Experten sind sich einig: Haftanstalten sind Nährboden für Dschihadisten, dennoch gibt es kein Geld für Gegenmaßnahmen.
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Wien. Mitte Oktober hat Finanzminister Hans Jörg Schelling das Budget 2016 präsentiert, es umfasst fast 3500 Seiten. Ab heute, Dienstag, wird das Budget im Nationalrat debattiert, wobei die Ressorts Gesundheit, Justiz, Äußeres und Inneres den Auftakt im Plenum machen. Auch wenn bestimmt heftig diskutiert wird, ist wohl eher nicht zu erwarten, dass Schelling am Ende noch viel umschreiben wird. Der Beschluss des Budgets soll dann am Donnerstag erfolgen.
Aber vielleicht sollte sich noch etwas ändern. Denn im Teilheft des Budgets zum Justizressort findet sich keine Zeile, kein Programm und entsprechend auch keine Finanzierung für ein solches Programm zur Deradikalisierung in Haftanstalten. Dass dies jedoch ein Thema sein sollte, offenbarten auch wieder die jüngsten Terroranschläge in Paris. Zumindest zwei der mutmaßlichen Täter sollen eine kleinkriminelle Laufbahn hinter sich haben und immer wieder im Gefängnis gesessen sein.
Zu Beginn dieses Jahres, unmittelbar nach den Mordanschlägen auf die Redaktion von "Charlie Hebdo" sowie auf den koscheren Supermarkt, war in Österreich schon einmal über die Notwendigkeit von Deradikalisierung in Haftanstalten debattiert worden, zumal ein Täter nachweislich in einem französischen Gefängnis zum Dschihadisten wurde. Eine gewisse Sensibilisierung bei dem Thema hat in Österreich auch stattgefunden, es gab Seminare in Justizanstalten, ein paar Gespräche mit der Islamischen Seelsorge, doch das war es dann auch.
Der Vereinvorstand der Seelsorge, Ismail Ozan, hatte damals zwei oder drei Fixstellen in den Gefängnissen gefordert, bekommen hat er aber keine. Die Seelsorger arbeiten nach wie vor ehrenamtlich, als Aufwandsentschädigung stehen jährlich nur 20.000 Euro zur Verfügung. Dieser Betrag wurde marginal erhöht. Auch das um Deradikalisierung bemühte "Netzwerk sozialer Zusammenhalt" arbeitet ohne einen Cent zu bekommen.
"Man will Einzelbetreuung von uns und Einzelgespräche mit Inhaftierten, aber wir haben die Ressourcen nicht", sagt Seelsorger Ozan. Allein in der Justizanstalt Josefstadt gebe es 350 muslimische Häftlinge, in den Gebetsraum dürfen jedoch nur 30 gleichzeitig hinein.
Helden aus Syrien
Peter Hofkirchner, Sprecher in der Josefstadt, sagt: "Mir wäre es schon sehr recht, wenn wir mehr Ansprechpartner hätten." Zwar sei mittlerweile das Personal in Sachen radikale Tendenzen sensibilisiert worden, aber viel könne man dann auch nicht bewegen. "Der Häfn ist halt ein idealer Nährboden", sagt Hofkirchner. Gerade der erste Gefängnisaufenthalt stellt für Junge jedenfalls eine Zäsur dar und bietet auch Zeit, über das eigene, meist unglückliche Leben zu reflektieren. Bei Anwerbeversuchen Radikaler spielt offenbar genau diese fragile Situation eine Rolle. Anders als im Jänner, wo über Gegenstrategien für die Justizanstalten erstmals debattiert wurde, kommt nun auch das Problem inhaftierter Syrien-Rückkehrer hinzu.
"Da gibt es 16- oder 17-Jährige mit Schussverletzungen, die zu Helden hochstilisiert werden", sagt Hofkirchner. Für die Justizwachebeamten ist es kaum möglich, dies zu unterbinden, und selbst für islamische Seelsorger ist es nicht immer möglich, mit bereits radikalisierten Personen ins Gespräch zu kommen. "Es gibt kein Patentrezept, man kann niemanden zu einem Gespräch zwingen", sagt Hofkirchner.
Kein Verhandlungsspielraum
Ein konkretes Konzept für Deradikalisierung in den Haftanstalten gibt es derzeit noch nicht, es müsste erst ausgearbeitet werden. Das Know-how jedoch wäre vorhanden, etwa beim "Netzwerk sozialer Zusammenhalt". Doch dafür müsste es auch Budget geben, das Schelling dem Justiz-Ressort nicht zur Verfügung stellt beziehungsweise Justizminister Wolfgang Brandstetter nicht herausverhandeln konnte.
Doch da lag "Charlie Hebdo" bereits lange zurück und die Attentate in Paris wurden erst ein Monat nach Schellings Budgetrede verübt. Der grüne Justiz-Sprecher Albert Steinhauser will unter anderem das im Plenum ansprechen. Auch er sieht die Gefängnisse als ganz "zentrales Feld", wie er sagt, im Kampf gegen den Dschihadismus. Geht also budgetär doch noch was? Im Justizministerium gibt man sich realistisch: Es wird kein Geld für diese Präventionsarbeit geben. Auch nach Paris nicht.