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Karneval und Sprezzatura

Von Nikolaus Halmer

Reflexionen

Zwischen subversivem Lachen und eleganter Gelassenheit: Die Heiterkeit als empfehlenswerte Haltung gegenüber Krisen, Katastrophen und sonstigem Ungemach. Zur Kulturgeschichte und Philosophie einer Gemütsverfassung.


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"Wir müssen die Dinge lustiger nehmen, als sie es verdienen; zumal wir sie lange Zeit ernster genommen haben, als sie es verdienen". Dieser Aphorismus Friedrich Nietzsches ruft zu einer heiteren Grundstimmung auf, die angesichts der aktuellen Weltlage kaum aufkommen mag. In der Zeit der Finanzkrisen und des radikalen Sozialabbaus ist Heiterkeit als Grundgefühl scheinbar unangebracht; sie wird gleichsam zu einem Ausnahmezustand. Die durch Medien vermittelte ständige Präsenz von Kriegen und Katastrophen erzeugt das Gefühl, in der schlechtesten aller Welten zu leben. Die Lebenswelt der Menschen verwandelt sich in eine Depressions- und Melancholiezone, aus welcher die Heiterkeit verbannt wird.

Heiterkeits-Verbannung

Verbannt wurde die Heiterkeit schon früher, und zwar von durchaus prominenter Seite: So sprach etwa der Philosoph Theodor W. Adorno ein Heiterkeitsverbot für die Kunst aus, das eine vernichtende Kritik der Kulturindustrie, die er mit der Vergnügungsindustrie gleichsetzte, beinhaltete. "Das von der Vergnügungsindustrie unablässig verordnete Stahlbad, das den Konsumenten ständig mit Angeboten versorge", so Adorno, würde ihm zwar Spaß machen, "ihn aber gleichzeitig entmündigen".

Die Welt würde - im Sinne Arthur Schopenhauers - zur Guckkastenbühne, die hauptsächlich der Unterhaltung des Zuschauers diene. Diese folgenreiche apodiktische Festlegung stieß nach langjähriger Wirkung auf Widerspruch. Peter Sloterdijk sprach von einer "Geste des Sich-Verweigerns", die mit einem permanenten Masochismus verbunden sei. Der Philosoph Odo Marquard teilte diese Einschätzung; er warf Adorno vor, sich durch das Heiterkeitsverbot "ein raffiniertes Surrogat" zu verschaffen, in dem "die Wonnen und das Vergnügen am Verdacht" dominierten.

Die Heiterkeit ist schwierig zu definieren. Sie hat mit anderen Phänomenen wie Humor oder Lachen zwar viel zu gemein, kann als eigenständiges, lebendiges Gefühl aber nur schwer klassifiziert oder durch einzelne Merkmale bestimmt werden. Das Wort "heiter" lässt sich auf indoeuropäische Wurzeln zurückverfolgen - und bedeutet so viel wie hell, leuchtend. Später erfuhr das Wort eine Erweiterung, indem es auch die Heiterkeit des Gemüts bezeichnete. Im 18. Jahrhundert war "heiter" ein Synonym für fröhlich, gut gelaunt. Seit damals erlitt die Heiterkeit einen Trivialisierungsschub. Sie wurde zum Inbegriff einer "Schenkel-klopfenden Lustigkeit", konstatiert der in Chemnitz emeritierte Philosoph Ferdinand Fellmann, die überall anzutreffen sei: in Bierzelten, Volksfesten wie in TV-Unterhaltungsshows.

"Heitere Meeresstille"

Dagegen steht die Vorstellung einer Heiterkeit, die von Philosophen und Schriftstellern vertreten wird. Sie hat mit Gelassenheit zu tun, die stets in Verbindung mit der Ernsthaftigkeit und der Schwere des Lebens steht. Fellmann, der sich in der Tradition der Lebensphilosophie bewegt, bezeichnet die Heiterkeit als eine anthropologische Grundkonstante, die - wie jede Medaille - zwei Seiten aufweist.

