Zur Natur-, Kultur- und Mediengeschichte des sagenumwobenen, einzelgängerischen Pelztiers.
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Das Musical "Cats" sorgt seit September 2019 wieder für Begeisterung in Wien. Aufgrund großer Nachfrage wurde es trotz Corona bereits zweimal verlängert und ist ab 11. September 2021 wieder im Ronacher zu sehen. Bis jetzt haben weltweit mehr als 73 Millionen Menschen in 30 Ländern und 16 Sprachen dieses Musical besucht.
Die geheimnisvolle Katze ist aber nicht nur auf der Musicalbühne zu finden, sondern in fast jeder Kultur, und schon früh wurde sie als Vermittlerin zwischen den Welten bewundert.
Die Katze begleitet die Götter auf leisen Pfoten, sie wandelt als Botschafterin zwischen Heiligen und Menschen umher, sie streift durch die gespenstischen Landschaften unserer Träume und schützt uns vor den Mächten des Bösen. Sie hütet die alten Geheimnisse der Natur, und manchmal kann sie sogar Tote wieder zum Leben erwecken. Ganz nebenbei tragen Katzen die Weisheiten aller großen Philosophien in sich.
Der amerikanische Poet Dilys Bennett Laing berichtet von einem Gespräch mit seiner Vertrauten: "Ich ließ das Buch ,Die Bedeutung des Zen‘ sinken und sah die Katze in ihr Fell lächeln, während sie es sorgsam mit ihrer rosa Zunge kämmte. ‚Katze, ich würde dir dieses Buch zum Lernen leihen, aber es scheint, als hättest du es schon gelesen.‘ Sie hob ihren Kopf und sah mich direkt an: ‚Sei nicht albern‘, schnurrte sie, ‚ich habe es geschrieben.‘"
Es ist wie mit den Beatles und den Rolling Stones. Wie mit Georg Danzer und Wolfgang Ambros. Wie mit Austria und Rapid. Oder wie mit Hund und Katz’. Es sind unterschiedliche Weltanschauungen, die die Menschen in zwei Gruppen teilen - und am Ende doch ein Ganzes ergeben. "Ein Hund ist Prosa", sagt ein Sprichwort, "eine Katze Poesie." Jedenfalls teilen diese rätselhaften pelzigen Wesen seit vielen Jahrtausenden mit uns Haus und Hof - und doch wissen wir relativ wenig über diese einzelgängerischen Tiere.
Meine Kätzchen lieben mich. Sie stammen von einem steirischen Bauernhof, heißen Che und Chica und haben eine neue Qualität in mein Leben gebracht. Katzen sind perfekte Partner für einen lebenslustigen, verspielten Schriftsteller und dienen als sinnlich- luxuriöse Musen und emotionale Energiespender gegen Mangelerscheinungen des modernen Lebens. Kollegin Eva Demski hat einmal notiert: "Katzen sind das fellgewordene Lob der Geduld, der Ruhe und der Einkehr. Sie sind die besten Genossen, wenn man allein ist und nicht allein sein will."
Wenn ich abends nach Hause komme, kann ich schon von Weitem die kleinen Köpfe mit den spitzen Ohren am Fenster sehen. Aufgeregt drücken sie ihre Näschen gegen die Glasscheiben, und ich frage mich jedes Mal, wer ihnen den Zeitpunkt meiner Ankunft verraten hat. Hinter der Wohnungstüre fallen sie dann vor lauter Freude verspielt übereinander her, um mich zu erfreuen. An manchen Tagen komme ich nicht einmal dazu, die Wohnungstüre hinter mir zuzumachen, so sehr nehmen sie mich in Beschlag.
Ihre Liebe beschämt mich an manchen Tagen. Ich habe diese Zuneigung nicht verdient, denke ich - und stehe augenblicklich in ihrer Schuld. Beschämt eile ich zum Kühlschrank, gefolgt von Che und Chica, um ihnen Essen und Trinken zu servieren, und als Zeichen ihrer Zuneigung und Liebe kommen sie nachts zu mir ins Bett und legen mir ihre Pfötchen auf die Schultern.
"Auf Katzenpfaden"
Viele Frauen werden auch heute noch mit dem Vergleich mit einer Katze konfrontiert - nicht nur in Österreich, wo der Ausdruck "klasse Katz’" erotisches Verlangen in die Augen mancher Männer zaubert.
