Vor 50 Jahren starben erstmals Menschen an Bord von Raumschiffen: Zuerst, am 28. Jänner 1967, bei einem missglückten Apollo-Test - und dann im April, als eine Sojus-Kapsel am Boden zerschellte.
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Cape Kennedy Air Force Station, Startrampe 34: In Mitteleuropa ist gerade der 28. Jänner 1967 angebrochen, als in Florida ein Routinetest über die Bühne geht. 16 Mal sind US-Amerikaner bisher ins All gestartet: zuerst in einsitzigen Mercury-Kapseln, dann in doppelsitzigen Geminis. Mit den Gemini-Flügen hat die NASA die Führung im Wettlauf zum Mond an sich gerissen. Doch dieses Rennen verläuft überaus hektisch.<p>Man kann bei den Apollo-Schiffen nicht einmal alle Erkenntnisse des abgeschlossenen Gemini-Programms berücksichtigen. Die neue Apollo wirkt im Vergleich zu allen bisherigen Raumfahrzeugen jedenfalls wie ein "Straßenkreuzer": Das mit Abstand größte und komplexeste aller Raumschiffe wurde bisher aber nur unbemannt getestet.<p>Jetzt ruht das Raumfahrzeug 43 Meter über dem Boden, montiert an der Spitze einer unbetankten Saturn IB-Rakete. In den Kontursitzen sind drei Astronauten festgeschnallt. Sie üben jene Prozeduren, die beim bemannten Start in drei Wochen ablaufen sollen. Dieser Jungfernflug wird bis zu 14 Tage dauern. Vor der späteren Reise zum Mond muss sich das Schiff noch im Erdorbit bewähren. Die Auswirkung längerer Schwerelosigkeit auf Knochen, Herz und Nieren der Astronauten soll dabei ebenfalls überprüft werden.<p>
Feuer im Cockpit
<p>Der heutige Test in der Apollo-Kapsel wird als unkritisch eingestuft. Links sitzt der Kommandant Virgil Grissom. Er war schon mit einer Mercury und einer Gemini im All. Seine Mercury versank allerdings im Atlantik, weil sich ihre Luke vorzeitig öffnete und Wasser hineinschwappte. Damit so etwas nicht noch einmal passiert, ist die Luke der Apollo zweiteilig aufgebaut. Das äußere Element lässt sich nach außen öffnen, das schwere innere Element nur nach innen: Für diesen Kraftakt ist Edward White zuständig, der Mann in der Mitte der Kapsel. Er wagte 1965 den zweiten Ausstieg eines Menschen ins All, kurz nach dem Russen Alexei Leonow. Rechts von White hat Roger Chaffee Platz genommen, ein ehemaliger Marine-Pilot ohne Raumflugerfahrung.<p>Die Kabinenluft besteht aus reinem Sauerstoff. Die Kühlflüssigkeit ist - wie auch anderes im Schiff - entflammbar. Die Leitungen und elektrischen Drähte sind nicht völlig vor Beschädigungen geschützt. Doch daran denkt jetzt niemand. Vielmehr ärgert sich Grissom über Probleme mit dem Sprechfunk. Dann, einige Sekunden vor 0:31 MEZ, blitzt wohl irgendwo ein Funken auf.<p>"Feuer! Wir haben ein Feuer im Cockpit", ruft Chaffee: "Ein arges Feuer". Feuerlöschsysteme oder Handfeuerlöscher gibt es nicht an Bord. "Wir müssen raus, wir verbrennen!". Dann folgt ein kurzer, schriller Schrei. Das Feuer lässt Temperatur und Druck hochschnellen. Die Männer atmen giftige Gase ein. White versucht, die schwere Luke zu öffnen. Doch er ist rasch bewusstlos. Etwa gleichzeitig birst die Kapsel. Rettungskräfte und Techniker sind herbei geeilt. Detonationen werfen sie zu Boden, der Rauch macht sie fast blind. Geschmolzenes Metall tropft herab.<p>Als die Luke fünf Minuten später endlich offen steht, blickt man auf drei Leichname in teils geschmolzenen Raumanzügen. Nach weiteren sieben Stunden werden sie geborgen. Grissom, White und Chaffee sind die ersten Menschen, die in einem Raumfahrzeug ums Leben kommen.<p>