Die Erkundungen der Heiterkeit führen in die griechische Antike. Der Philosoph Epikur, der von 341 bis 271 vor Christus lebte, bezeichnete sie als "heitere Meeresstille", die sich als Menschenfreundlichkeit artikuliert. Sie kann nur zustande kommen, wenn das Individuum mit sich selbst im Einklang steht und bestimmte Faktoren, die einen Erregungszustand der Seele bewirken könnten, ausgeschaltet werden.

Für Epikur ist Erregung mit Unlust verbunden, während die Lust darin besteht, frei von Unlust zu sein. Diese Unlust wird von verschiedenen Faktoren wie der Furcht vor den Göttern, vor dem Tode oder auch von Begierden, die Abhängigkeiten schaffen, ausgelöst. Gelingt es, sich von diesen Unlust erzeugenden Komponenten zu befreien, ist die Gelassenheit des Gemüts - die Ataraxie - erreicht.

Auch die Stoiker bevorzugten eine ruhige, gelassene Heiterkeit. Der römische Philosoph Seneca widmete ihr seine Schrift "Über die Seelenruhe", die von der Ungetrübtheit und Ausgeglichenheit der Seele handelt. Die Grundlage der Heiterkeit ist demnach das Festgefügtsein der Seele, die "mitten im Sturm" die Balance zu halten vermag - frei von ängstlicher Sorge. Um diesen Zustand zu erreichen, muss man sich vor den Belästigungen und den Forderungen der Außenwelt schützen.

Homerisches Gelächter

Neben der ruhigen, gelassenen, harmonischen Heiterkeit findet sich in der Antike auch jene Form der lärmenden, wenig subtilen Heiterkeit, von der sich die Epikuräer und die Stoiker vehement distanzierten. Am Beginn steht das homerische Gelächter, also jenes Lachen der Götter, das sich über sämtliche - später vom Christentum propagierten Werte - lustig macht. Diese Heiterkeit bezieht sich auf Begierden und Triebe des Menschen, vornehmlich auf die Sexualität, also jene Bereiche, über die üblicherweise nicht gesprochen wird.

So findet sich etwa in der Komödie "Die Wolken" des griechischen Schriftstellers Aristophanes eine Szene, in der die wissenschaftlichen Ambitionen des Philosophen Sokrates karikiert werden. Sokrates bemüht sich, dem Bauern Strepsiades den Donner naturwissenschaftlich zu erklären. Er sei - so der Philosoph - das Resultat der "übereinander sich stürzenden, geblähten, zusammengeworfenen und zerplatzten Wolken". Der Bauer Strepsiades deutet dies analog seiner eigenen, wohl vertrauten Körpererfahrung: "Beim Apollon gar oft, da rumort es in mir/Und fährt mir durch die Gedärme/die vollführt einen Lärm/und tut akkurat wie der Donner/bubububum".

Die Naivität des Bauern Strepsiades findet ein Pendant im Schelmenroman "Simplicius Simplicissimus" von Hans Jakob Christoffel von Grimmelshausen. Dort beschreibt der Held des Romans den Liebesakt eines Paares in einem Gänsestall, wo er - wegen eines Vergehens - eingesperrt wurde, und den er - ohne zu wissen, was da vor sich ging und "still wie eine Maus" - folgendermaßen beschreibt: "Wie sich aber sonst ein possierlich Geräusch erhob und der Gänsestall, der nur mit Brettern getäfelt war, kontinuierlich zu krachen anfing und das Weibsbild sich anstellte, als ob ihr gar wehe bei der Sache geschähe, da dachte ich, das sind zwei von den wütenden Leuten, die sich hierher begeben haben, um mich um das Leben zu bringen."

