In immer mehr Supermärkten gibt es Self-Checkout-Kassen. Ein Blick auf Risiken und Chancen.
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Wien. Die Situation ist ein bisschen absurd. Supermarktkunden stehen selbst an Kassenautomaten und scannen ihre Produkte. Mitarbeiter stehen daneben und beobachten das Ganze. Bei jedem Scan ertönt der typische Piepton. Danach kommen die Waren gesammelt auf eine spezielle Ablagefläche, zur Überprüfung. Die Ablagefläche dient nämlich gleichzeitig als Waage. Die Kasse rechnet aus, wie viel der Einkauf wiegen muss, und vergleicht den ermittelten Wert mit dem Gewicht auf der Waage. 50 Gramm zu viel, und das System ist verwirrt. Es erscheint eine Fehlermeldung am Bildschirm. Die Kasse blockiert. Ein Mitarbeiter muss eingreifen, die Kasse wieder freischalten.
Derzeit gibt es Selbstbedienungskassen bei Billa, Merkur und Spar. Noch sind sie eine Seltenheit. Bei Spar etwa gibt es Self-Checkout-Kassen erst an 40 von 1600 Standorten. Bei den Rewe-Töchtern Billa und Merkur sind es etwas mehr. Durchschnittlich nutzen in den Filialen mit solchen Kassen zwischen 20 und 50 Prozent der Kunden diese Möglichkeit. Das Alter spiele dabei keine Rolle, sagt Nicole Berkmann, Unternehmenssprecherin von Spar Österreich.
Warum Menschen überhaupt Selbstbedienungskassen verwenden? Eine kurze Umfrage der "Wiener Zeitung" zeigt: Weil es "bequemer ist" und "bei kleinen Einkäufen schneller geht". "Außerdem kann ich dort in Ruhe meine Münzen reinschmeißen", meint Johanna Mehler, eine Kundin eines Merkur-Markts in Wien-Landstraße. Grundsätzlich seien ihr Kassen mit Personal aber lieber. Einer weiteren Kundin ist das Selbstscannen schlichtweg zu kompliziert: "Ich habe fast immer Gutscheine mit. Die zu verwenden, ist mir an den Selbstbedienungskassen viel zu umständlich. Ich sehe nicht ein, warum ich meinen Einkauf selbst einscannen muss."
Kundin Johanna Mehler sieht die Entwicklung auch im Hinblick auf die Arbeitsplätze kritisch: "Wir machen die Arbeit, die sonst das Personal macht, selbst. Da stellt sich schon die Frage, wie es um die Zukunft der Mitarbeiter steht."
Neue Rollen, gefährdete Jobs
Laut Nicole Berkmann sollen die Kassen kein Personal ersetzen. Stattdessen würde das jetzige Kassenpersonal andere Aufgaben übernehmen. Es müsse etwa immer mindestens ein Mitarbeiter zur Aufsicht und als Helfer bei den Kassen stehen. Ein Report des World Economic Forum suggeriert eine andere Entwicklung. Würden alle Supermärkte digitalisiert, wären demnach 30 bis 50 Prozent der Jobs in der Handelsbranche gefährdet.
Dass Kunden an Self-Checkout-Kassen schneller sind, stimmt ebenfalls nur bedingt. "Oft braucht ein Kunde an einer Selbstbedienungskasse sogar länger. Er ist es ja nicht gewohnt, etwas selbst zu scannen. Dadurch muss er am Anfang jedes Produkt umdrehen und den Barcode suchen", sagt Berkmann.
Schneller seien nur die Kunden, die wenige Produkte kaufen. "Selbstbedienungskassen sind auf kleine Mengen ausgelegt. Sie bringen dort einen zeitlichen Vorteil, wo in kurzer Zeit sehr viele Leute kommen, die kleine Dinge kaufen", meint auch Susanne Moser-Guntschnig, Sprecherin der Rewe Group.
Supermärkte in Österreich haben noch vergleichsweise wenig Erfahrung mit Selbstbedienungskassen. International ist man bereits weiter.
Erhöhtes Diebstahlsrisiko
Bisherige Forschungsergebnisse zeigen: Self-Checkout-Kassen könnten ein wirtschaftliches Risiko darstellen. Laut einer Studie der englischen Universität Leicester stehlen Kunden an den digitalisierten Kassen eher als an Kassen mit Personal. Die Studie analysierte 12 Millionen Einkäufe in Großbritannien, den USA, Belgien und den Niederlanden. Die Kunden scannten ihre Produkte dabei mit dem Smartphone und bezahlten an Self-Checkout-Terminals beim Ausgang. Durch den fehlenden Kontakt mit Verkaufspersonal könne die Diebstahlsrate steigen, heißt es im Bericht. In einem der beobachteten Supermärkte gab es nach der Einführung des Self-Checkout-Systems mehr als doppelt so viele Diebstähle. Viele Einzelhändler in Europa machen bei solch einer Diebstahlsrate bereits Verluste.
480 Millionen "Schwund"
Wie es diesbezüglich in Österreich aussieht, weiß Roman Seeliger. Er ist stellvertretender Geschäftsführer der Bundessparte Handel in der Wirtschaftskammer. "Derzeit verlieren Einzelhandelsunternehmen in Österreich rund ein Prozent des Umsatzes durch Diebstähle und andere Betrugsfälle. Gleichzeitig liegt der Gewinn bei rund drei Prozent des Umsatzes", sagt er. Würde sich die Zahl der Diebstähle verdreifachen, wäre der Gewinn also dahin. Oder umgekehrt: Gäbe es keine Ladendiebstähle in Österreich, würden die Supermärkte um ein Drittel mehr Gewinn machen. Hochgerechnet auf den aktuellen Halbjahresumsatz 2018 verliert der Handel jedes Jahr knapp 480 Millionen Euro durch Diebstahl.
Bei Selbstbedienungskassen hingegen würden Probleme beim Scannen schnell als Ausrede für Diebstahl gelten, schreiben die Wissenschafter der Universität Leicester. Dabei muss ein Kunde nicht einmal etwas stehlen, um einen wirtschaftlichen Schaden zu verursachen. Es reicht schon, wenn eine teure Avocado als günstige Zwiebel eingescannt wird oder ein großer Salat als kleiner. Wenn Kunden Produkte falsch oder nicht scannen, habe das auch Auswirkungen auf die Verfügbarkeit von Artikeln. Denn Diebstahl verfälscht den Inventarbestand. Produkte, die noch in den Regalen sein müssten, könnten plötzlich nicht mehr verfügbar sein.
Gewichtskontrollen
Dass das Diebstahlsrisiko an Selbstbedienungskassen erhöht ist, das ist auch den Unternehmen bewusst. Sie versuchen deshalb, "Schwund" mit einer Reihe von unterschiedlichen Maßnahmen zu verhindern. "Einerseits werden die Kassen immer von einem Mitarbeiter beaufsichtigt, und andererseits wiegt das System ja alle Einkäufe ab. Auf einem eigenen Personalbildschirm sehen die Mitarbeiter auch, wie viele Produkte die Kunden einscannen. Wenn auf einer Ablagefläche mehr Produkte liegen, als auf dem Bildschirm steht, wird ein Mitarbeiter auch nachfragen", sagt Rewe-Sprecherin Moser-Guntschnig. Konkrete Zahlen, ob sich die Diebstahlrate seit der Einführung der Self-Checkout-Kassen erhöht oder verringert hat, könne Rewe nicht nennen. Von Spar heißt es, dass die Zahl der Diebstähle nicht gestiegen ist.