Die neue Sojus
<p>Moskau sendet den Ehefrauen der getöteten US-Amerikaner Kondolenzschreiben. Das sowjetische Kosmonautenkorps schließt sich an. Dessen Mitglieder fiebern ebenfalls dem Mondflug entgegen. Ihr geheimes Mondlandeprogramm ähnelt jenem der NASA.<p>Während amerikanische Mondfahrer allerdings durch einen Tunnel vom Mutterschiff in die Landefährte umsteigen werden, müssen die Russen außen von einem Schiff ins andere klettern. Acht bemannte Raumflüge haben sie schon absolviert, in Wostok- und in Woschod-Kapseln. Doch seit Alexei Leonows "Weltraumspaziergang" vor zwei Jahren ist kein einziger Kosmonaut mehr gestartet. Auf das neue Schiff, die Sojus, hat man viel zu lange warten müssen. Der überraschende Tod des charismatischen Chefkonstrukteurs Sergei Koroljow im Jänner 1966 ist nur einer von mehreren Gründen für die Verzögerung.<p>Mit der manövrierfähigen Sojus möchte man den Rückstand auf die Amerikaner aufholen. Die sind jetzt, nach dem Apollo-1-Unglück, sowieso an den Boden gefesselt. Hingegen plant die sowjetische Führung spätestens im Herbst 1967, zum 50. Jahrestag der Oktoberrevolution, eine bemannte Mondumkreisung! Das wäre ein überaus wichtiger Etappensieg und ein gewaltiger Prestigeerfolg. Ein Jahr später wäre sogar die erste Landung auf dem Erdtrabanten möglich, glauben Moskauer Optimisten.<p>Obwohl alle automatischen Testflüge gescheitert sind, soll die neue Sojus am 23. April 1967 zu ihrem bemannten Jungfernflug aufbrechen. Wladimir Komarow, der 1964 bereits eine Woschod kommandierte, wird sie ganz allein steuern. Juri Gagarin, einst der allererste Raumfahrer, ist sein Ersatzmann: Die Weltraumlegende hilft dem 40-jährigen Komarow beim Einsteigen ins Schiff.<p>Der Start klappt. Doch kaum ist die Sojus 1 im Orbit angelangt, kommt es zu Problemen. Das linke Solarmodul entfaltet sich nicht. Der Strom wird knapp. Das verkrüppelte Modul behindert außerdem das automatische Lageregelungssystem. Komarow kann die Kapsel zwar mühevoll per Handsteuerung an der Sonne ausrichten, doch erschöpft sich dabei der Treibstoffvorrat.<p>Eigentlich müsste jetzt schon die nächste Sojus hochsteigen, und zwar mit drei Kosmonauten an Bord. Die Schiffe sollen im Orbit aneinander ankoppeln. Dann werden zwei Passagiere der Sojus 2 aussteigen und in Komarows Sojus 1 überwechseln. Ein derartiges Umsteigemanöver wäre eine Premiere, ja eine Sensation - und Voraussetzung für spätere sowjetische Mondlandungen. Doch angesichts der Pannen, mit der Komarow zu kämpfen hat, sagt man den Start der baugleichen Sojus 2 ab; vorgeblich wegen starken Regens. Das wird zumindest deren Besatzung vor dem Schlimmsten bewahren.<p>
Bloß runter!
