Dort, wo vor 15 Jahren noch Soldaten der damaligen CSSR patrouillierten, tummeln sich jetzt täglich tausende einkaufswütige Menschen aus Österreich und Tschechien. Neben der inzwischen weithin bekannten Excalibur-City, die sich beim Grenzübergang Kleinhaugsdorf befindet, wurde nun auch ein Designer Outlet Center eröffnet. Hier wird auf nicht weniger als 22.400 m² Verkaufsfläche schon etwas veraltete Markenware zu billigen Preisen angeboten. Die Grenzregion sieht die Entwicklung mit gemischten Gefühlen.
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Acht m² groß war der Kiosk, den Ronald Seunig 1992 in der ehemaligen Sicherheitszone zwischen dem niederösterreichischen Kleinhaugsdorf und dem tschechischen Grenzort Haté errichtete. Schon bald erweiterte er auf 80 m², kaufte ein neues Grundstück dazu, errichtete ein Shopping-Center und eine Tankstelle.
Heute, gut zehn Jahre nach den Anfängen, kann der Horner Unternehmer über derart kleine Fische nur mehr lächeln: Seine weithin bekannte, skurill anmutende Excalibur-City erwirtschaftet nach Seunigs Angaben auf 15.000 m² Verkaufsfläche einen Umsatz von jährlich rund 55 Mill. Euro. Die rund fünf Millionen Besucher pro Jahr finden hier u.a. ein Restaurant im Flugzeug, Geschäfte aller Art und zwischen der Parfumerie und dem Friseur ordiniert sogar eine tschechische Zahnärztin.
In der "Ritterburg", einem Teil des Einkaufskomplexes, ist auch eine Duty-Free-Zone eingerichtet, in der Zigaretten, Spirituosen und Parfums zollfrei erworben werden können. Damit wird zwar entweder Ende dieses Jahres oder - bei einer eventuell erteilten Verlängerung - am 31. März 2004 Schluss sein, "aber auch nach dem EU-Beitritt Tschechiens wird der Verkauf nahezu unverändert weitergehen", erklärt Seunig. Dabei sollen die "Duty-Free-" durch "Value-Free-Shops" (ähnlich den Travel-Value-Shops an Flughäfen) ersetzt werden.
Designerwaren auf 22.400 m²
Doch auch das Einkaufszentrum dürfte erst der Anfang gewesen sein: Bis 2006 will Seunig einen Freizeitpark mit dem Thema "Land der Lügen" um 60 Mill. Euro aus dem Boden stampfen und vergangenen Donnerstag wurde gleich neben der Excalibur-City ein 22.400 m² großes Designer Outlet Center vom britischen Unternehmen Freeport eröffnet. Es ist das erste Outlet-Center Tschechiens und das zweite (nach jenem im burgenländischen Parndorf) in Österreich bzw. in unmittelbarer Nähe zur Grenze. 70 Geschäfte bieten hier insgesamt rund 200 Marken der vergangenen Saison von Calvin Klein über Versace bis hin zu Nike zu reduzierten Preisen feil.
Das Investitionsvolumen betrug auch hier immerhin 40 Mill. Euro. Freeport erwartet sich drei bis vier Mill. Besucher jährlich, rund 1.000 neue Arbeitsplätze sollen geschaffen worden sein - allerdings auch hier vor allem für Bewohner aus Tschechien.
Dies bemängelt auch ein Hollabrunner Mann, der gemeinsam mit seiner Frau und seinen zwei jugendlichen Töchtern zwei Stunden im Outlet-Center unterwegs war: "Die tschechischen Verkäuferinnen sind zwar sehr bemüht, aber es ist schade, dass es keine aus Österreich gibt." Sichtlich gezeichnet von der Einkaufstour fällt sein Resümee nicht sehr schmeichelhaft aus: "Was man hier verliert, ist Raum und Zeit."
Beratung in Mariahilf besser
Etwas anders sieht dies eine der Töchter, die Kleidung um rund 100 Euro eingekauft hat: "Ich finde gut, dass es hier ein großes Einkaufscenter gibt" und verweist auf das Beispiel Londons. Gleichzeitig schränkt sie ein, dass in der Wiener Mariahilfer Straße die Beratung eine bessere Qualität habe. Kritisch sieht ihr Vater auch die möglichen Folgen des neuen Einkaufstempels: "Der Verkehr auf der B303 ist ohnehin schon ein Wahnsinn. Umso schlimmer ist, dass der Ausbau dieser Bundesstraße weiter auf sich warten lässt." Auch die Ladenöffnungszeiten (365 Tage im Jahr von 9 bis 22 Uhr) bezeichnet er als problematisch. "Bei uns sind dadurch sicher Arbeitsplätze in Gefahr", ergänzt seine Frau.
Arbeitsplätze gefährdet?
Ähnlich sieht die Lage Karl Ungersbäck, Geschäftsführer der Sparte Handel der Wirtschaftskammer Niederösterreich: "Wir befürchten, dass viele Arbeitsplätze im mittelständischen Wein- und Waldviertler Textilhandel verloren gehen werden, denn große Projekte ersetzen tendenziell Personal durch Fläche." Laut Ungersbäck spricht nicht nur der - in Summe gesehene - Verlust von Arbeitsplätzen und die mögliche Verschlechterung der gewachsenen, regionalen Strukturen gegen großflächige Ansiedlungen auf der grünen Wiese. Weitere Argumente seien das steigende Verkehrsaufkommen und "mangelnde Fairness" im Wettbewerb aufgrund billiger Grundstückspreise wie in Kleinhaugsdorf/Haté. Hier müsse die Politik mit Hilfe der Raumordnung regulierend eingreifen, wobei eine Abstimmung mit den Nachbarstaaten nötig sei, fordert Ungersbäck. "Außerdem ist die steuerliche Bevorzugung von Duty-Free-Geschäften sachlich nicht erklärbar."
