Im Vorjahr gab es erstmals keine Einbürgerungen durch den Ministerrat.
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Wien. Was wäre das für eine Geschichte gewesen. Österreich wartet sehnsüchtig auf eine Medaille bei den Olympischen Spielen in London, doch die will nicht passieren. Fünfte Plätze, sechste Plätze, alles ehrenwert, aber eben kein Edelmetall. Bis Sargis Matirosjan an die Reihe kommt, der kleine Gewichtheber mit quadratischer Physiognomie. Und auf einmal hat Österreich Bronze.
Und was wäre das nicht für eine Geschichte gewesen, über diesen jungen Armenier, der von daheim flüchtet, alleine, um hier tagein, tagaus Gewichte in die Höhe zu wuchten, bis er in der Weltspitze ist. Sein erster großer Wettkampf sind die Spiele in London, und Matirosjan stemmt und reißt für seine neue Heimat tatsächlich eine Medaille.
Diese Geschichte hätte genauso passieren können, doch Matirosjan erhielt die österreichische Staatsbürgerschaft nicht, er durfte nicht nach London. Sein Antrag liegt gemeinsam mit anderen Anträgen im Innenministerium, sie werden nicht weiter behandelt.
Der Paragraf 10, Absatz 6 des Staatsbürgerschaftsgesetzes räumt der Regierung das Recht ein, Staatsbürgerschaften per Ministerratsbeschluss zu vergeben. Voraussetzung dafür sind nicht näher definierte "außerordentliche Leistungen im besonderen Interesse der Republik". Die starken Arme Matirosjans können da genauso Argument sein wie die Stimmbäder Anna Netrebkos, doch während die Opernsängerin im Jahr 2006 den österreichischen Pass erhielt, wartet Matirosjan nach wie vor auf ihn.
Im Vorjahr hat der Ministerrat in keinem einzigen Fall diese Schnellvariante der Staatsbürgerschaft beschlossen, was seit 1981, seit die Statistik Austria darüber Aufzeichnungen führt, bisher noch nie vorgekommen ist. In der Regel bewegt sich die Anzahl der sogenannten "Zehn-Sechser"-Verleihungen zwischen 30 und 40 pro Jahr. Dass sich die Regierung im Vorjahr bei keinem einzigen Antrag zu einer Entscheidung durchringen konnte, ist daher durchaus bemerkenswert und illustriert wohl auch das Spannungsverhältnis in den beiden Koalitionsparteien.
Abkehr von Usancen
Das dürfte auch Hintergrund der jüngsten Bestrebungen der Regierung sein, fixe Kriterien für die Vergabe von Express-Staatsbürgerschaften gesetzlich festschreiben zu wollen, in den nächsten Wochen sollen diese ausverhandelt werden. Es stellt eine völlige Abkehr der bisherigen Usancen dar, und der Paragraf ist immerhin schon fünfzig Jahre alt.
Fixe Kriterien sind auch eine heikle Angelegenheit, da ein "besonderes Interesse" auch ein wirtschaftliches sein kann. Eine Summe festzuschreiben, ab der einem ausländischen Investor ein Pass zusteht, würde die Staatsbürgerschaft quasi käuflich machen. Genau aus diesem Grund ist der Paragraf - trotz aller Änderungen über die Jahre - stets sehr offen formuliert gewesen.
Ob in der Wirtschaftskammer, im Sport oder an den Universitäten: Die Verwunderung über den geplanten Kriterienkatalog ist groß. "Ich stelle mir das sehr kompliziert vor", sagt Silvia Hahn, Vize-Rektorin der Uni Salzburg und für Internationale Beziehungen zuständig. "Das würde wieder auf Hierarchien hinauslaufen und zu Diskriminierungen führen. Ein junger Wissenschafter, der weniger verdient als ein Professor, wird wohl weniger Chancen haben."
Die Möglichkeit für Wissenschafter, auf kurzem Weg die Staatsbürgerschaft zu erhalten, gehe auch am eigentlichen Bedarf der Universitäten vorbei, erklärt Hahn. "Wir sind in der Situation, dass wir international rekrutieren sollten, Kollegen aus Drittstaaten erhalten aber keine unbefristete Aufenthaltserlaubnis." Diesen Zustand, aus dem sich ein Wettbewerbsnachteil für heimische Unis ergebe, gelte es zu ändern, fordert Hahn, Express-Staatsbürgerschaften hält sie für nicht relevant.
Sport will Expressverfahren
Der Sport ist zwar in manchen Bereichen noch internationalisierter als die Wissenschaft, dennoch spielt die Nationalitätenfrage für jeden Sportler eine große Rolle, wenn es um Weltmeisterschaften und Olympische Spiele geht.
Beim Handballverband (ÖHB) und dem Leichtathletikverband (ÖLV) ist man einem Kriterienkatalog prinzipiell nicht abgeneigt. "Wenn man die Kriterien kennt, kann man sich genau überlegen, ob man Sportler für eine Einbürgerung nominiert", sagt ÖHB-Manager Martin Hausleitner. Beide Verbände betonen jedoch die Wichtigkeit, soziale Faktoren mitzubedenken, doch die lassen sich schwer festschreiben.
Statt auf das Gutdünken einer Regierung angewiesen zu sein, wünscht sich Hausleitner vielmehr einen Expressweg speziell für Sportler, da deren Karriere nur wenige Jahre dauert. "In sechs Jahren ist die halbe Karriere vorbei, doch wenn ein Sportler zwei, drei Jahre hier lebt, sind die Voraussetzungen gegeben, dass er auch bleibt", sagt Hausleitner.
Er erzählt die Geschichte von Adonis Gonzales-Martinez, einem 19-jährigen Talent aus der Dominikanische Republik. Der Handballer kam mit fünf Jahren nach Österreich, erst 2016 hätte er Anspruch auf einen österreichischen Pass - wohl erst nach den nächsten Olympischen Spielen.