<p>Jetzt gibt es nur noch ein einziges Ziel: Die Sojus 1 rasch wieder auf den Erdboden bringen. Komarow richtet das Schiff abermals an der Sonne aus. Während er in die Nacht hinein fliegt, halten Gyro-skope die Lage des Schiffs stabil. Komarow zündet das Bremstriebwerk. Dann taucht seine Sojus in die Lufthülle ein. Sie schießt auf Orsk zu, unweit der Grenze zu Kasachstan.<p>In etwa zehn Kilometern Höhe löst ein Drucksensor die dreiteilige Fallschirmsequenz aus. Der erste Schirm soll den zweiten, der zweite den noch größeren dritten aus dem Behälter ziehen. Doch Schirm Nummer 2 scheitert an seiner Aufgabe. Der Hauptfallschirm verharrt im Container. Da die Kapsel zu rasch fällt, aktiviert die Automatik den Reservefallschirm, 5500 Meter über Grund. Doch der entfaltet sich nicht, weil ihm die Leinen des gescheiterten Schirms Nummer 2 in die Quere kommen.<p>So schlägt die Sojus mit etwa 130 km/h in den Boden ein. Ihre kleinen Bremstriebwerke explodieren dabei. Das arg zusammengestauchte Gefährt brennt. Augenzeugen eilen herbei und bewerfen es mit Erde, um die Flammen zu ersticken. Rasch ist das Bergungsteam zur Stelle. Zunächst findet man Komarow nicht. Doch dann stößt man im Wrack auf einen unregelmäßig geformten schwarzen Klumpen, etwa 30 mal 80 cm klein. Der Kosmonaut ist beim Aufprall getötet wurden, als erster Mensch während eines Raumflugs. Man setzt seine Asche in der Kremlmauer bei.<p>Wie die Untersuchungen ergeben, war wohl der Fallschirmcontainer beim Aufbringen des Hitzeschilds nicht korrekt abgedeckt gewesen. Harzpartikel verklebten seine Wände und machten sie rau. Die erhöhte Reibung reichte, um das Ausfahren des Hauptfallschirms zu vereiteln. Das Behältnis wird daraufhin vergrößert; seine Wände poliert. Juri Gagarin erhält Flugverbot: Diese Ikone ist zu wertvoll, um sie Risiken auszusetzen. Bemannte Weltraummissionen ruhen weitere 18 Monate.<p>Die NASA hat mittlerweile den Umbau ihrer Apollo-Schiffe in Auftrag gegeben. Kostenpunkt: 75 Millionen US-Dollar. Die neue Luke geht nach außen auf. Sie lässt sich von der Schiffsbesatzung binnen zehn Sekunden öffnen. Die erste bemannte Apollo wird aber erst am 11. Oktober 1968 aufsteigen, mit 20 Monaten Verspätung. Zwei Wochen danach bringt die Sowjetunion endlich auch ihre zweite bemannte Sojus ins All.<p>
Treffen in Paris
<p>Schon im Mai 1967 begegnen einander sowjetische und amerikanische Raumfahrer auf der Pariser Luftfahrtschau - und zwar informell. Zunächst spazieren die Amerikaner am sowjetischen Pavillon vorbei. Sie werden von ihren russischen Kollegen erkannt und sofort willkommen geheißen.<p>Um dem Medienrummel zu entfliehen, zieht man sich in einen Jet vom Typ Tupolew Tu-104 zurück. Einer der vier Männer ist der Gemini-8-Pilot David Scott; er war lange Zeit auch in der Ersatz-Crew von Apollo 1 gewesen. Scott genießt die ungezwungene Atmosphäre und die herzlichen Gespräche mit den Russen. Technische Fragen werden aber nur vorsichtig angesprochen. Niemand will als allzu neugierig gelten.<p>Auch die Umstände der beiden Unfälle sind kein Thema. Man erkundigt sich lediglich nach dem Befinden der Witwen. Dann stoßen die Raumfahrer, so Scott, "auf die Hoffnung an, dass es auf beiden Seiten keine weiteren Unfälle mehr geben werde". Sie erfüllt sich nicht. Zwischen 1971 und 2014 sterben noch 18 weitere Menschen an Bord von Raumfahrzeugen.
Christian Pinter, geboren 1959, schreibt im "extra" der Wiener Zeitung seit 1991 über Astronomie und Raumfahrt. Internet: www.himmelszelt.at