauchen weniger formal festgeschriebene Wege in die Straffreiheit. Ein direkter Vergleich fällt deshalb schwer. In Österreich hat die tätige Reue dafür lange Tradition. Die Anfänge lassen sich bis ins josephinische Strafgesetz zurückverfolgen, das zwischen 1787 und 1803 galt.

"ZiB" als "Privatvergnügen"

Zurück zu Karmasin: Die Oberstaatsanwälte der Wirtschafts- und Korruptionsstaatsanwaltschaft (WKStA) argumentierten gegen tätige Reue - vergeblich. Aus ihrer Sicht war die Rückzahlung nicht rechtzeitig, immerhin "schauen auch Staatsanwälte die ‚ZiB‘", wie Gregor Adamovic in seinem Eröffnungsplädoyer sagte. Man wusste also schon von dem Sachverhalt. Der ORF thematisierte den Sachverhalt als Erster, "ZiB"-Moderator Martin Thür zog bis vor das Verfassungsgericht, um an eine Liste all jener Ex-Ministerinnen und Minister zu kommen, die nach ihrem Ausscheiden eine Entgeltfortzahlung beantragt hatten. Doch für den Richter war das "ZiB"-Schauen ein Privatvergnügen, das Argument nicht stichhaltig. Wichtig sei, so Aulebauers Erklärung, wann der Akt beginnt. Erst damit wird eine Strafverfolgungsbehörde formal tätig. Der Wirtschaftsrechtsexperte Schrank sieht das genauso: Eine Behörde erfährt offiziell "mit einer Anzeige oder dem Erfassen in einem Akt" von einem Verdacht. Im Fall Karmasins war das zwei Tage, nachdem sie das Geld an die Republik zurückzahlte.

Am Ende sei das "die entscheidende Frage" gewesen, meint auch Robert Kert. Wurde rechtzeitig und vollständig zurückgezahlt? Die Recherchen des ORF, der den Sachverhalt ins Rollen gebracht hat, sind dabei genauso unwichtig wie die schon laufende Überprüfung des Bundeskanzleramts. Weder der eine noch der andere sind eine Strafverfolgungsbehörde. Und auf die kommt es an. "Nur weil Journalisten recherchieren, ist das noch kein Ausschlussgrund", so Kert.

Schuldig gesprochen wurde Karmasin dafür wegen wettbewerbsbeschränkenden Absprachen bei drei Studienvergaben des Sportministeriums. Sie bekam 15 Monate bedingt, wobei das Urteil noch nicht rechtskräftig ist. WKStA und Verteidiger haben noch bis Freitag Zeit Rechtsmittel einzulegen.

Für Martin Kreutner, früherer Direktor der internationalen Anti-Korruptionsakademie in Laxenburg und Mitinitiator des Anti-Korruptionsvolksbegehrens, ist die Strafhöhe nachvollziehbar: "Die 15 Monate sind in meinen Augen im Rahmen, sie sind weder besonders viel noch auffallend wenig." Immerhin war sie unbescholten. Aber "generalpräventiv ist es für die allgemeine Öffentlichkeit eher am unteren Rand, auch als eine faktisch-implizite Vorbildwirkung durch das Ministerinnenamt gegeben ist." Er vermutet, dass es in weiten Teilen der Bevölkerung "negativ ankommen könnte". Juristisch sei es allerdings vertretbar.

Auch Kert sieht die Strafhöhe "ungefähr in dem Rahmen, den man sich erwarten kann". Auch er hält den Strafrahmen somit nicht für zu niedrig. Als Strafrechtsexperte würde er sich aber trotzdem ein Rechtsmittel wünschen, da die Frage, wann ein Vergabeverfahren zustandekommt, durch dieses Urteil immer noch nicht restlos geklärt sei. "Es wäre gut, wenn das deer Oberste Gerichtshof (OGH)  klären würde", so Kert.

Auch Karmasins Verteidiger Norbert Wess kündigte schon vor Urteilsverkündung an, dass er bis vor den OGH ziehen werde, falls nötig. Es geht dabei um die Frage, ob das Ministerium einen Wettbewerb bei der Auftragsvergabe haben wollte oder nicht. Wess argumentierte dagegen, der Richter sah den Wettbewerb, wenn auch nicht ideal umgesetzt, dennoch erfüllt.