Was den Normalverdiener auf die Palme treibt, wird von Politik und Medien nonchalant ignoriert.
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Dass Österreich in nahezu allen wichtigen wirtschaftlichen Kennzahlen und Rankings von der Spitze ins Mittelfeld abrutscht, ist seit Monaten deutlich sichtbar, führt bei der Regierung aber zu nicht übertrieben hektischen Reaktionen. Es gibt genug zu tun, lassen wir es sein, scheint das informelle Motto zu sein.
Doch nun berichtet Eurostat, dass wir auf einem Gebiet doch noch absolute Nummer eins sind: In keinem anderen Land der Eurozone sind Lebensmittel so teuer wie in Österreich, auch in keinem anderen EU-Staat mit Ausnahme Dänemarks.
Die Art und Weise, wie Politik und Medien auf diese Information reagierten, erklärt beispielhaft, warum das Verhältnis zwischen dem polit-medialen Komplex einerseits und den Wählern und Medienkonsumenten andererseits so getrübt ist wie selten zuvor. Denn natürlich berichteten die meisten Medien durchaus korrekt über die Eurostat-Zahlen. Doch jener Furor der moralischen Empörung, der dem Leser und Zuseher regelmäßig entgegenweht, wenn wieder einmal irgendein politischer Nebendarsteller der Kategorie D gegen irgendein Gebot der politischen Korrektheit verstoßen hat, blieb vollkommen aus. Auch ist nicht bekannt, dass ein einziger Politiker von Relevanz sich zu dieser Problematik irgendwie sinnvoll öffentlich eingelassen hätte.
Stattdessen arbeitete sich der ganze polit-mediale Komplex in diesen Tagen unverdrossen an der ethischen Bewertung von Rot-Blau im Burgenland, Personalien an der Spitze der SPÖ und ähnlichen Cinemascope-Dramen ab, die vor allem für die Bewohner des hochgradig selbstreferenziellen politischen Systems von Interesse sind.
Dabei ist dringend zu vermuten: Für den durchschnittlichen Österreicher, der um die 2500 Euro brutto im Monat verdient, sind die höchsten Lebensmittelpreise der EU von wesentlich größerer Relevanz als die theologisch sicher interessante Frage der Sündhaftigkeit einer Koalition der SPÖ mit der FPÖ. Und für eine Rentnerin, die mit weniger als 1000 Euro im Monat das Auslangen finden muss, stellen Paradeiser für 6 Euro pro Kilo mit ziemlicher Sicherheit ein größeres Ärgernis dar als ein allenfalls getrübtes Klima in der regierenden Koalition.
Nun kann man einwenden, dass die Lebensmittelpreise ja (zum Glück) nicht von der Regierung festgesetzt werden. Stimmt. Viel deutet aber darauf hin, dass Arbeiterkammer-Chef Werner Muhm durchaus recht hat, wenn er behauptet, "mangelnder Wettbewerb" sei eine der Hauptursachen der exzessiven Lebensmittelpreise in Österreich, und auf die zahllosen in den vergangenen Jahren aufgeflogenen illegalen Preisabsprachen verweist.
Die Voraussetzungen für ausreichend harten Wettbewerb herzustellen, wie er etwa in Deutschland herrscht und für niedrige Preise sorgt, kann man durchaus, und gerade auch aus marktwirtschaftlicher Sicht, für eine Staatsfunktion halten. Im Interesse der Konsumenten keine Oligopole zuzulassen, ist durchaus Aufgabe der Politik.
Das ist nicht einfach, und Scheitern ist möglich. Der österreichische Konsument und Wähler hat derzeit freilich stark den Eindruck, dass der Politik eines der wirklich relevanten Probleme schnurzegal ist, während sie sich an Themen abarbeitet, die den meisten Wählern schnurzegal sind. Auch so kann Politik versagen.