In der Schweiz etwa geht die Sage, dass die jungen Mädchen nächtens "auf Katzenpfaden" wandern und ihr sexuelles Begehren in Form einer Katze über die Dächer schicken. Die heiratsfähigen Männer im Alpenraum begnügen sich jedoch nicht mit der Vorstellung von den weiblichen Reizen, sie wollen "die Katze nicht im Sack" kaufen und haben ihre "Hauptlust an nackten Katzen". Dabei kann man sich allerdings täuschen, denn: "In der Nacht sind alle Katzen grau."
Auch die schöne Carmen aus Spanien soll viel von einer stolzen Katze an sich gehabt haben, die niemals kommt, wenn man(n) nach ihr ruft, sondern sich nur dann nähert, wenn sie selbst es will. Und natürlich ist Carmen in der Vorstellung von Frauenhassern falsch und treulos, wie eine Katze eben, die sich an ein und demselben Tag mehreren Katern lustvoll hingibt.
In der männlichen Phantasie ist die Katze eben mehr als nur ein schmeichlerisches Wesen mit exzentrischem Sexualtrieb. Die Katze erscheint dann als die Frau schlechthin. Und in der Geschichte ist sie oft auch die Begleiterin von sehr eigenständigen Frauen, die ihren Willen nicht von Männern, sei’s Geliebter oder Vater, brechen lassen wollen. Schöne Feen, tapfere Göttinnen und verfluchte Hexen treiben sich mit Katzen herum - Frauen eben, die sich nicht so leicht besitzen lassen.
Die Kulturgeschichte der Miezen ist auch Religionsgeschichte. Buddhisten beispielsweise sind davon überzeugt: "Indem man das Wesen einer Katze meditiert, vermag man die Erleuchtung zu erlangen." Zu sehr sollte man sich in Katzen aber nicht verlieben, weil eine solche Liebe vom Nirwana ablenkt. Deshalb hat der Dalai Lama vor kurzem eine kleine Katze weggegeben, die ihm zu sehr ans Herz gewachsen ist.
Die alten Ägypter sahen in den Veränderungen an der Pupille im Katzenauge das Zunehmen und Abnehmen des Mondes. Auch die Inder, die schon vor mehr als 5.000 Jahren die pelzwangigen Raubtiere zu schätzen wussten, brachten sie mit dem Mond in Verbindung, den sie sich als weiße schlafende Katze vorstellten. Weil sich Katzen beim Schlafen zusammenrollen, gelten die kleinen heiligen Tiere als Symbol des Lebensflusses schlechthin, als Verbindung zwischen Ende und Anfang. Und natürlich auch als nützliche Hausgeister, die plündernde Nagetiere von gefüllten Vorratskammern fernhalten.
Der Maler Hieronymus Bosch, Schöpfer üppiger, wilder Welten auf Leinwand, zeigt uns im Garten Eden die Katze als gnadenlose Jägerin von Ungeziefer. Und auch Albrecht Dürer lässt zwischen Adam und Eva in paradiesischer Ruhe eine Katze schlummern.
In den dunklen Zeiten der Hexenverbrennungen warf man Millionen von Katzen auf die Scheiterhaufen, um die Verbündeten der "Teufelsweiber" auch gleich mit auszurotten. Der "Ketzer" und die "Katze", das klang für die katholischen Inquisitoren verdächtig ähnlich. Verschont wurden nur Tiere, deren Fellzeichnung auf der Stirn ein "M" zeigte - "M" wie Maria, die heilige Jungfrau. Die anderen Katzen waren durch die Gottesmutter nicht geschützt: Sie starben in den Flammen, gemeinsam mit den Hexen.
"Darum spielen die Katzen in den Hexensagen eine so wichtige Rolle. Entweder sie bilden das Gespann der Hexen, oder die Hexen nehmen die Gestalt dieser Tiere an", meinte der tschechische Forscher Friedrich Nork. Die Verfolgung der Hexen und ihrer heiligen Katzen war nur der schreckliche und sichtbare Ausdruck für das Zurückdrängen einer Seite des menschlichen Wesens. Diese wurde von Priesterinnen, Sippenmüttern, Heilkundigen und Hebammen bis ins Mittelalter vertreten. Die "heilige Hatz auf die Katz" ist heute zwar vorbei, der Volksmund weiß aber immer noch Bescheid über den sagenhaft unheilvollen Zusammenhang zwischen Katze und Frau: "Auch die kleinste Katze kratzt!" und: "Erst leckt die Katze, dann krallt sie!"