Die Heiterkeit, die solche Szenen auslösen, hat der der russische Literaturhistoriker Michael Bachtin mit dem Begriff des Karnevalesken bezeichnet. Damit ist eine Weltsicht gemeint, die das Heiligste wie das Trivialste ins Licht der Komik rückt - eine Art parodistische Enzyklopädie, die alle Grenzen sprengt. Im "karnevalistischen Weltempfinden" wird über alles und jedes gelacht, jeglicher Sinn in Frage gestellt. Alles Spirituelle erfährt eine Umsetzung in die "niederen" Bereiche des Materiellen, Körperlichen. Im "karnevalistischen Weltempfinden" sah Bachtin einen Gegenentwurf zu den dogmatischen Konzeptionen kirchlicher und weltlicher Provenienz: "Der Mensch empfand im Lachen besonders scharf den Sieg über die moralische Furcht", schrieb Bachtin in seinem Buch "Literatur und Karneval", "die das Bewusstsein des Menschen knechtet, bedrückt und dumpf macht: als Sieg über die Furcht vor allem Geheiligten und Verbotenen".

Ästhetische Lässigkeit

Im Gegensatz zur lärmenden, obszönen Heiterkeit des Schelmenromans findet sich in der Renaissance die vornehme, elegante Form der Heiterkeit, die als "Sprezzatura" bezeichnet wird. Sie findet sich in einem Text des Renaissancegelehrten und Schriftstellers Baldassare Castiglione, der von 1478 bis 1529 gelebt hat. In seinem Buch "Il Cortegiano" ("Der Hofmann") entwarf Casti-glione, der an den Fürstenhöfen der Sforza in Mailand und der Gonzaga in Mantua ausgebildet wurde, das Bild eines souveränen Aristokraten, der sich zu benehmen weiß. Im Vordergrund steht dabei die ästhetische Inszenierung des Lebens, zu der eine körperliche Gewandtheit, die Kenntnis verschiedener Sprachen, Belesenheit und Begeisterung für die bildenden Künste zählt.

Diese Eigenschaften fasst Castiglione unter dem Begriff "Sprezzatura" zusammen; es ist dies die Fähigkeit, "eine gewisse Art von Lässigkeit anzuwenden, die die Kunst verbirgt und bezeigt, dass das, was man tut oder sagt, anscheinend mühelos und fast ohne Nachdenken zustande gekommen ist". Die "Sprezzatura" verfolgt eine Ästhetisierung des Lebens; sie zeigt, wie man die menschlichen Affekte domestizieren kann und sie mit einer gewissen Verspieltheit und Anmut verbindet.

Solch eine "Sprezzatura" findet sich bei einem Philosophen, der als Inbegriff des trockenen, höchst abstrakten Gelehrten gilt, und zwar bei Immanuel Kant. Der Verfasser der "Kritik der reinen Vernunft" genoss es, täglich eine Runde von Gelehrten zum Mittagessen einzuladen, das sich über einige Stunden erstreckte. Dabei war es verpönt, fachphilosophische Gespräche zu führen. Die Tischrunde strahlte eine heitere Laune aus, wie der Teilnehmer Reinhold Bernhard Jachmann berichtet: "Kants gesellschaftliche Gespräche wurden besonders anziehend durch die muntere Laune, mit welcher er sie führte, durch die witzigen Einfälle, mit welchen er sie ausschmückte und durch die passenden Anekdoten, welche er dabei einstreute. In der Gesellschaft, in der Kant war, herrschte eine geschmackvolle Fröhlichkeit".

Lachen und Heiterkeit sind somit die besten Mittel, den von vielen Philosophen so häufig beschworenen Topos von einem "Leben in der schlechtesten aller Welten" ad absurdum zu führen. Eine Ahnung von dieser gelassenen Haltung hatte bereits Johann Wolfgang von Goethe, der die Heiterkeit in einem Brief preist: "Eine wunderbare Heiterkeit hat meine ganze Seele eingenommen, gleich den süßen Frühlingsmorgen, die ich mit ganzem Herzen genieße". Für Goethe war die Heiterkeit ein künstlerisches Programm, dessen Maxime so lautete: "Nur die heitere, die ruhige Seele gebiert das Vollkommene".