Entscheidung: Wo einkaufen?
Kurt Friedl besitzt in der 12 km von Kleinhaugsdorf entfernt liegenden Weinbaugemeinde Retz ein Modenhaus mit 14 Mitarbeitern. Angst habe er vor Freeport keine, betont dieser, "denn bei mir gibt es aktuelle und günstige Mode."
Außerdem werde bei ihm Markenware bereits nach drei Monaten reduziert und nicht - wie die Marken von Freeport. - erst nach rund einem Jahr. "Aber wir werden das Outlet-Center spüren", räumt Friedl ein und appelliert gleichzeitig an die heimische Bevölkerung, weiter im Ort einzukaufen: "Jeder bestimmt mit seinem Einkauf, wo ein Arbeitsplatz entsteht und wo einer verloren geht."
Noch mehr als das Einkaufszentrum selbst störe ihn aber der durch das Center weiter zunehmende Verkehr, der ohnehin schon lebensgefährlich sei, sowie die Öffnungszeiten. "Der Sonntag ist gesellschaftlich so wichtig", meint Friedl und macht sich Sorgen, dass dieser "Tabubruch" auch in Österreich Schule machen könnte. Jammern sei aber - nicht zuletzt durch wegen der Aktivitäten der "Retzer Land Vermarktungs GmbH" - jedenfalls fehl am Platze.
Retzer Region als Partner Diese Vermarktungsgesellschaft, die die Kräfte in der Region bestmöglich bündeln will, hat sich nicht zur Bekämpfung, sondern zur Kooperation mit Freeport entschlossen.
Erfahrungen anderer Großeinkaufszentren in der grünen Wiese hätten gezeigt, dass zehn bis 15 Prozent der Kunden Shopping mit einem Ausflug verbinde, erzählt Retzer-Land-Geschäftsführer Hannes Weitschacher. Diese Menschen gelte es anzusprechen: "In Freeport-Werbemitteln sind bereits Ausflugsziele unserer Region enthalten."
Auf der anderen Seite zeige sich Freeport interessiert an Sponsorings von Großveranstaltungen im Raume Retz wie dem Kürbis- oder dem Weinlesefest. Obwohl so mancher seine Einkäufe in Znaim und anderen nahegelegenen tschechischen Ortschaften tätige, sei der Kaufkraftabfluss nach Wien weit größer, gibt Weitschacher zu bedenken. "Das hat auch mit dem Flair zu tun."
Insgesamt sei die Situation zwar jetzt nicht lustig, sie biete aber im Gegensatz zu früher Perspektiven, denn "der Eiserne Vorhang hatte die Region fast umgebracht." Excalibur-Besitzer Seunig ergänzt: "Der einzige Weg ist es, Symbiosen zu nutzen anstatt zu raunzen. In der freien Marktwirtschaft gibt es keinen Schutz, sondern es sind Ideen und Initiativen gefragt." Die Region sei durch die ehemalige tote Grenze konservativ geworden und nutze das Know-how nicht richtig. "Sonst könnte man auf dem Ostexpress sehr gut mitfahren."
Retzer sind verärgert
Gänzlich anders sieht dies ein Bewohner aus Retz, der sich auch sehr gegen den Raunzer-Vorwurf wehrt: "Wir sind nach wie vor allen egal, sowohl den Politikern als auch den Medien", sagt er mit Zornesröte im Gesicht und verweist auf so manches aufgelassene Geschäft im Stadtkern. Ebenfalls nicht sehr positiv gestimmt ist Gerhard Felzmann, der unweit der Grenze in Unterretzbach ein Kaufhaus und eine Bäckerei betreibt. Die Hauptkonkurrenz sieht er aber nicht im Einkaufszentrum an der Grenze oder in den Geschäften in Tschechien, sondern in den Supermärkten der umliegenden österreichischen Städte.
Natürlich ist auch die kommende EU-Osterweiterung ein viel diskutiertes Thema in der Region. Ein Inhaber einer Schlosserei in Unterretzbach etwa befürchtet, "dass es schlechter wird, da das Kleingewerbe bei EU-weiten Ausschreibungen nicht mit dem niedrigeren tschechischen Lohnniveau mithalten wird können".
Wegen Semmeln über Grenze
Für ihn selbst habe sich durch die Grenzöffnung 1989 nur wenig verändert: "Ich fahre höchstens einmal im Jahr nach Tschechien, in Zeiten des Ostblocks war ich sogar öfter drüben." Damit handelt er anders als einige seiner Mitbewohner im Ort: "Viele holen sich Brennmaterialien aus Tschechien und manche fahren wegen jeder Semmel über die Grenze." Seine Eindrücke, wie es bei den Nachbarn zu Zeiten des kommunistischen Regimes ausgesehen hatte, sind ihm bleibend in Erinnerung geblieben: "Es war wie in einem großen Gefängnis. Das Leben muss schrecklich gewesen sein."