Eine Lehre im Handel - eine viel bessere Wahl kann ein junger Mensch nicht treffen. Diesen Eindruck vermittelte kürzlich eine Aus- und Weiterbildungsenquete, die unter dem Motto "Wozu noch Lehrlinge?" stand. Das gesellschaftliche Ansehen von Handels-Lehrlingen sei dennoch verbesserungswürdig, waren sich die Teilnehmer einig.
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Die vorherrschende Meinung: Mehr als Wurstsemmeln holen und Staubwischen ist bei einer Lehre im Handel oft nicht drinnen. Nur wer zumindest ein Maturazeugnis hat, hat auch Chancen beruflich weiter zu kommen. Dabei ist laut Erich Lemler - Obmann der Bundessparte Handel - "Karriere mit Lehre" keine Seltenheit: "Rund die Hälfte aller österreichischen Unternehmerinnen und Unternehmer waren selbst einmal Lehrlinge", erklärte er in der von der Bundessparte Handel in der Wirtschaftskammer (WKÖ), der Gewerkschaft der Privatangestellten (GPA) und dem Wirtschaftsministerium organisierten Veranstaltung.
In Österreich werden derzeit 18.000 Lehrlinge in 6.000 Handelsunternehmen ausgebildet. Die meisten jungen Menschen, die eine Lehre absolvieren, lernen den Beruf "Einzelhandelskauffrau" bzw. "Einzelhandelskaufmann": Zur Zeit sind es 13.884. Elf Einzelhandelslehrberufe stehen zur Auswahl, etwa im Lebensmittel-, Textil- und Schuhhandel. Die Neuanmeldungen für diesen Lehrberuf sind zwischen 1. Jänner und 31. Oktober 2004 im Vergleich zum Vorjahreszeitraum um 3,7% gestiegen.
"Eine Lehre ist keine Sackgasse", hielt Aichinger fest. Wer wolle, könne die Berufsreifeprüfung nachholen oder einige Zeit im Ausland verbringen. Im Rahmen des europäischen Berufsbildungsprogramms "Leonardo da Vinci" etwa können jährlich 1.600 Interessierte aus Österreich für mehrere Wochen oder Monate in einem anderen Land berufspraktische Erfahrung sammeln - an sich eine gute Sache, stimmten die Teilnehmer überein. Einig waren sie aber auch, dass neben vielen Lehrlingen auch Berufsschullehrer von dem Programm nichts oder wenig wüssten, es Informationsdefizite aufzuholen gilt. Und, bemerkte Manfred Wolf von der GPA gegenüber der "Wiener Zeitung": "Für viele ist ein Auslandsaufenthalt gar nicht leistbar". Er wünscht sich bessere "Rahmenbedingungen", beispielsweise eine höhere finanzielle Unterstützung.
Kritik hin oder her - Wolf würde, wie er sagt, jungen Menschen "durchaus" raten, eine Lehre im Handel zu beginnen. Zusatz: "Aufpassen, dass kein Missbrauch getrieben wird. Eine Lehre ist ein Ausbildungs- und kein Arbeitsverhältnis."
Über die Wichtigkeit der Lehrinhalte wiederum scheiden sich die Geister. Vertreter der WKÖ etwa heben die Bedeutung des Verkaufsgesprächs hervor, die Arbeitnehmerseite sieht Lehrinhalte wie Buchhaltung und Kostenrechnung vernachlässigt. "Und in vielen Fällen ist die 'Ausbildung' nur das fachgerechte Pflegen der Waren, sprich: Einschlichten und Abstauben", kritisierte Wolf.
Ernst Aichinger, Obmann des Bundesgremiums des Sportartikelhandels, meinte hingegen, dass es für Unternehmen "oft nicht einfach" sei, geeignete Jugendliche zu finden. Anfang der 1990-er Jahre habe es 38.000 Lehrlinge im Handel gegeben, heute sind es um 20.000 weniger, konterte Wolf: "Unternehmen bilden nicht mehr in jenem Ausmaß aus, in dem sie könnten." Wie es nach der Lehre aussieht, sei ein weiteres Kapitel. Derzeit müssen fertig ausgebildete Lehrlinge vier Monate im Betrieb verbleiben. Viele Unternehmen würden sich aber wünschen, diesen Zeitraum zu verkürzen. "Statt dem qualifizierten Personal werden lieber billigere Teilzeitbeschäftigte und geringfügig Beschäftigte aufgenommen", sagte Wolf. Zeitler sieht das anders: "Natürlich wollen Betriebe gut ausgebildete Mitarbeiter. Oft aber ist das Stammpersonal zu wenig."