Das NeosLab berechnete die langfristige Wirkung von gestaffelten Anpassungen. Das Fazit des pinken Instituts: Das Versicherungsprinzip werde ausgehöhlt.
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Die jährlichen Pensionserhöhungen waren in Österreich immer schon von einem politischen Spektakel begleitet. In manchen Jahren gab es regelrechte Anpassungs-Versteigerungen - wer bietet mehr? -, in anderen Jahren war die Politik wenig großzügig und setzte auf Umverteilung innerhalb des Systems. Für Bezieher mittlerer und höherer Pensionen führte das vor allem ab den späten 90er-Jahren zu einem Kaufkraftverlust, der anfangs nur klein war, sich in den Folgejahren aber fortschrieb und teilweise erhebliche Realeinkommensverluste bedingte.
Kanzler Wolfgang Schüssel machte damit im Jahr 2004 Schluss, allerdings nicht sofort. Doch ab 2006, so das Vorhaben von ÖVP-BZÖ, sollten die Pensionen mit der Inflation angepasst werden. Der Gleichschritt mit dem Verbraucherpreis währte aber nicht lange. 2008 wurde im parlamentarischen freien Spiel der Kräfte die (teure) Hacklerregelung verlängert, in der Konjunkturflaute 2013 und 2014 ging es in die andere Richtung und die Pensionen wurden unterhalb der Teuerung angehoben. Zwischen Rot und Schwarz war das Thema Pensionen stets umstritten.
Unter Kanzler Sebastian Kurz passierte bei der ÖVP ein Bruch, der von seinem langjährigen Pressesprecher, Gerald Fleischmann, in dessen Buch ("Message Control") erläutert wird. Schon als JVP-Obmann soll Kurz dem damaligen ÖVP-Chef Josef Pröll gesagt haben: "Ich will nicht, dass meine Oma, die von einer kleinen Pension leben muss, keine Pensionserhöhung bekommt." Fleischmann schreibt weiter: "Die Position der Partei sollte sich [. . .] ändern." Seit 2017 wurden jedes Jahr kleinere Pensionen höher angehoben und/oder Boni aufgelegt, wie der Pensionsbonus für Personen mit 30 und 40 Beitragsjahren oder, dann schon mit den Grünen, der Frühstarterbonus.
Kleine Pensionen gewinnen an Wert
Das NeosLab hat nun Berechnungen über die bisherigen und zukünftigen Mehrkosten dieser Politik vorgelegt. Die vergangenen fünf Pensionsanpassungen über der Inflation würden demnach bis 2040 Mehrkosten von akkumuliert rund 10,5 Milliarden Euro verursachen, schreibt die politische Akademie der Neos in einem Papier. Eine Analyse des Budgetdienstes im Herbst 2021, auch auf Anfrage der Neos, kam im Grundsatz ebenfalls zum Schluss, dass die Mehrausgaben langfristig erheblich seien. "Dadurch wird der rein demografiebedingte Anstieg der Pensionsausgaben weiter verstärkt", schrieb der Budgetdienst.
Ein zweiter Aspekt, dem sich das NeosLab widmete: Wie bereits vor der Reform 2004 habe sich auch in den den vergangenen Jahren die Kaufkraft wieder sehr unterschiedlich entwickelt. Vom Jahr 2005 weg gerechnet, zeigt die Medianpension zwar noch fast eine parallele Entwicklung mit der Inflation - so weit, so vorgesehen. Doch im obersten Einkommensdezil verloren die Pensionen 14 Prozentpunkte an Kaufkraft, während die Ausgleichszulage in diesem Zeitraum deutlich über der Inflation angepasst wurde: plus 15 Prozentpunkte.
In absoluten Zahlen: Aus 653 Euro Ausgleichszulage im Jahr 2005 sind heute 1.110 Euro geworden. Wäre sie immer nur mit der Inflation angehoben worden, läge sie nun bei 1.019 Euro, also rund 90 Euro darunter. Noch stärker fällt der Effekt inklusive der Boni aus. Bei Mindestpensionisten mit 40 Beitragsjahren hat sich die Kaufkraft mehr als verdoppelt, während die Inflation nur um rund 50 Prozent gestiegen ist.
Seit dem türkisen Schwenk in der Pensionsfrage sind die Neos aktuell die einzige Partei, die außertourliche Erhöhungen skeptisch sieht oder gar ablehnt. Für Sozialpolitik sei das Pensionssystem ungeeignet, weil es ein Versicherungssystem sei und ungleiche Anpassungen das Versicherungsprinzip unterlaufen würden.
