Einstimmige Entscheidung der Finanzminister nötig. | Bewertung mangels empirischer Daten nicht möglich. | Brüssel. Mindestens 60 Milliarden Euro kosten Mehrwertsteuerbetrüger die Finanzämter der EU pro Jahr. Doch wie dagegen vorzugehen ist, darüber rätseln EU-Kommission und Finanzminister bis jetzt vergeblich. Österreich wirbt seit längerem ohne greifbaren Erfolg für die Methode, die Steuerlast ans Ende der Lieferkette zum Verbraucher zu verlagern, um so die betrugsanfällige Vorsteuer weitgehend auszuschalten (Reverse-Charge-Modell).
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Das kommt jedoch einem radikalen Umbau des gegenwärtigen Systems gleich - dementsprechend begrenzt ist die Begeisterung anderer EU-Mitgliedsstaaten. Die österreichische Regierung will die Reverse Charge als Pilotprojekt und verweist auf ihre guten Erfahrungen damit in der Baubranche.
Doch die EU-Kommission verwies das Anliegen am Freitag nach rund zweijährigen Gezerre zurück an die Finanzminister, die es einstimmig bewilligen müssten. Denn die mit Spannung erwartete Analyse der Brüsseler Behörde über die Machbarkeit des Modells wartete mit ernüchternden Ergebnissen auf: Das Reverse-Charge-Modell habe wohl Vorteile gegen derzeit gängige Formen des Mehrwertsteuerbetrugs, so die EU-Beamten. Dabei verrechnen die Betrüger ihren Kunden zwar die Mehrwertsteuer, leiten sie dann aber nicht ans Finanzamt weiter.
Leider seien aber mögliche negative Folgen wie das Entstehen neuer Betrugsarten oder Kosten für Verwaltung und Unternehmen wegen komplexer neuer Kontroll- und Berichtspflichten mangels empirischer Daten nicht absehbar.
Ganz oder gar nicht
Schließlich werde das Modell in keinem Land der Welt flächendeckend eingesetzt. "Wir sind im letzten Jahr nicht wirklich weitergekommen", räumte ein hochrangiger Experte der EU-Kommission ein. Grundsätzlich könne Reverse-Charge nur in allen Mitgliedsstaaten oder gar nicht eingeführt werden. Das gebiete der Binnenmarkt.
Einem Pilotprojekt in Österreich stehe die Kommission jedoch offen gegenüber, wenn es die Mitgliedsstaaten denn wirklich alle wollten. Doch im Land macht schon die Wirtschaftskammer gegen das Pilotprojekt mobil - die Umstellung koste die Klein- und Mittelbetriebe je bis zu 20.000 Euro, rechnet sie vor. Noch einmal 6000 bis 9300 Euro plus pro Jahr wären die jährlichen Mehrkosten. Schwierig dürfte auch die Zustimmung aller EU-Finanzminister zur notwendigen Änderung der geltenden EU-Mehrwertsteuergesetze sein, vor allem Frankreich gilt als vehementer Reverse-Charge-Gegner.
Sollte die Kommission dennoch den Auftrag bekommen, einen Rechtstext für das Pilotprojekt auszuarbeiten, müssten folgende Punkte beachtet werden: Erstens bräuchte Brüssel endlich Daten über den derzeitigen Umfang und die Art des Mehrwertsteuerbetrugs in Österreich. Um ausreichend zuverlässige statistische Daten zu erlangen, müsse der Versuch mindestens fünf Jahre dauern und nach der vereinbarten Laufzeit jedenfalls auslaufen. Auch müssten Mechanismen geschaffen werden, mit denen die Reverse-Charge bei negativen Auswirkungen jederzeit gestoppt oder angepasst werden könnte.
Noch sei auch unklar, wie der Erfolg des Pilotprojekts überhaupt gemessen werden soll, schließt die Brüsseler Analyse.
Reverse-Charge
Beim herkömmlichen Umsatzsteuer-System zwischen Unternehmen hat der Empfänger die Pflicht zur Umsatzsteuer-Zahlung. Der Erbringer der Leistung führt die Steuer dann (unter Abzug seiner eigenen Vorsteuer) an das Finanzamt ab. Beim Reverse-Charge-System ist es umgekehrt: Der Leistungs-Empfänger muss die Umsatzsteuer abführen.