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Karussell der Käfer

Von Kerstin Viering

Wissen
Blattläuse haften auf manchen Blättern - auf anderen nicht. Foto: Corbis

Wie sich Oberflächen von Gewächsen gegen Störenfriede wehren. | Neue Methoden zur Schädlingsbekämpfung und für Pflanzenschutz. | Kiel. Tomatenpflanzen sind ziemlich raffinierte Gegner. Zumindest aus Blattlaus-Sicht. Denn die Nachtschattengewächse haben ihre Oberfläche mit tückischen Haaren bestückt, an deren Spitze jeweils ein kleines Köpfchen sitzt. Sobald eine unvorsichtige Laus im Vorbeigehen dagegen stößt, platzt diese Vorrichtung auf. Dabei setzt sie eine Art Sekundenkleber frei, der den krabbelnden Feind blitzschnell außer Gefecht setzt. Den Unbeständigen Schmalhans beeindruckt dieser Trick allerdings nicht. Unbeschadet läuft die räuberische Weichwanze über die gefährlichen Blätter und fängt die Läuse, die der Tomate noch nicht auf den Leim gegangen sind.


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"Da fragt man sich natürlich, warum die Wanzen nicht auch festkleben", sagt Dagmar Voigt vom Zoologischen Institut der Universität Kiel. Unter der Leitung von Stanislav Gorb untersuchen sie und ihre Kollegen die Wechselwirkungen zwischen Pflanzenoberflächen und Insektenfüßen. Sie wollen verstehen, auf welchen Blättern und Stängeln die Krabbeltiere besonders gut laufen können - und auf welchen nicht. Das ist nicht nur spannend, wenn man sich für die Überlebensstrategien von Insekten interessiert. Auch für den Pflanzenschutz liefern die Ergebnisse neue Ideen.

Voigt kennt mittlerweile die Tricks des Unbeständigen Schmalhans. "Er hat sehr lange, dünne Beine, mit denen er wie eine Primaballerina über die Pflanzenhaare stolziert", erläutert die Forscherin. So stößt das Tier nicht an die Köpfchen und entgeht dem pflanzlichen Sekundenkleber. Zudem sind seine Füße mit speziellen Krallen ausgerüstet, die ihm auf behaarten Blättern besonders guten Halt verleihen.

Ein Blick auf die Füße lohnt sich aber auch bei anderen Insektenarten. Denn die Krabbeltiere haben äußerst effektive Methoden gefunden, um über die glatten oder rauen, schmierigen oder klebrigen Oberflächen zu laufen, mit denen Pflanzen ihre Blätter vor Feinden zu schützen versuchen. Blattkäfer etwa haben unzählige feine Härchen unter ihren Füßen, die sie vor dem Ausrutschen und Abstürzen bewahren. Deren mikroskopisch dünne Spitzen bringen die Tiere in engen Kontakt mit der Blattoberfläche, so dass jedes Haar zur Haftung beiträgt. Und da sich Zahl, Größe und Form dieser Strukturen bei den einzelnen Arten unterscheiden, kann sich je nach Oberfläche mal der eine Käfer besser festhalten und mal der andere.

Haftkraft und Gewicht

Wie stark die Haftkräfte verschiedener Insekten sind, testen Voigt und ihre Kollegen mit Spezialmessgeräten im Labor. Oft müssen die sechsbeinigen Kandidaten dabei Karussell fahren. Sie sitzen auf einer rotierenden Trommel, die bis auf 3000 Umdrehungen pro Minute beschleunigen kann. Sensoren und Lichtschranken messen dann, bei welchen Geschwindigkeiten die Passagiere abgeworfen werden. Aus diesen Werten lässt sich berechnen, welche Haftkraft die Insektenfüße entwickeln und welche Gewichte die Tiere damit halten können.

"Dabei zeigen einige Arten erstaunliche Leistungen", sagt Voigt. Manche Exemplare des bis zu 40 Milligramm schweren Kleinen Grünen Ampferblattkäfers halten auf einer glatten Glasoberfläche mehr als das 200-Fache ihres Körpergewichts. Die deutlich schwereren Kartoffelkäfer bringen es auf das 70- bis 100-Fache ihres Körpergewichts. Auch unter Artgenossen sind die Kräfte also durchaus unterschiedlich verteilt.

Herkunft und Fitness

Sowohl die Herkunft als auch die Fitness eines Tieres kann die Leistung im Karussellwettbewerb beeinflussen. Auch das Geschlecht spielt eine Rolle. "Auf glatten Oberflächen schneiden in der Regel die Männchen besser ab", so Voigt. Die haben nämlich nicht nur die bei beiden Geschlechtern üblichen Haftstrukturen, sondern zusätzlich auch noch andere Haartypen unter den Füßen. Offenbar braucht das starke Geschlecht diese Spezialvorrichtungen für eine ganz besondere Herausforderung. Für Käfer-Romeos gilt es eben nicht nur, sicher über Blätter zu laufen, sondern sie müssen sich auch bei der Paarung auf den glatten Flügeldecken ihrer Partnerinnen festhalten. Sonst riskieren sie noch vor vollbrachter Tat einen Absturz.

Die Kieler Forscher wollen die Erkenntnisse für den Pflanzenschutz nutzen. Schließlich gehören Kartoffelkäfer&Co nicht gerade zu den gern gesehenen Gästen auf Feldern und in Gewächshäusern. Vielleicht lassen sich die gefräßigen Sechsbeiner ja an der Paarung hindern, indem man gefährdete Pflanzenkulturen mit einem harmlosen Puder einstäubt. Das würde die glatten Flügel der Weibchen stumpf machen, so dass die Füße der Männchen nicht mehr haften. Ende des Käfer-Liebesspiels.

Antihaft-Beschichtung

Voigt und ihren Kollegen schweben auch Pflanzen mit einer Art natürlicher Antihaft-Beschichtung vor. Wenn das gefräßige Insekt auf dem Blatt keinen Halt findet, kann es schließlich nicht daran fressen. Also testen die Forscher auf ihrem Insektenkarussell, wie Kartoffelkäfer oder Rapsglanzkäfer mit verschiedenen Oberflächen zurechtkommen. Die Tiere haben dabei Kunstharzstücke unter den Füßen, deren Rauigkeit sich von Versuch zu Versuch unterscheidet. So lässt sich herausfinden, wo sich die Insekten am schlechtesten festhalten können. Danach könnten die Forscher nach Pflanzen mit ähnlichen Oberflächen suchen.

Von den meisten Kulturpflanzen gibt es zahlreiche Sorten, die sich auch im Design ihrer Blätter unterscheiden. Rosenblätter zum Beispiel können behaart sein oder kahl, manche sind mit kleinen Wachsplättchen versehen, andere nicht. Aus dieser Vielfalt lassen sich möglicherweise Sorten züchten, die Insekten das Laufen besonders schwer machen - oder aber erleichtern. Krabbelnde Blattlausbekämpfer wie die Marienkäfer sollen auf Kulturgewächsen schließlich möglichst gut vorankommen.

Krabbelnde Haftkünstler

"Um das zu erreichen, müsste man bei der Auswahl von Zuchtpflanzen eben nicht nur auf Kriterien wie Geschmack, Ertrag oder Blütenfarbe achten, sondern auch auf die Blattoberflächen", sagt Voigt. Noch ist das Zukunftsmusik. Doch je besser die Forscher die Tricks der krabbelnden Haftkünstler durchschauen, umso näher rückt die Anwendung. Die Kartoffelkäfer künftiger Generationen könnten es noch bereuen, dass ihre Ahnen ihre Geheimnisse nicht besser gehütet haben.