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Katastrophe blieb aus

Von Michael Schmölzer

Europaarchiv

150 Tage sind vergangen und nichts ist passiert: So könnte man die Situation für Niederösterreichs Gewerbetreibende nach der EU-Erweiterung auf eine kurze Formel bringen. Weder eingefleischte Pessimisten noch strahlende Optimisten haben mit ihren jeweiligen Prognosen über die Auswirkungen der EU-Erweiterung recht behalten.


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Josef Breiter, Obmann der Sparte Gewerbe und Handel in der Wirtschaftskammer Niederösterreich gab gestern vor Journalisten Entwarnung: Die Befürchtungen, die im Vorfeld des 1. Mai 2004 geäußert worden waren, seien nicht eingetroffen. Beispiel etwa Friseure: Eine Untersuchung habe ergeben, das nach wie vor der Coiffeur im gleichen Ort und nicht der Widersacher jenseits der Grenze die größte Konkurrenz darstellt. Die Kunststoffverarbeiter freuen sich über die Öffnung der Grenzen, weil die Transportkosten jetzt um beachtliche 20 bis 30 Prozent zurückgegangen sind und auch die Bodenleger, die vor dem 1. Mai Horden billiger Konkurrenz aus Tschechien und der Slowakei erwartet hatten, dürfen entspannen.

Von Mai bis August habe es in Niederösterreich magere 185 Gewerbeanmeldungen aus der Slowakei, aus Polen, Tschechien und Ungarn gegeben, weiß Breiter. 73 davon seien auf die Sparte Gewerbe und Handwerk entfallen. Vergleicht man diese Zahl mit den 27.000 niederösterreichischen Wirtschaftskammermitgliedern in der Sparte Gewerbe und Handwerk, kann von einer "Schwemme" kaum die Rede sein.

Ein Befund, den Walter Bornett von der KMU Forschung Austria nur bestätigen kann: "Die wichtigen Veränderungen sind bereits 1989 geschehen." Laut Unternehmerbefragung würden 85 Prozent der Betriebe angeben, dass sich in den Bereichen Nachfrage und Arbeitskräfteangebot etwas verändert hätte. Dennoch gäbe es Verlierer der EU-Erweiterung, so Bornett, und zwar vor allem unter den Kleinstunternehmern mit weniger als zehn Beschäftigten. 20 Prozent melden hier Umsatzrückgänge, nur 3 Prozent dürfen sich über Zuwächse freuen.

Entwarnung gibt auch Herbert Klement, Wirtschaftskammer-Konsulent in Tschechien. Er beobachtet in punkto Einkaufstouren ins benachbarte Ausland eine "gewisse Übersättigung". So wären etwa die Parkplätze der Einkaufs-Hochburg "Excalibur City" an der tschechisch-österreichischen Grenze während der Woche weitgehend "leer".

Großes Potenzial im Osten

Nicht die Kunden, vielmehr österreichische Unternehmer scheinen an den Möglichkeiten in den neuen EU-Ländern interessiert. Andreas Hopf, Bereichsleiter Centrope der Raiffeisenlandesbank NÖ-Wien berichtet von einer Verdreifachung von Investitionsvorhaben in der Region.

Während Gewerbetreibende erst langsam ihre Fühler ausstrecken, haben österreichische Handelsketten die Region längst entdeckt. Und erfreulich: Das Potenzial in diesen Ländern - vor allem in der Slowakei - ist für Handelsunternehmen, die erst heuer oder nächstes Jahr dort starten, immer noch groß, sagt eine Studie von RegioPlan Consulting. Von den österreichischen Unternehmen haben sich neben den Baumarktketten wie bauMax und Obi sowie Möbelhäusern wie Kika vor allem die Lebensmittelketten Billa und Spar oder auch Textilhändler wie Palmers oder Schuhhändler wie die Leder & Schuh AG in den Nachbarländern etabliert. Auch die Sportartikelhändler wie Hervis oder Gigasport weichen den gesättigten Heimmärkten zunehmend aus und expandieren außerhalb der Grenzen. Die wahren Ostpioniere ziehen indes weiter ostwärts, in die Ukraine, nach Weißrussland oder Russland. Und wenden sich den Ländern Ex-Jugoslawiens zu.