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Keime, die nicht umzubringen sind

Von Eva Stanzl

Wissen

Erster "Super-Erreger" beim Menschen, gegen den selbst das wirksamste Antibiotikum nicht hilft.


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Bethesda/Wien. "When the drugs don’t work" titelte der britische "Economist" vorige Woche zu den grimmigen Perspektiven in einer Welt, in der Antibiotika wirkungslos sind. Dramatisch ist nicht nur der Bericht, sondern auch sein Timing: In den USA wurde nun nämlich ein Keim entdeckt, der selbst gegen sonst hocheffektive Behandlungsmethoden immun ist. Es handle sich um eine Variante des Bakteriums Escherichia coli, bestätigte die US-Gesundheitsbehörde Centers for Disease Control and Prevention (CDC) am Donnerstag.

E. Coli ist ein meist harmloses Darmbakterium, das allerdings Infektionen verursachen kann. Eine multiresistente Variante des Keims wurde bei einer 49-jährigen Frau aus dem US-Bundesstaat Pennsylvania nachgewiesen, die wegen einer Harnwegsinfektion ein Spital aufsuchte. Wissenschafter erläutern die medizinischen Details in der Fachzeitschrift "Antimicrobial Agents and Chemotherapy".

Antibiotika sind Medikamente, die Bakterien töten oder das Bakterien-Wachstum hemmen. Ein "Super-Erreger" ist immun gegen die meisten gängigen Antibiotika, die bei Infektionen zum Einsatz kommen. Die Patientin musste daher mit anderen Medikamenten behandelt werden, berichten die Forscher des Walter Reed National Military Medical Center in Bethesda, Maryland, die die Proben analysierten. Alarmierend sei allerdings die Tatsache, dass der Super-Keim nicht einmal auf Colistin reagierte.

Colistin ist ein altes Antibiotikum, das 1959 auf den Markt gekommen war, um Infektionen mit E-Coli-Bakterien, Salmonellen und Lungenentzündungs- und Blutvergiftungserregern zu behandeln. Wegen seiner nierenschädigenden Wirkung wird es seit den 1970er Jahren nur in Ausnahmefällen verschrieben. Nur in der Viehzucht ist der Einsatz von Colistin weit verbreitet, insbesondere in China. Außerdem greifen Ärzte darauf zurück, wenn Keime gegen andere, häufiger verwendete Antibiotika resistent geworden sind. Colistin ist ein Ausweg in letzter Not gegen Keime, die anders nicht umzubringen sind. Wenn es einmal nicht mehr funktioniere, sei das Ende der Fahnenstange erreicht, warnen Gesundheitsbehörden seit Jahren. Nun ist der Alptraum wahr.

Das Bakterium im Urin der Patientin enthält ein Gen namens MCR-1, das es unempfindlich gegenüber Colistin macht. Das Gen lässt die Bakterien Enzyme erzeugen, die sie gegen wichtige Antibiotika schützen.

Zuvor wurde MCR-1 sowohl in China als auch in Europa festgestellt. Laut Frieden war die Patientin aus Pennsylvania allerdings lange nicht außerhalb der USA unterwegs gewesen, könne sich daher nicht im Ausland mit dem Super-Erreger infiziert haben. "Wir wissen jetzt, dass wir desto mehr Alptraum-Bakterien finden werden, je mehr wir suchen", sagte Frieden: "Wir laufen Gefahr, in einer post-antibiotischen Zeit zu leben." Schon heute habe der Medizinschrank für manche Patienten, die resistente Keime eingefangen haben, kein Mittel mehr.

Verminderung von Antibiotika-Einsatz bei Tieren

Die Weltgesundheitsorganisation WHO hatte bereits vor einiger Zeit vor einer "Rückkehr in Vor-Antibiotika-Zeiten" gewarnt, in denen sich schon geringfügige Infektionen oder Schnittverletzungen als äußerst gefährlich erweisen könnten. Hüft- und Knieoperationen oder Kaiserschnitte wären hochriskante Operationen, Organtransplantationen, die Immunsuppressiva erfordern, wären tödlich.

Britische Forscher hatten zuletzt zum weltweiten Kampf gegen die resistenten Keime aufgerufen. Sie legen dringend nahe, den Gebrauch von Antibiotika in der Landwirtschaft einzuschränken. Ohne Gegenmaßnahmen könnten künftig zehn Millionen Menschen pro Jahr an Infektionen mit Antibiotika-resistenten Bakterien sterben, berichten sie im Auftrag der britischen Regierung. Derzeit kämen 700.000 Menschen pro Jahr durch Ansteckung mit resistenten Keimen ums Leben, bis 2050 könnten es doppelt so viele sein.

In den USA wird nun untersucht, wie weit verbreitet das MCR-1-Gen ist. Analysen in Deutschland, die im Fachmagazin "The Lancet" veröffentlicht wurden, haben das Gen in Proben aus dem Jahr 2010 vereinzelt nachgewiesen. Superkeime existieren somit auch hierzulande.