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Karriere nach dem Turnus

Von Ernest G. Pichlbauer

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Dr. Ernest G. Pichlbauer ist unabhängiger Gesundheitsökonom und Publizist.

Skurril, wie man junge Ärzte nach ihrer Ausbildung zum Hausarzt auf die Zukunft vorbereiten will. Da ist wohl noch einiges zu überdenken.


Hinweis: Der Inhalt dieser Seite wurde vor 15 Jahren in der Wiener Zeitung veröffentlicht. Hier geht's zu unseren neuen Inhalten.

Woran denkt man wohl, wenn man Osteopathie, Neuraltherapie, angewandte Kinesiologie, chinesische Diagnostik und Arzneitherapie, anthroposophische Medizin, orthomolekulare Medizin, moderne F.X. Mayr Medizin oder Homotoxikologie hört?

Als Pathologen und geeichtem Schulmediziner fallen mir hier Dinge ein wie alternative Medizin für die, die es sich leisten können und wollen, Firlefanz nach dem Prinzip "Hilfts net, schads net", vollkommen zurecht keine Leistungen auf Krankenschein erbracht werden.

Keinesfalls käme ich auf die Idee, darin Karrierechancen für angehende Hausärzte zu sehen, die sich nach einer krankenhaus- und gerätemedizin- lastigen Ausbildung mit Fokus auf Blut abnehmen und Infusionen anhängen (man spricht auch gerne und abfällig von Fachärzten für periphere Venenpunktion) auf ihre Zukunft vorbereiten sollen. Und doch ist es so.

In einem Folder der Ärztekammer für Wien mit dem Titel "Karriere nach dem Turnus" werden Turnusärzte eingeladen, sich auf die Zeit danach vorzubereiten. An 15 Abenden werden hier karrierefördernde "Zusatzqualifikationen" vorgestellt, die, neben wenigen vernünftigen Vorschlägen wie Geriatrie und Palliativmedizin (dafür ist nur ein Abend reserviert), mit dem Bild des Hausarztes nichts zu tun haben.

Keine Rede etwa von "Koordination zwischen Leistungserbringern verschiedener Ebenen für chronisch Kranke (Fachärzte, stationärer Bereich, Apotheken, soziale und medizinische Dienste)" oder "Systematische Primär-, Sekundär- und Tertiärprävention" oder "Strukturiertes Management der Patientenbetreuung unter Kosten-Nutzenüberlegungen (prä- und poststationäres Management, Voruntersuchung und Vorbereitung für geplante Eingriffe)" oder "Durchführung und Koordination der palliativmedizinischen Betreuung in häuslicher Umgebung und Pflegeheimen in Kooperation mit anderen Berufsgruppen" oder "Betreuung und Management von Mehrfacherkrankten" oder "Problemerkennung und Intervention im Sozialbereich" oder schlicht die "Hauskrankenbehandlung". Alles Themen, die nicht nur nach Meinung der Österreichischen Gesellschaft für Allgemeinmedizin zur Rolle der Hausärzte gehören - und deren Beherrschung karriereförderlich sein sollte.

Für diese Fertigkeiten gibt es aber keine Ärztekammer-Diplome, auch keine Ausbildung im Turnus. Diese Qualifikationen müssen wohl angeboren sein, strukturiert erwerben kann man sie nicht.

Andererseits ist es verständlich, dass die Ärztekammer dafür keine Ausbildungsschiene etabliert. Von den etwa 1000 Ärzten, die jährlich zum Hausarzt ausgebildet werden, haben vielleicht 200 Chancen auf einen Kassenvertrag; wenn sie sich einen solchen überhaupt zutrauen (was ich mit der jetzigen Ausbildung nicht tun würde). Einige hundert werden das Glück haben, eine Facharztausbildungsstelle zu ergattern und damit vielleicht auch die Chance in einer sicheren Anstellung zu bleiben oder wenigsten noch eine Galgenfrist rauszuschlagen.

Der Rest - mehrere hundert pro Jahr - werden in den freien Markt gespuckt. Und dort, im kassenfreien Raum, kann man als "Wahl-Hausarzt" nur überleben, wenn man sich auf Einnahmen konzentriert, die nichts mit Schul- und Kassenmedizin zu tun haben. Gleichzeitig, als nicht unerwünschter Nebeneffekt, werden sich "zusatzqualifizierte" Ärzte nicht um den Kassenkuchen, der schon für die etablierten Kassenärzte kaum mehr reicht, anstellen.