Den Grünen fehlt der Reformwille in der Regierung. Der Kampf gegen den Föderalismus steht bevor.
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Wien. Es war einer von Bundeskanzler Christian Kerns ersten Auftritten im Mai des vergangenen Jahres. Kern sollte nach dem Ministerrat das aussprechen, was schon seit den 1990er Jahren immer wieder gesagt, aber niemals getan wurde. Die Zahl der 22 Sozialversicherungen soll reduziert werden, forderte er. Überlegungen, die neun Gebietskrankenkassen etwa in eine große Krankenkasse zusammenzufassen, gibt es schon länger. Dass eine solche Idee von rot-schwarzer Regierungsseite kam, war aber ungewohnt. Dass Kern gemeinsam mit Vizekanzler Reinhold Mitterlehner die Idee artikulierte, verlieh dem Vorstoß zusätzliche Brisanz.
Denn was Reformen bei den Krankenkassen betrifft, stehen SPÖ und ÖVP seit Jahrzehnten im unmittelbaren Kampf mit ihren Sozialpartnern, die über die Selbstverwaltung die Träger kontrollieren. In den Kassenvorständen sitzen etwa Funktionäre der Wirtschafts- und Arbeiterkammer oder der Gewerkschaft. Die Sozialpartner signalisierten vor einem Jahr zumindest Bereitschaft.
Sozialminister Alois Stöger hat für das Regierungsanliegen die London School of Economics (LSE) mit einer Studie beauftragt. Aus seinem Büro heißt es, dass im März erste Ergebnisse präsentiert werden könnten, Mitte des Jahres soll die Studie fertig sein.
"Absurd und unfair"
Den Grünen geht der Reformprozess der Regierung aber entschieden zu langsam. Die Ökopartei hat sechs Anträge für den Sozialausschuss am 15. Februar zum Thema eingebracht. Die grüne Sozialsprecherin Judith Schwentner erwartet sich, dass diese "ernsthaft" behandelt werden. "Das derzeitige System sei "absurd, unübersichtlich und unfair", die Menschen würden ungleich behandelt, so Schwentner. Die Grünen gehen sogar ein Stück weiter als die Regierung: Sie wollen, dass die Kranken-, Pensions- und Unfallversicherungen in den nächsten Jahren zu je einer zusammengelegt werden. Danach sollen alle Menschen den gleichen Zugang zu allen Leistungen haben. Unabhängig davon, welchen Beruf eine Person ausübt oder ob diese in Pension ist.
Im Gesundheitsbereich könnten die noch etwas rudimentären Reformpläne bis 2021, bei der Pensionsversicherung bis 2024 umgesetzt werden, sagte Schwertner. Das ist optimistisch. Vielleicht zu optimistisch.
Sonderkassen als "Problem"
Gescheitert sei eine Fusion der Krankenkassen bisher an den Sozialpartnern, meinte der Leiter des Forschungsinstitutes für Freie Berufe an der Wirtschaftsuniversität Wien, Leo Chini einmal in dieser Zeitung. Durch die ideologischen Gräben zwischen Rot und Schwarz hätte man sich den unterschiedlichen Tarifen und Leistungen der Kassen bisweilen nicht ernsthaft angenommen.
Ein Vorstand des Hauptverbandes, der seinen Namen nicht in der Zeitung lesen möchte, sagt, dass die Sonderkrankenkassen etwa für Bauern, Gewerbe oder Beamte ein "großes Problem" darstellen. Sinnvoll sei es, diese Sonderträger in die Gebietskrankenkassen einzugliedern. Die Schwierigkeit dabei: Es könnte aus parteiideologischen Gründen abgelehnt werden. Die Kassen für Bauern, Gewerbe und Beamte sind ÖVP-nahe, der Sonderträger für Eisenbahnen und Bergbau wiederum SPÖ-nahe. Es sind Sonderformen und Besetzungsposten, die die Parteien wohl nur ungern aufgeben wollen.
Verteilungsdebatte
Der Kassenkampf werde im Moment auf den Kosten der Gebietskrankenkassen ausgetragen, so der Funktionär. Ein konkretes Beispiel: "Bei Leistungen über die Gewerbeversicherung muss man einen Kostenbeitrag leisten, bei den Gebietskrankenkassen nicht, weshalb die Leistung der zehntausenden Doppeltversicherten Letztere erbringt." Die Gebietskrankenkassen müssten zudem eine hohe Zahl an Arbeitslosen und Pensionisten stemmen. Bei der Beamtenversicherung ist niemand ohne Job, weshalb dieser Träger Überschüsse produziere. Mit einer Eingliederung könnten die Belastungen der Gebietskrankenkasse abgedämpft und die Beiträge gerechter verteilt werden, meint der Hauptverbandsvorstand. "Das wäre ein wichtiger Schritt, da den Kassen in den nächsten Jahren wieder Defizite bevorstehen."
Eine reine Bürokratiereform würde jedenfalls keine hohen Einsparungen bringen, sagte der Experte Chini in dieser Zeitung. Der Verwaltungsaufwand liegt bei unter drei Prozent, ein im EU-Vergleich niedriger Wert. Hier wären einige Millionen, aber nicht Milliarden zu holen.
Der Plan der Regierung kann auch als Kampf gegen den Föderalismus verstanden werden. Die Gebietskrankenkassen stehen den jeweiligen Landesregierungen näher als dem Bund. Das wäre bei einer Zusammenlegung anders. Dann müssten die Länder mit dem Bund verhandeln. Die Kräfte der Bundesländer, sagt der Hauptverbandsvorstand hinter vorgehaltener Hand, müssten beschränkt werden. Auch weil ein Drittel der Versicherungsbeiträge in die Länder fließe und die Krankenkassen kaum Einfluss darauf hätten, was mit diesem Geld passiert. Da stimmt auch der WU-Professor Leo Chini zu. Aus der Sozialversicherung müssten zunächst einmal alle Leistungen herausgebracht werden, bei der sie nur "Durchreicher" ist. Das betrifft die Spitalsfinanzierung ebenso wie etwa die Administration des Kinderbetreuungsgeldes. "Das ist unsinnig und verursacht nur Verwaltungskosten. Das kann das Finanzamt machen", sagt Chini.
Er hält die Fusionsdebatte für "Augenauswischrei". Die Bevölkerung in Österreich wachse ständig, in den nächsten Jahren würden zahlreiche niedergelassene Ärzte in Pension gehen. Einer steigenden Nachfrage stehe künftig ein sinkendes Angebot gegenüber. "Bevor ich dieses Problem, nicht erfasst habe, ist eine Diskussion um die Anzahl der Träger völlig unsinnig", sagt er.