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Kastendiskriminierung als Rassismus begreifen

Von Brigitte Pilz

Politik

Die Diskussion um die Sklaverei und um den Zionismus haben die Medienberichte über die Vorbereitung der Rassismuskonferenz beherrscht. Andere gewichtige Forderungen sind kaum beachtet worden, so jene der indischen Dalits-Menschenrechtskampagne. Sie haben verlangt, in Durban müsste Kastendiskriminierung mit Rassismus gleichgesetzt und behandelt werden. Einige entsprechende Textpassagen sind in den Entwurf der Schlusserklärung und des Aktionsprogramms eingegangen. Indiens Regierung versucht aber, deren Verabschiedung zu verhindern, indem sie sich als Vermittlerin in Sachen Kolonialismus ins Spiel bringt.


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Nach wie vor ist in Indien die Kastenordnung Grund einer "sozialen Apartheid", die 160 Millionen Menschen betrifft. Die Dalits, "outcasts" (Kastenlose) oder "Unberührbare", befinden sich am unteren Ende der sozialen Hierarchie, mit Auswirkungen auf alle Lebensbereiche.

Abschaffung des Kastenunwesens auf dem Papier

Zwar sind die Dalits seit langem durch Anti-Diskriminierungsgesetze geschützt. Die "Unberührbarkeit" wurde 1950 konstitutionell abgeschafft. Eine Anzahl von Privilegien (Quoten im Bildungsbereich und bei Regierungsjobs), das Verbot von Schuldknechtschaft, der manuellen Reinigung von Latrinen usw. sollten ihre soziale Aufwertung unterstützen. Diese Regelungen änderten jedoch wenig an der sozialen Realität. Den Dalits wird häufig der Zugang zu Landerwerb verwehrt. Schuldknechtschaft gibt es nach wie vor, ebenso Kastenvorurteile und sozialen Boykott bis hin zu Gewalt gegen Dalits. Korruption innerhalb des Polizeiapparates und der Justiz verhindern eine konsequente Anwendung der Gesetze. Seitdem sich die Dalits organisieren und gegen ihre Diskriminierung kämpfen, reagieren die herrschenden Eliten des Landes mit direkter Gewalt oder mit Verharmlosung und Leugnung.

Jetzt wehrt sich Indiens Oberschicht gegen eine Gleichsetzung von Kaste und Rasse durch die internationale Gemeinschaft. "Kastendiskriminierung habe", meldete sich etwa der Generalbeauftragte der indischen Regierung in Genf, Soli J. Sorabjee, zu Wort, "nichts mit der Rasse einer Person zu tun".

Soziale Stellung durch Geburt festgelegt

Die Dalit-Vertreter weisen darauf hin, dass die Kastenzuschreibung durch Abstammung und Herkunft erfolgt und der Erwerb des gesellschaftlichen Status durch Geburt festgelegt werde. Ihr Anliegen ist es, ihre soziale Diskriminierung endlich international verurteilt zu wissen. Sie fordern: "Formen von Unberührbarkeit müssen als gegen die Menschlichkeit gerichtetes Verbrechen überall geächtet und bestraft werden." Die Einsetzung eines Sonderberichterstatters solle die Aufdeckung und Verfolgung diskriminierender Praktiken unterstützen. In der zweijährigen Vorbereitung blieb der Fokus nicht auf Indien beschränkt. 240 Millionen Menschen in Indien und Südasien sind heute gezwungen, ein Leben als outcasts zu führen.