"Der vergessene Papyrus" aus einem Ibis-Tonkegel ist im Kunsthistorischen Museum zu sehen.
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Wien. Er galt im alten Ägypten als Gott des Mondes, der Magie, der Wissenschaft, der Schreiber, der Weisheit und des Kalenders: Der ibisköpfige oder paviangestaltige Thot erhielt hunderttausende Ibismumien als Votivgaben. In eigenen Tonkegeln aufbewahrt, lagen sie aufgestapelt in unterirdischen Friedhofsgalerien.
Die Ägyptisch-Orientalische Sammlung des Kunsthistorischen Museums Wien (KHM) besitzt 29 Tonkegeln für die Gottheit, von denen der Großteil im 19. Jahrhundert aus der Sammlung Maximilian von Mexiko nach Wien kam. Bei einer Revision der Bestände wurden sie gereinigt und untersucht. Dabei machte das Museum einen Fund, der ebenso faszinierend wie rätselhaft ist.
In einem bereits geöffneten Ibis-Tonkegel fand sich unterhalb einer Vogelmumie ein Päckchen. Es war eine in Leinen eingewickelte, noch ungeöffnete Papyrus-Rolle, auf der hieratische Schriftzeichen zu erkennen waren. "Wir wollten sofort wissen, was darauf steht. Aber so einfach war das nicht", erklärte Sammlungsleiterin Regina Hölzl vor Journalisten am Montag vor Journalisten anlässlich der bis 16. September im KHM laufenden Ausstellung "Der vergessene Papyrus".
Museumsrestauratorin Vanessa Novak und Papyrusrestaurator Michael Fackelmann entwickelten ein Konzept, um den über Jahrhunderte eingerollten Streifen wieder flexibel zu machen. Da Wasser Ränder erzeugt hätte, entschlossen sie sich, die 22 Fragmente Stück für Stück für zwei Stunden in eine Feuchtkammer von 85 Prozent Luftfeuchtigkeit zu legen. Danach wurden sie auf einen Saugtisch gelegt, beschwert, getrocknet und wieder zu einem Streifen von einer Gesamtlänge von 250 Zentimetern zusammengefügt. "Es ging relativ schnell, da der Zustand des Papyrus gut war", sagte Novak. Das Leinen, in das die Rolle gewickelt war, behandelten die Restauratoren ähnlich. Der Stoff zeigt das Bild eines Mannes mit je einem Krokodil an jedem Arm.
"Die Tierverehrung setzte vor allem in der Spätzeit Ägyptens ab dem 7. Jahrhundert im großen Stil ein und dauerte bis in die griechisch-römische Zeit, in der auch die Ibis-Tonkegel entstanden, wobei der Papyrus schon früher geschrieben wurde", sagte Sammlungsleiterin Hölzl. Um die Datierung zu verifizieren, wurden Untersuchungen mit der Radiokarbonmethode (C14) durchgeführt. Diese ergab, dass die Ibis-Mumie und der äußere Leinenstoff um den Papyrus aus 380 bis 300 vor Christus stammen. Die innere Leinenbinde, die die Rolle unmittelbar umgab, ist jedoch deutlich älter und annähernd so alt wie der Papyrus selbst, auf dem das Jahr 1100 vor Christus vermerkt ist.
Reger Handel mit Mumien
"Wir vermuten, dass der Papyrus nach seiner Verfassung in das Leinen gewickelt wurde und die Zeiten überdauerte", sagte Hölzl. "Später wurde die Mumie präpariert und man gab den Papyrus als Grabbeigabe zu ihr." Grabbeigaben für Tier-Mumien waren durchaus üblich. Ibise etwa wurden zusammen mit Nahrungsmitteln und Objekten bestattet.
Papyrus war der wichtigste Schriftträger der Spätantike, die hieratische Schrift eine mit den Hieroglyphen zusammenhängende Schreibschrift für Alltagstexte. Der Verfasser Thutmose zählt zu den bekanntesten Schreibern des Alten Ägypten. Die Schriften auf dem Papyrus sind nicht spiritueller Natur, sondern es handelt sich bei dem Fund um ein Kassabuch. Die Rolle ist mit Ausgaben für Waren und Dienstleistungen und mit persönliche Notizen versehen und wurde mehrmals beschrieben. Thutmose vermerkt auch einen Diebstahl mit einer Liste, welcher Kleidungsstücke er beraubt wurde.
Doch was hat ein simples Notizbuch bei einer geheiligten Ibis-Mumie zu suchen? "Das alte Schriftstück könnte wertvoll ausgesehen und den Wert der Votivgabe gesteigert haben" sagt Hölzl.
Ibis-Mumien wurden von Pilgern gekauft. Nicht immer wurden ganze Vögel mumifiziert, sondern manchmal nur einige Knochen. Unter den Tiermumien des Museums ist auch eine Pavian-Form aus Karton, der nur Knochenfragmente umhüllt. Um den Handel zu beleben, wurden Jungtiere in Farmen gezogen, die per Genickschlag getötet und mumifiziert wurden. Der Mensch hat sich in Jahrtausenden nicht verändert. "Es gab immer schon das sprichwörtliche Blumengeschäft vor dem Friedhof", fasst Novak zusammen.