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Kataloniens "Patrioten" steuern ein Chaos an

Von Clemens M. Hutter

Gastkommentare
Clemens M. Hutter war Leiter des Auslandsressorts bei den "Salzburger Nachrichten".

Mit der Unabhängigkeit verlöre Spaniens wirtschaftlich stärkste Region ihre Leistungskraft. Verfassungsartikel 155 würde aber einen Ausweg weisen.


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Katalonien verbot 2010 den Stierkampf und verwandelte die große Arena in Barcelona in ein modernes Einkaufszentrum. Spaniens Höchstgericht kippte zeitverzögert das Verbot als "verfassungswidrig", weil der Stierkampf als kulturelles Erbe Spaniens in die Kompetenz der Zentralregierung in Madrid falle. Dieser Vorgang illustriert, warum sich Katalonien seit dem 18. Jahrhundert von Madrid bevormundet fühlt und nun im Referendum für die Unabhängigkeit stimmte - auch gemäß dem höhnischen Sprichwort: "Afrika beginnt bei den Pyrenäen."

Das Referendum bündelte die Probleme dieses Falles. Es beteiligten sich nur 45 Prozent der stimmberechtigten Katalanen, 90 Prozent davon stimmten für die Unabhängigkeit. Folglich votierten 62 Prozent nicht dafür, und das lenkt den Blick auf die Grenzen in Katalonien: Rund ein Drittel der Einwohner nennen sich Katalanen, ein Drittel Spanier und ein Drittel beides.

Kataloniens Ministerpräsident Carles Puigdemont hat das Referendum angesetzt, formal gewonnen und gravierende Folgen ausgelöst. Katalonien zählt 16 Prozent der Einwohner Spaniens, erbringt aber dank starker Industrie und Tourismus 20 Prozent der spanischen Wirtschaftsleistung. Gleichwohl ist es tief verschuldet, weil es mehr Steuern an Madrid abliefern muss, als es aus dem Steuertopf erhält.

Die Zukunft mutet ziemlich düster an: Banken und Betriebe verlassen bereits das Land, denn ein unabhängiges Katalonien schiede aus der EU aus, säße hinter Zollschranken und müsste erst die Aufnahme in die EU beantragen. Dass unter anderen Frankreich, Belgien und Spanien wegen "unruhiger" Minderheiten das dafür erforderliche einstimmige Votum der EU verhindern würden, liegt auf der Hand. Was dann?

Spaniens Premier Mariano Rajoy ging zwar formalrechtlich korrekt, aber taktisch nicht geschickt vor. Weil Artikel 2 der Verfassung die "unauflösliche Einheit der spanischen Nation" festschreibt, schickte er ein Riesen-Polizeiaufgebot nach Katalonien, das dort brutal vorging. Das Referendum fand trotzdem statt. Und für heute ist die Erklärung der Unabhängigkeit im Regionalparlament vorgesehen - sofern die Polizei das nicht verhindert.

Rajoy lehnt Verhandlungen mit den Katalanen und internationale Vermittler ab. Hingegen bot Puigdemont Madrid Gespräche an. Das ist politische Schaufensterdekoration, denn nach der Vorgeschichte verlöre er mit einem Rückzug seine politische Basis. Folgerichtig forderten am Wochenende Massendemonstrationen gegen Kataloniens Unabhängigkeit: "Redet oder tretet zurück." Schade, dass Madrid und Barcelona nicht das Südtirol-Abkommen von 1972 zu Rate zogen, das den erbitterten Konflikt zwischen einer Minderheit und der Zentralregierung zu beider Zufriedenheit gelöst hatte.

Einen Ausweg weist Artikel 155 der spanischen Verfassung: Madrid kann die Regionen seiner Verwaltung unterstellen und so auch Kataloniens Unabhängigkeit unterbinden. Dies böte auch eine Lösung, die nicht als Bevormundung Kataloniens diffamierbar wäre: Madrid könnte in Katalonien Regionalwahlen ansetzen, die zeigen könnten, ob wirklich 62 Prozent der Katalanen wie beim Referendum nicht für die Unabhängigkeit stimmen.