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Kasachstan verspricht Reformen

Von Alexander Dworzak

Politik

Vizepremier Tileuberdi übt nach bewaffneten Unruhen Selbstkritik, will Korruption bekämpfen und mehr Medienfreiheit.


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Muchtar Tileuberdi hat Erklärungsbedarf. Nach der Niederschlagung der gewaltsamen Proteste, die im Jänner 225 Tote forderten, reist der kasachische Vizepremier und Außenminister derzeit durch Europa und stellt die Sicht der zentralasiatischen Regierung dar. Nach Gesprächen mit dem französischen und belgischen Außenminister traf er in Wien seinen Amtskollegen Alexander Schallenberg, am Donnerstag folgte ein Besuch bei der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit, bevor Tileuberdi nach Genf weiterflog, wo er mit UN-Menschenrechtskommissarin Michelle Bachelet sprechen wird.

Noch immer werfen die Umstände und Hintergründe der Unruhen Fragen auf. Die erst friedlichen Proteste seien von "Terroristen, Extremisten und Kriminiellen gekapert" worden, sagt Tileuberdi. Bilder von misshandelten Sicherheitskräften, in Flammen gesetzten Gebäuden oder einem geplünderten Waffengeschäft werden in der kasachischen Botschaft in Wien einer Journalistenrunde gezeigt, darunter der "Wiener Zeitung". Die Regierung macht Islamisten für die ausgeuferte Gewalt verantwortlich. Zwei Polizisten seien geköpft worden, erklärt Tileuberdi, in Spitälern seien Personen aufgetaucht, die weder Kasachisch und Russisch gesprochen hätten. Aber auch Kasachen, die im Irak oder Syrien aufseiten von Dschihadisten gekämpft hätten, seien identifiziert worden. Mithilfe des von Russland angeführten Militärbündnisses OVKS wurden die Proteste niedergeschlagen, am Mittwoch verließ der letzte russische Soldat Kasachstan.

Machtkämpfe zwischen dem Lager des bis 2019 amtierenden Präsidenten Nursultan Nasarbajew und seinem Nachfolger Kassym-Schomart Tokajew streitet der Vizepremier ab. Tileuberdi verweist auf ein am Dienstag veröffentlichtes Video von Nasarbajew, in dem dieser auch Gerüchte bestreitet, er befinde sich im Exil. Auffällig ist aber, dass der fast drei Jahrzehnte unumstritten herrschende Nasarbajew von Tokajew nach Ausbruch der Krise als Vorsitzender im Nationalen Sicherheitsrat abgelöst worden ist. Nasarbajew erklärt sich nun zum Pensionisten, mehrere Vertraute des früheren Staatschefs haben ihre Posten geräumt. Darunter befinden sich etliche Familienmitglieder. Dariga, die älteste Tochter und einst als Nachfolgerin gehandelt, gilt offizieller Leseart zufolge nach einer Covid-Erkrankung als rekonvaleszent und fällt als Abgeordnete aus. Unter den Schwiegersöhnen fand eine regelrechte Welle an Demissionen statt: Der Präsidiumsvorsitzende der Nationalen Unternehmerkammer, Timur Kulibajew, trat ohne Angabe von Gründen zurück. Samat Abisch ist nicht mehr stellvertretender Chef des nationalen Sicherheitskomitees. Den Vorsitz des Öltransportunternehmens Kastransoil hält nicht mehr Dimasch Dossanow, das Gasunternehmen Kasakgas wird nicht mehr von Kakirat Tscharipbajew geführt.

Öl und Gas waren und sind es, die einer kleinen Schicht - und dem Nasarbajew-Clan - zu Reichtum verholfen haben. So stammten mehr als ein Drittel aller Rohölimporte Österreichs im Jahr 2020 aus Zentralasien. Doch von den Rohstoffvorkommen profitieren viel zu wenige. Als auch die Subventionen für Flüssiggas gekürzt wurden und sich dessen Preis verdoppelte, begannen die Proteste im Mangghystau-Gebiet. Im Westen Kasachstans ist der Lebensstandard wesentlich niedriger als im wirtschaftlichen Zentrum Almaty und der Hauptstadt Nursultan - benannt zu Ehren Nasarbajews.

30 Jahre Vorrang für die Wirtschaft

"Wir haben 30 Jahre lang der wirtschaftlichen Entwicklung Vorrang gegeben und weniger politischen Reformen", gesteht Vizepremier Tileuberdi ein. Er betont, der Präsident wolle "Korruption bekämpfen und Transparenz sicherstellen". Die Preiserhöhung für Flüssiggas - bis zu 90 Prozent der Autos im Westen des Landes werden damit betankt - seien zurückgenommen, auch Lebensmittel würden subventioniert. Unternehmen und Reiche müssten in einen neuen Fonds einzahlen, der ärmere Bürger unterstützt. Und die Privatisierung von staatlichen Unternehmen würde gestoppt.

Änderungen verspricht das autoritär regierte Land auch bei der Pressefreiheit. Im Ranking von "Reporter ohne Grenzen" belegt Kasachstan nur Platz 155 von 180 Staaten. Der NGO zufolge seien in den vergangenen Jahren fast alle Oppositionsmedien mit Schadensersatzklagen zum Schweigen gebracht worden. Blogger und Bürgerjournalisten wurden verhaftet, seien teils für einzelne Beiträge jahrelang ins Gefängnis gekommen oder in psychiatrische Kliniken eingewiesen worden.

"Wir werden die Medienfreiheit für heimische Journalisten verbessern", sagt Muchtar Tileuberdi in Wien. Die Regierung muss sich nun daran messen lassen, ob ihren Worten Taten folgen.