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Katalanische Politikerin seit 10 Monaten in U-Haft

Von Krystyna Schreiber

Politik

Carme Forcadell wird die Mitorganisation des Referendums zur Loslösung von Spanien als "Rebellion" ausgelegt.


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Barcelona. Damals, zu den Regionalwahlen im Dezember 2017, hatte Carme Forcadell Journalisten in einem mit Edelholz eingerichteten Büro empfangen. Fotos auf einem Wandregal erzählten vom Einsatz der damaligen Parlamentspräsidentin für Kataloniens Unabhängigkeit.

Jahrelang hatte Forcadell die Massen als Vorsitzende der ANC, eine der größten Bürgerorganisationen, die sich für die Loslösung von Spanien einsetzt, mobilisiert. Bei den Wahlen 2015 verkörperte sie den Traum vieler Unabhängigkeitsbefürworter. Warum sonst wurde sie, die Aktivistin, in das höchste Amt der katalanischen Legislative gewählt - in das der Parlamentspräsidentin?

Für ihre Gegner ist sie freilich eine Separatistin und "ideologisch zu unflexibel".

Statt im Büro sitzt Forcadell im Gefängnis. Sie trägt einen grauen Zweiteiler, sitzt hinter einer Glaswand und spricht hastig in eine Telefonmuschel, als ob sie Sorge hätte, eine Gefängniswärterin könnte sie ihr aus der Hand nehmen.

Im Gefängnis Mas d’Enric, wo Forcadell seit Juli 2018 in Untersuchungshaft sitzt, verbüßen rund 700 Männer und 30 Frauen - zumeist wegen Gewaltverbrechen und Drogendelikten - lange Haftstrafen.

Im Schleusenprinzip durchquert der Besucher acht Sicherheitstüren aus Stahlgittern, zwei Gebäude und einen großen leeren Platz, um in den Gesprächssaal von gefühlt einhundert Glaskabinen zu gelangen.

Es gehe ihr den Umständen entsprechend, sagt Forcadell ins Telefon. Dabei wirkt sie zerbrechlich. Dieses für männliche Häftlinge konzipierte Gefängnis in der Nähe von Tarragona ist besonders hart.

Die 63-jährige Forcadell habe es gewählt, weil es das einzige in der Nähe ihrer 90-jährigen Mutter und der Enkelkinder sei. Forcadell verbringt 16 Stunden am Tag in ihrer 15 Quadratmeter großen Zelle. In der Nacht wird sie eingeschlossen. Hier ist die Politikerin eine unter vielen Gefangenen, die sie als "teilweise sehr aggressiv" einstuft. Im Gefängnisalltag gebe es keinen Unterschied zwischen ihr, der U-Haft-Insassin, und den Straftäterinnen.

Die spanische Staatsanwaltschaft hatte Anfang November 2018 offiziell Anklage gegen 18 Protagonisten des katalanischen Unabhängigkeitsprozesses erhoben. Für Forcadell sowie für die aktuellen Vorsitzenden an der Spitze der Bürgerbewegungen ANC und Omnium Cultural, Jordi Sanchez und Jordi Cuixart, forderte sie insgesamt 17 Jahre Haft.

Das höchste Strafmaß verlangte die Staatsanwaltschaft für den ehemaligen Vize-Regierungschef und Wirtschaftsminister der katalanischen Regionalregierung, Oriol Junqueras. Wegen Rebellion und Veruntreuung öffentlicher Gelder forderte die Staatsanwaltschaft eine Gefängnisstrafe von 25 Jahren für Junqueras.

Stein des Anstoßes: Die Angeklagten sollen sich an der Durchführung einer von Madrid als illegalen eingestuften Abspaltung der Region beteiligt haben, die am 27. Oktober 2017 in der Ausrufung der katalanischen Republik gipfelte.

"Ich hätte nie gedacht, im Gefängnis zu landen"

Hatte Forcadell mit einer Haftstrafe gerechnet, als sie in ihrem Amt die Anweisungen des Verfassungsgerichts wissentlich ignorierte? Der Gerichtshof hatte schließlich schon das Referendum über die Unabhängigkeit für illegal erklärt. "Als ich mich 2015 zur Wahl stellte, hätte ich nie gedacht, drei Jahre später im Gefängnis zu landen", antwortet Forcadell. Sie habe höchstens mit einer Anklage wegen Ungehorsam gerechnet, aber nie wegen Rebellion.

Die ERC-Politikerin Forcadell schloss sich der Bewegung Junts pel Sí (Gemeinsam für das Ja) des damaligen Regionalpräsidenten Carles Puigdemont an, die für das "Ja" zur Loslösung eine gemeinsame Liste bildeten.

Der friedliche Charakter der Unabhängigkeitsbewegung sei laut Forcadell bekannt gewesen. Der Tatbestand der Rebellion verlangt aber im spanischen Strafrecht das Element der Gewalt.

"Ich habe nur verhindert, dass die parlamentarische Initiative (der Loslösung von Spanien, Anm.) durch ein Gericht zensiert wird. Ich verstehe nicht, was das mit Rebellion zu tun hat", sagt sie. Andere legen ihr zur Last, dass sie das Referendum überhaupt auf die Tagesordnung gehievt hatte.