Diese ruhige Sicht, befreit von den Zwängen des Alltagslebens, verleiht Heiterkeit. Das für solch eine gelassene Form der Heiterkeit adäquate Ausdrucksmittel ist nicht das laute Lachen, konstatiert der Philosoph Wilhelm Schmidt, der wie Ferdinand Fellmann ebenfalls eine "Philosophie der Lebenskunst" entwickelte, sondern das Lächeln, mit dem der Mensch seine Souveränität unter Beweis stellt. Diese Souveränität ermöglicht ein heiteres Ertragen der Widrigkeiten des Lebens und ist so die Voraussetzung für die "Leichtigkeit des Seins".

Diese gelassene, heitere Haltung, die viel mit der "Sprezzatura" der Renaissance gemeinsam hat, findet sich auch im Buddhismus, in dem nicht das laute, rücksichtslos Lachen, sondern das anmutige Lächeln geschätzt wird. Der historische Buddha soll der Legende nach nie laut gelacht haben, sondern milde gelächelt und die Heiterkeit folgendermaßen kommentiert haben: "Dem Freudigen erwächst Heiterkeit. Dem im Geist Heiteren kommt der Körper zur Ruhe. Der im Körper Ruhige fühlt Glückseligkeit. Dem Glückseligen ordnet sich das Denken".

Eine so verstandene souveräne Haltung der Heiterkeit weiß auch über die Abgründe des Lebens Bescheid; schon Goethe hatte sie mit einem Regenbogen auf dem dunklen Grund der Melancholie verglichen, der bereits in der Antike ein zentraler Stellenwert eingeräumt wurde. Wie schon der Philosoph Theophrast im 4. Jahrhundert vor Christus bemerkte, zeichneten sich fast alle außergewöhnlichen Künstler und Philosophen durch eine melancholische Grundstimmung aus. Von da weg spannt sich ein weiter Bogen über romantische Schriftsteller wie Lord Byron, John Keats oder Alfred de Musset bis zu Autoren des 20. Jahrhunderts wie Emile Cioran oder Ingeborg Bachmann.

"Über alles schwebend"

Dieser "dunkle Grund" müsse freilich überwinden werden, postulierte Friedrich Nietzsche in seinem Werk "Die fröhliche Wissenschaft". Dies bedürfe einer harten Arbeit an sich selbst (Peter Sloterdijk gibt den Ratschlag: "Üben, üben, üben!") und könne nur in Form einer Experimentalphilosophie entfaltet werden, die wenigen Auserwählten - den "freien Geistern" - vorbehalten sei, die sich von der Gesellschaft des Spektakels zurückziehen und verschiedenen Grenzerfahrungen ausliefern, um das gesamte Spektrum des Lebens kennen zu lernen.

Erst dann, wenn solche Erfahrungen verarbeitet würden, stelle sich der Zustand der heiteren Gelassenheit ein - "eine schwer zu beschreibende Art von Glück, Licht, Erleichterung, Erheiterung, Ermutigung, Morgenröte". Kaum jemand hat dieses euphorische Grundgefühl besser geschildert als Goethe, der die Heiterkeit als "wahre Poesie" preist. Sie befreit uns von den irdischen Lasten, die auf uns drücken, schwärmt er, "wie ein Luftballon hebt sie uns mit dem Ballast, der uns anhängt, in höhere Regionen und lässt die verwirrten Irrgänge der Erde in Vogelperspektive vor uns entwickelt daliegen".

Das von der Heiterkeit ausgehende Schwebegefühl kennt auch Isaac von Sinclair, der Freund von Friedrich Hölderlin: "Über alles schwebend, Alles lass ich hinter mir", heißt es in dem Gedicht "Heiterkeit", "Nun ist es beschlossen / Heiter soll mein Leben sein / Und was Lust es mag verleihn / Heiter wird’s genossen".

Nikolaus Halmer, geboren 1958, ist Mitarbeiter der Wissenschaftsredaktion des ORF-Hörfunks; Schwerpunkte: Philosophie, Kulturwissenschaften.

Literaturhinweis:Petra Kiedaisch/Jochen A. Bär (Hrsg.): Heiterkeit. Konzepte in Literatur- und Geistesgeschichte. Verlag Wilhelm Fink, München 1997, 300 Seiten, 37,70 Euro.