Hub & Spoke: Drehkreuz verleitet zu abgestimmtem Marktverhalten. | Deutschland: Hausdurchsuchung. | Brüssel: Es reicht die Vermutung, dass Informationen verwendet werden. | Wien. Der Wind im Kartellrecht wird zunehmend rauer. Denn Wettbewerbsbehörden verfolgen nun vermehrt sogenannte "Hub & Spoke Kartelle", deren Besonderheit darin liegt, dass die Absprache nicht direkt zwischen zwei oder mehr Wettbewerbern erfolgt, sondern über einen Dritten, der als Drehkreuz fungiert (Hub steht im Englischen für Nabe, Spoke für Speiche).
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Mitte Jänner fanden in Deutschland etwa Hausdurchsuchungen im Lebensmittelsektor statt. Zu den untersuchten Unternehmen gehörten laut Medienberichten etwa Metro, Edeka, Rewe, Lidl, Fressnapf und Rossmann. Die Bonner Behörde vermutete Preisabsprachen: Nicht, dass sich die Wettbewerber untereinander verständigten, sondern dass es sich um Absprachen zwischen Händlern und Lieferanten handelte. Mit den Supermärkten seien offenbar Mindestverkaufspreise vereinbart worden, so ein Sprecher des Bundeskartellamts - was eindeutig dem Kartellgesetz widerspreche. "Aufgrund des stabilen Preisgefüges konnten verdeckte Aufschläge weitergegeben werden", glaubt er.
Unterdessen verschärfte der Europäische Gerichtshof (EuGH) durch seine "T-Mobile Netherlands"-Entscheidung das Kartellverbot (siehe dazu unten).
Rekordgeldbußen gegen Kartellisten auf europäischer und nationaler Ebene haben dafür gesorgt, dass es Wirtschaftstreibenden mittlerweile bewusst ist: Wettbewerbsbeschränkende Absprachen - insbesondere Preisabsprachen zwischen Wettbewerbern - sind verboten. Der Umkehrschluss, dass man sich kartellrechtskonform verhält, solange man nur keine Vereinbarung mit einem anderen Unternehmen schließt, ist jedoch zu kurz gegriffen.
Der Grund: Sowohl das europäische als auch das nationale Kartellrecht verbieten auch jedwedes Verhalten, das noch nicht bis zum Abschluss einer Vereinbarung gediehen ist, aber bereits bewusst eine praktische Zusammenarbeit an die Stelle des mit Risiken verbundenen Wettbewerbs treten lässt (sogenannte "abgestimmte Verhaltensweisen").
Dies bewirkt, dass - vorausgesetzt es kommt zu einem abgestimmten Marktverhalten - bereits der Austausch geschäftlich sensibler Informationen zwischen Wettbewerbern (insbesondere von Preis-, Kapazitäts- oder Kosteninformationen) unter das Kartellverbot fallen kann, ohne dass es einer expliziten Vereinbarung über das zukünftige Geschäftsgebaren bedarf. Das entsprechende Risiko steigt, je konzentrierter der entsprechende Markt ist (oligopolistische Märkte). In der Praxis spielt dies etwa bei der kartellrechtskonformen Strukturierung diverser Informationssammelsysteme von Unternehmensvereinigungen eine wichtige Rolle.
"Hub & Spoke Kartelle" können beide Kartellformen (Vereinbarung, abgestimmte Verhaltensweise) annehmen und werden dadurch charakterisiert, dass ein Kartell zwischen Wettbewerbern indirekt über einen Mittelsmann - etwa den gemeinsamen Lieferanten - organisiert ist. Derartiges Verhalten wurde bereits mehrfach, etwa in Deutschland und England, von Kartellbehörden bestraft. In all diesen Fällen hatten Händler bestimmter Waren eine Abstimmung ihrer Verkaufspreise durch Informationsaustausch über gemeinsame Lieferanten bewirkt.
Wie dünn die Trennlinie zwischen Legalität und Kartellverstoß ist und dass das Überschreiten dieser Trennlinie von (nicht kontrollierbaren) Handlungen Dritter abhängen kann, zeigt folgendes Fallbeispiel: Händler 1 führt mit dem Lieferanten Preisverhandlungen und informiert ihn dabei über die zukünftige Preispolitik beim Weiterverkauf der Ware.
Diese einseitige Handlung bewirkt nach dem vom britischen Office of Fair Trading (auf Grundlage der EuGH-Rechtsprechung) entwickelten Test dann einen Kartellverstoß, wenn der Lieferant die Information an einen zweiten Händler weitergibt; Händler 1 wusste oder hätte wissen können, dass der Lieferant dies tun würde und der benachrichtigte zweite Händler diese Information für sein Marktverhalten berücksichtigt.
Bis zur eingangs erwähnten "T-Mobile Netherlands"-
Entscheidung des EuGH vom 4. Juni 2009 konnte man diese niedrige materielle Schwelle zumindest mit dem prozessrechtlichen Gesichtspunkt relativieren, dass die Kartellbehörde alle genannten Elemente nachzuweisen hat.
Info-Empfänger muss sich freibeweisen
Die "T-Mobile Netherlands"-
Entscheidung verschärft jedoch die Rechtslage. Laut EuGH besteht eine gesetzliche Vermutung, dass der zweite Händler die Information für sein Marktverhalten verwendet. Der Informationsempfänger muss sich daher in diesem Punkt freibeweisen (eine schwierig zu nehmende Hürde). Wird der ursprüngliche Informationsgeber (der erste Händler) von der Behörde verfolgt, müsste sogar dieser den Gegenbeweis der fehlenden Kausalität zwischen Information und dem Marktverhalten eines Dritten antreten (eine noch höhere Hürde). Diese gesetzliche Vermutung ist, so der EuGH, zwingend auch von nationalen Behörden oder Gerichten bei der Anwendung des europäischen Kartellverbots heranzuziehen.
Unternehmen tun gut daran, ihre Informationspolitik nach diesen verschärften Rahmenbedingungen auszurichten und betriebsinterne Compliance Programme entsprechend anzupassen. Ist die Offenlegung geschäftlich sensibler Informationen Dritten gegenüber notwendig, sollte dies zumindest stets durch den Abschluss einer Vertraulichkeitsvereinbarung begleitet sein, um eine ungewollte Weitergabe zu verhindern.
Bernhard Kofler-Senoner ist Partner und Leiter der Praxisgruppe Kartellrecht bei der Rechtsanwaltskanzlei CHSH Cerha Hempel Spiegelfeld Hlawati, Wien.