Hat Forcadell Angst? Sie antwortet zögernd: "Ich habe Angst, keinen fairen Prozess zu bekommen." Der sie anklagende Staatsanwalt stütze sich exklusiv auf einen Bericht einer spanischen Polizeieinheit. Er habe in der Anklage "sogar die gleichen Fehler übernommen, wie falsche Angaben bezüglich meiner Tätigkeit in der ANC", erzählt Forcadell. Auch könne sie nicht nachvollziehen, warum ihre Stimme im Parlamentspräsidium mehr Gewicht hatte als die ihrer Kollegen, die für die gleichen Entscheidungen "nur" wegen Ungehorsams angeklagt würden. Die lange U-Haft, die sich mit März jährt, sei nicht gerechtfertigt.

Forcadell hatte im November 2017, nach einer Nacht im Gefängnis, eine Kaution von 150.000 Euro hinterlegt und war auf freiem Fuß, sie erfüllte monatelang alle gerichtlichen Auflagen.

Nach einem Tag im Parlament wurde Forcadell festgenommen

Doch im März 2018 wurde sie wieder in U-Haft genommen. Diesmal ohne Kaution.

Forcadell glaubt, dass der Grund, warum sie später dennoch in Gewahrsam genommen wurde, die Fortsetzung ihrer politischen Tätigkeit war: "Es gab keinerlei Veränderung der Situation zwischen dem 22. März, da ich als Abgeordnete an der Wahl des Präsidenten teilnahm und dem 23. März, als ich in Untersuchungshaft kam." Alle fünf der juristisch verfolgten Abgeordneten wurden damals inhaftiert, darunter der Kandidat für das Amt des Ministerpräsidenten, Jordi Turull. "Es gibt offensichtlich ein Interesse daran, dass wir im Gefängnis sind", sagt Forcadell.

Ihre Anwältin Olga Arderiu erklärt, sie habe in den 20 Jahren als Juristin nie eine solche Politisierung der Justiz erlebt. Es gebe rechtlich keine Handhabe, Forcadell der Rebellion zu beschuldigen, und andere Angeklagte nur des Ungehorsams. Zudem stütze sich die gesamte Klage gegen die Führung der Unabhängigkeitsbewegung auf angebliche Gewalt wegen Ausschreitungen im Vorfeld des Referendums und am Tag des Plebiszit selbst.

Forcadell ist überzeugt, dass der wahre Grund für die gegen sie gerichtete Anklage nicht ihre Entscheidungen als Parlamentspräsidentin sind. "Ich bin hier, weil ich Vorsitzende der ANC war. Das ist der einzige qualitative Unterschied zu meinen Kollegen." Und ihre Anwältin glaubt, dass es im Verfahren gegen Forcadell nicht um Tatbestände geht, sondern darum, die Führung der Unabhängigkeitsbewegung auszuschalten. "Ob drei oder siebzehn Jahre - ich werde verurteilt", so Forcadell.

Ende Jänner sollen sie und die weiteren acht inhaftierten Politiker und Aktivisten zur Gerichtsverhandlung nach Madrid überstellt werden. Die rechtsextreme Partei Vox verlangt als Nebenklägerin bis zu 74 Jahre Haft. Gegen die im Ausland befindlichen Politiker, darunter Ex-Regionalpräsident Puigdemont, dessen Auslieferung wegen Rebellion EU-Staaten wie Belgien und Deutschland ablehnten, wird nicht prozessiert.

Die Katalanen setzen ihre Hoffnungen auf Straßburg

Aus Forcadells Sicht sei die Gerichtsverhandlung gegen die Unabhängigkeitsbewegung wegweisend: "Es geht um Meinungsfreiheit und unsere ideologische Freiheit. Diese Rechte werden das erste Mal seit Spaniens Rückkehr zur Demokratie vor einem Gericht verhandelt." Der Prozess solle Angst machen, so Forcadell. "Die Gesetze können sich ändern, aber unsere Rechte sind unantastbar. Ansonsten gehen wir als Gesellschaft rückwärts. Ich weigere mich, das hinzunehmen."

Die Angeklagten haben wenig Vertrauen in die spanischen Richter, setzen aber große Hoffnungen in die europäische Justiz. Der seit vierzehn Monaten inhaftierte ehemalige Vizepräsident Kataloniens, Oriol Junqueras, erklärte kürzlich gegenüber dem katalanischen Sender TV3: "Unsere Endstation ist Straßburg." Allerdings räumte er ein, dass es Jahre bis dahin dauern könnte.

Auch Amnesty International stellt den Prozess infrage und hat die Beobachtung der Gerichtsverhandlungen beantragt. Erst im November 2018 erlitt die spanische Justiz einen Rückschlag vor dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte in Straßburg, der dem baskischen Separatisten Arnaldo Otegi recht gab, er habe in Spanien keinen fairen Prozess erhalten. Die zuständigen Richter seien nicht unparteiisch gewesen, urteilte Straßburg. Der Nationale Gerichtshof in Madrid hatte Otegi 2009 wegen Wiederbelebung der verbotenen Batasuna-Partei und Zugehörigkeit zu einer terroristischen Vereinigung zu zehn Jahren Haft verurteilt. Batasuna galt als politisches Sprachrohr der baskischen Untergrundorganisation ETA.