"Unter sämtlichen Geschöpfen gibt es nur eines, das nicht zum Sklaven der Peitsche gemacht werden kann", notierte der Literat Mark Twain. "Dieses Geschöpf ist die Katze. Wenn der Mensch mit der Katze gekreuzt werden könnte, dann würde der Mensch wohl verbessert, die Katze aber verschlechtert werden."
Noch nie gab es in Österreich so viele Haustiere wie heute: mehr als vier Millionen. Ein gutes Drittel davon sind Katzen. Allein in Wien lebt in fast jedem dritten Haushalt eine Katze, und fast jedes zweite goldene Wienerherz ist davon überzeugt, dass ein Tier mehr Wert hat als ein Mensch.
Laut Google Trends ist die Katze das meistgesuchte Tier der Suchmaschine und bringt es auf mehr als 21 Millionen Treffer. Katzenbilder im Internet - und vor allem in den sozialen Netzwerken - sorgen "für positive Gefühle", stellt die Fachjournalistin Bianka Boock auf dem Portal digitalwelt.org fest: "Sie fördern die Konzentration, wie die Studie ‚The Power of Kawaii‘ der Hiroshima University belegt. Experimente haben gezeigt, dass die Teilnehmer Konzentrationsaufgaben nach dem Betrachten niedlicher Katzen-Bilder besser bewältigt haben. (...) Deshalb könnten niedliche Objekte künftig genutzt werden, um in speziellen Situationen, wie Fahren und Büroarbeit, die Vorsicht zu fördern."
Wer im Alltag mit vielen Menschen zu tun hat, wendet sich in seiner Freizeit oftmals Tieren zu - und fühlt sich dort weitaus besser verstanden als in menschlicher Gesellschaft. Katzenliebhaber sind vielleicht sogar zärtlichere Menschen. Sie sind kühne Abenteurer im Geiste und sind fasziniert vom weltumspannenden Freiheitsgedanken.
"Selbst die kleinste Katze ist ein Wunderwerk", bemerkte Leonardo da Vinci voller Ehrfurcht. Sie sind empfindliche Tiere, sehen sechsmal besser als der Mensch und hören auch mit den Augen, weil sie beim Schauen bestimmte Frequenzen spüren, die außerhalb unserer Wahrnehmung liegen. Bei Dunkelheit sehen sie ihre Umgebung wie mit einer Infrarotbrille. Außerdem können sie ihre Ohren wie Antennen einstellen und damit mehr Laute wahrnehmen als der Mensch. Und in der Nasenspitze sind 19 Millionen Nervenenden - beim Mensch nur fünf Millionen.
Immer wieder werden Katzen auch als therapeutische Heilmittel eingesetzt - mit erstaunlichen Erfolgen. Kranke Menschen, die eine Katze an ihrer Seite haben, so berichtete das Nachrichtenmagazin "Der Spiegel", werden nachweislicher schneller gesund, und deshalb empfehlen 75 Prozent der Ärzte ihren Patienten in erster Linie Katzen als Haustiere. Das Katzenfell ist eine Art Mikrowellenstrahler, der in einem für Pflanzen, Tiere und Menschen besonders günstigen Frequenzbereich von 1,5 bis 6 Gigahertz wirkt. Fühlen wir uns gerade deshalb in Gesellschaft von Katzen so wohl?
"Die Katze wird als ein Kunstwerk der ganzen Schöpfung erlebt, deren Schönheit sogar Götter und Feen begeistert", weiß Sergius Golowin, der über die "Göttin Katze" ein beeindruckendes Buch geschrieben hat. Tausende Sagen und Märchen hat Golowin gelesen, um die Seele der Katze zu erforschen. Bis zu seinem Tod vor 15 Jahren hat er sich mit den kleinen "Glückssternen auf der Erde" befasst - und konnte ihr Geheimnis doch nicht lüften: "Bei all den schönen Überlieferungen und Regeln darf man niemals vergessen: Meistens sind es gar nicht wir, die die Katze unseres Lebens finden. Sie findet uns! Auf einmal haben wir sie, obwohl sie oft gar nicht so aussieht, wie wir es uns vorher gewünscht haben."
Georg Biron, geboren 1958, lebt als Schriftsteller, Reporter, Regisseur und Schauspieler in Wien.