Langfristig könnte das auch zu juristischen Problemen führen. Verfassungsrechtler Peter Bußjäger von der Uni Innsbruck betont zwar, dass der Verfassungsgerichtshof in sozialpolitischen Fragen "sehr zurückhaltend" sei, doch er sagt auch: "Allmählich stellt sich die Gleichheits- und Sachlichkeitsfrage." Dass im Versicherungsprinzip grundsätzlich eine Gleichbehandlung bei Anpassungen vorgesehen ist, betont auch Thomas Url, der Pensionsexperte des Wifo: "Das wurde in den letzten Jahren nicht beachtet."
Die sozialpolitischen Ziele des Pensionssystems
Der Unterschied der Erhöhung für die einzelnen Jahre ist oft nur marginal. Er schreibt sich aber eben fort. Seit 1998 ist zudem die durchschnittliche Bezugsdauer der Alterspension um fast fünf Jahre gestiegen. Männer sind aktuell im Durchschnitt rund 20 Jahre in Pension, Frauen 25 Jahre. Über solche Zeiträume können erhebliche Kaufkraft-Unterschiede entstehen, deren sachliche Rechtfertigung schwieriger wird.
Die Neos stoßen sich auch daran, dass die Sprunghaftigkeit des Gesetzgebers langfristig das Vertrauen in das System unterminiere. Erst in der Vorwoche haben ÖVP und Grünen eine seit heuer in Kraft befindliche Regelung zur ersten Erhöhung nach Antritt ("Aliquotierung") aufgehoben. Auch das hatten die Neos in Person von Sozialsprecher Gerald Loacker scharf kritisiert.
Isoliert seien die einzelnen Maßnahmen oft klein, zumindest auf den ersten Blick, doch es summiere sich und der benötigte Zuschuss aus dem Budget wachse stärker als die Steuereinnahmen und die Inflation, schreibt das NeosLab. Dessen jüngste Berechnung, die auf einer Sonderauswertung der Pensionsversicherungsanstalt beruht, zeigt, dass allein der Frühstarterbonus, der der Hacklerregelung folgte, im ersten Jahr nur geringe Mehrkosten von 60 Millionen Euro verursacht hat, durch die Fortschreibungen der erhöhten Bezüge im Jahr 2040 aber mehr als 700 Millionen Euro ausmachen wird.
Auf der anderen Seite stehen die sozialpolitischen Ziele, unter anderem auch dieser Bundesregierung, Armut wirksam zu bekämpfen. Manche Pensionen sind auch dann sehr niedrig und zum Leben zu wenig, wenn sie über der Inflation angehoben werden. Walter Pöltner, Sozialminister der Beamtenregierung und ab 2019 Vorsitzender der Alterssicherungskommission, befand zwar knapp nach seinem Antritt, dass das Sozialprinzip "fast gleichwertig dem Versicherungsprinzip" gegenüberstehe, allerdings, so sagte er der "Wiener Zeitung" im vorigen Herbst: "Nicht jeder, der eine kleine Pension hat, ist arm."
Da mittlerweile ein Viertel aller unselbständig Beschäftigten ausländische Staatsbürger sind und viele von ihnen nur einen Teil ihrer Erwerbstätigkeit in Österreich verbringen, wird allein deshalb der Anteil jener, die eine kleine Pension erhalten, aber nicht arm sind, höher werden. Dazu kommt immer mehr Teilzeitarbeit, auch wenn diese oft nicht freiwillig ist. Aber auch der Anteil der freiwilligen Teilzeitarbeit hat zuletzt deutlich zugenommen.
Wohlhabende Mindestrentner
Das heißt, auch eine französische Managerin, die einige Jahre in Österreich gearbeitet und Beiträge geleistet hat, könnte später formal gesehen Mindestrentnerin werden. Wäre sie es heute schon, hätte die Pensionspolitik der vergangenen Jahre dafür gesorgt, dass auch ihre Pension aus sozialen Gründen über der Inflationsrate angepasst worden wäre.
Unter anderem deshalb hat Pöltner im Jahr 2021 den Vorsitz der Alterssicherungskommission zurückgelegt, nachdem die Pensionen erneut gestaffelt angehoben wurden. Die Politik nehme die langfristige Sicherung nicht ernst genug, sagte er damals. Die Position in der Kommission ist seit damals vakant, Grüne und ÖVP konnten sich bisher nicht über die Nachfolge einigen.