Debatte über die Regierung erst nach dem 20. Juni. | Zentrumswähler stimmten zu zwei Dritteln für Linke. | Rom. "Ich habe eine Versammlung gemacht, um den Termin für mein Begräbnis festzulegen, aber in den kommenden Tagen habe ich so viele Verpflichtungen, dass wir es verschoben haben", versuchte Italiens Regierungschef Silvio Berlusconi am Dienstag nach dem Debakel der Regierungsparteien bei den Kommunalstichwahlen zu scherzen.
Hinweis: Der Inhalt dieser Seite wurde vor 13 Jahren in der Wiener Zeitung veröffentlicht. Hier geht's zu unseren neuen Inhalten.
Vielen im Regierungslager ist allerdings der Humor abhanden gekommen. 55,1 Prozent für den Kandidaten der Linken, Giuliano Pisapia, in Mailand, 65,4 für Luigi de Magistris, den Berlusconi besonders attackiert hatte, in Neapel. Dazu klare Siege der Linkskandidaten in Sardiniens Hauptstadt Cagliari, in Triest, in Novara, ja selbst in Arcore, wo Berlusconis Villa steht, in der die berüchtigten Feste stattgefunden haben.
Vor allem beim Koalitionspartner Lega Nord, der eine Reihe von Bürgermeisterämtern in der Lombardei eingebüßt hat, ist Feuer am Dach. In den offiziellen Erklärungen der Parteispitze hält man zwar noch am Bündnis mit Berlusconi fest, Lega-Politiker der zweiten Reihe, wie etwa der Bürgermeister von Verona, Flavio Tosi, legen dem Premier aber schon nahe, über einen Schritt zurück zu reflektieren. Und die Lega-Basis macht in Anrufen an das parteieigene Radio Padania, wo am Montag schon "Bandiera Rossa" und die Internationale erklungen sind, aus ihren Herzen keine Mördergrube. Mit seinen Angriffen auf die Richter und die Wähler der Linken habe Berlusconi die eigenen Wähler vertrieben.
Die Wähler des aus Christdemokraten, Anhängern von Parlamentspräsident Fini und des früheren römischen Bürgermeisters, Francesco Rutelli bestehenden dritten Pols haben bei den Stichwahlen zu zwei Dritteln für die Kandidaten der Linken gestimmt.
Die Opposition forderte nach dem Debakel der Regierungsparteien den Rücktritt Berlusconis, der die Wahlen im Vorfeld zu einem Votum über seine Amtsführung hochstilisiert hatte und jetzt nichts mehr davon wissen will.
Nach dem 20. Juni muss sich die Regierung allerdings im Parlament stellen, wenn über die neuen Staatssekretäre debattiert wird.
Innerhalb der Regierungspartei Popolo della Liberta (PdL - Volk der Freiheit) gab es allerdings schon erste Konsequenzen. Sandro Bondi, einer der insgesamt drei PdL-Koordinatoren, der schon sein Amt als Kulturminister zurückgelegt hatte, gab auch seine Parteifunktion auf. Italienische Medien spekulieren darüber, dass der derzeitige Justizminister Angelino Alfano auch die beiden anderen Koordinatoren, Denis Verdini und Ignazio La Russa, ablösen soll.
Unterdessen wurde in Mailand bei Abwesenheit Berlusconis der Prozess um seien Beziehung zum Callgirl Ruby fortgesetzt.
L. de Magistris
(rm) Neapels neuer Bürgermeister Luigi de Magistris - geboren am 20. Juni 1967 - stammt aus einer Juristenfamilie. Schon sein Urgroßvater verfolgte schmutzige Geschäfte in den ersten Jahren nach der Vereinigung Italiens und war Opfer eines Attentats. Er selbst begann seine berufliche Laufbahn 1995 als Staatsanwalt, arbeitete ab 1998 in seiner Heimatstadt Neapel und ab 2002 in Catanzaro, wo er Ermittlungen wegen Veruntreuung von öffentlichen und EU-Geldern durch italienische Politiker durchführte. In sein Visier geriet auch der damalige Justizminister Clemente Mastella. Seine Gegner warfen De Magistris vor, Amtsgeheimnisse veröffentlicht zu haben, und ein Disziplinarsenat leitete daraufhin seine Strafversetzung ein. 2009 kandidierte er für die Partei "Italien der Werte" für das EU-Parlament und wurde mit 415.646 Vorzugsstimmen nur von Regierungschef Berlusconi geschlagen.
G. Pisapia
(rm) Mailands neues Stadtoberhaupt Giuliano Pisapia - am 20.Mai 1949 in Mailand geboren -, Sohn eines prominenten Anwalts und selbst anerkannter Jurist, hat seine politische Tätigkeit in den Siebzigerjahren bei der extrem linken Partei Democrazia Proletaria begonnen. 1996 wurde er als Unabhängiger auf den Listen der Rifondazione Comunista ins Parlament gewählt, dem er bis 2006 angehörte. Während der Regierungskrise 1998 sprach er gegen die Empfehlung seiner Partei der Regierung Prodi I das Vertrauen aus. Als Anwalt vertrat er den Kurdenführer Abdullah Öcalan und die Eltern des beim G8-Gipfel von Genua im Jahr 2001 getöteten Carlo Giuliani. Bei den Vorwahlen für die Bürgermeisterkandidatur im November 2010 besiegte der von der Linksgrünen Gruppe "Sinistra Ecologia Liberta" unterstützte Pisapia den offiziellen PD-Kandidaten, den Architekten Stefano Boeri.