Finance Watch ist optimistisch, dass die Lehren aus der Krise gezogen werden.
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"Wiener Zeitung": Die Nichtregierungsorganisation Finance Watch wurde 2011 als fachliches Gegengewicht zur Finanzlobby gegründet. Ist sie erfolgreich?
Frédéric Hache: Das hängt ganz davon ab, wie Sie Erfolg definieren. Wir sind sehr dankbar dafür, gehört zu werden - und es ist jedenfalls vielversprechend. Unsere Aufgabe ist es, dem Standpunkt der Zivilgesellschaft eine Stimme zu verleihen, um dann die Entscheidungsträger ihren Job machen zu lassen.
In der Historie gab es nach schweren Finanzkrisen immer wieder die Absicht, strengere Regeln zu beschließen, passiert ist dann wenig. Ist es dieses Mal anders?
Das ist schwer zu beantworten, aber ich bin eine Spur optimistischer, denn auch die Reformen nach der großen Krise von 1929 haben sehr lange Zeit sehr effizient für ein stabiles Finanzsystem gesorgt. Erst als viele der Maßnahmen in den letzten zwanzig Jahren abgeschafft wurden, wurde das System fragiler. Zugegeben, Banken- und Finanzkrisen sind häufiger geworden und passieren etwa alle fünf Jahre. Aber derzeit wird viel Sinnvolles auf den Weg gebracht. Das ist kein "business as usual" mehr - die Dinge verändern sich gerade.
Eine tragende Säule sind die strengeren Eigenkapitalregeln für Banken - Stichwort "Basel III". Werden diese die Märkte stabilisieren?
Es sollte die Banken stärker und widerstandskräftiger machen, das ist eine gute Sache. Ich glaube aber nicht, dass es alle Probleme löst. Die Reform funktioniert gut auf Unternehmensebene, auf Systemebene werden aber systemische Risiken und "moral hazard" (das Problem, dass Banken zu viel Risiko eingehen, weil sie darauf vertrauen können, gerettet zu werden) nicht beantwortet.
Wenn man aber alle Maßnahmen, die geplant sind - Basel III, die Schattenbanken-Regulierung, die Liikanen-Gruppe und das Krisenmanagement (siehe Glossar) -, zusammennimmt, so ist das sehr sinnvoll. Wir haben große Erwartungen.
Experten fürchten, dass die strengen Regeln und das Schrumpfen der Bankbilanzen der Realwirtschaft schaden, weil Kredite rarer und teurer werden.
Was die Folgen für die Realwirtschaft betrifft, liegt der Teufel im Detail. Es kommt ganz auf die Umsetzung an, damit Basel III keine unerwünschten Folgen hat - etwa eine Verlagerung von Geschäften zu den Schattenbanken. Wichtig ist, dass Basel III, das zunächst nur für Universalbanken gedacht war, jetzt Rücksicht auf andere Bankmodelle nimmt.
Die Frage, die die Öffentlichkeit brennend interessiert: Muss der Staat künftig wieder als Bankenretter einspringen und der Steuerzahler zur Kasse gebeten werden?
Da wage ich keine Prognosen. Das angesprochene Moral-hazard-
Problem ist noch nicht zur Gänze gelöst. Basel III sollte die Banken stärken, aber im Fall einer Pleite ist es weiterhin wahrscheinlich, dass Regierungen eingreifen, um Spareinlagen und Kredite abzusichern. Einige Initiativen wie die Liikanen-Gruppe widmen sich dem Thema. Wir stimmen völlig zu, dass das eine zentrale Frage ist. Banken sollten wie alle anderen Unternehmen behandelt werden und auch scheitern können. Das wäre sehr viel gesünder.
Bleibt Europa wieder einmal ein einsamer Vorreiter oder wird es global einheitliche Spielregeln geben?
Die Themen werden in der EU und auch in den USA angegangen, wenn auch auf unterschiedliche Art. Völlig einheitliche Spielregeln wird es nie geben. Gibt uns das zu denken? Bis zu einem gewissen Maß ja, aber die EU bietet einen solch großen Markt, dass dieser für Banken und Finanzinstitutionen auch dann attraktiv sein wird, wenn sie etwas strengeren Regeln unterworfen sind.
Ja, idealerweise würde man sich weltweit einheitliche Regeln wünschen. Aber selbst wenn das nicht perfekt klappt, sollte es niemanden davon abhalten, Regeln einzuführen, die richtig sind.
Sehen Sie dabei die Differenzen zwischen Großbritannien und Kontinentaleuropa als eine Hürde?
Ich glaube nicht, dass man das so simpel zusammenfassen kann. Es gibt sicher verschiedene nationale Schwerpunkte, wichtig sind aber einheitliche Spielregeln, die ein wenig Flexibilität zulassen.
Warum plädieren die Briten eigentlich für strengere Kapitalregeln?
Der "Vickers-Bericht" (einer unabhängigen britischen Expertenkommission, geleitet vom Ökonomen Sir John Vickers) kam zum Schluss, dass die Basel-III-Vorschläge nicht weit genug gehen, um die Steuerzahler zu schützen. Also wollten die Briten im Sinne ihrer Bürger strengere Regeln. Andere Länder äußerten denselben Wunsch. Wir legen uns in der Frage, ob es eine maximale oder minimale Harmonisierung geben soll, nicht fest. Uns ist aber die Botschaft wichtig, dass den Aufsehern einiger Länder Basel III nicht reicht. Wir würden also einen höheren Kapitalbedarf befürworten, der ökonomisch vertretbar ist und diese Botschaft aufgreift.
Was sind für Sie die wichtigsten Themen, die noch offen sind?
Systemrisiken und "moral hazard" habe ich bereits erwähnt. Uns erfüllt dabei etwas mit Sorge, dass offenbar die Vorstellung existiert, systemisches Risiko gebe es nur im Kontext von großen, systemrelevanten Banken. Es geht um viel mehr. Wenn viele kleine Banken zur selben Zeit genau die gleichen Geschäfte machen, birgt das auch systemische Risiken. Das Thema ist also recht komplex, aber äußerst wichtig.
Das ist für Österreich höchst relevant, wo es mehr als 800 Banken- vor allem genossenschaftliche - gibt. Sie sind also der Meinung, es ist nicht sinnvoll, bei der Regulierung nach Größe zu differenzieren?
So weit würde ich nicht gehen. Natürlich verursachen Großbanken andere und größere Probleme als kleine. Aber da ist die Story nicht zu Ende. Macht man zu große Unterschiede, verschärft man obendrein das Moral-hazard-Problem: Wenn eine große Bank strengeren Vorschriften unterliegt, könnte sich ein Investor oder Kunde denken: "Oh, diese Bank ist sicherer, ich gebe ihr mein Geld." Damit hilft man der Bank, noch größer zu werden, und gibt ihr Finanzierungsvorteile. Das wäre nicht wünschenswert.
Glossar zu den Baustellen der Finanzmarktregulierung:
Viele der Maßnahmen für ein stabileres Finanzsystem, die von der EU ausgearbeitet werden, haben Hand und Fuß. Es wäre aber nicht Brüssel, würde das nicht hinter einem Dschungel aus Technokraten-Vokabular versteckt. In der Debatte tauchen immer wieder Begriffe auf, die alles andere als selbsterläuternd sind. Ein Versuch einer Klärung.
Neue Bank-Strukturen Seit Jänner 2012 tagt eine hochrangige Expertengruppe rund um den früheren EU-Kommissar und nunmehrigen finnischen Notenbankchef Erkki Liikanen ("Liikanen Group"). Sie soll Vorschläge für strukturelle Reformen im europäischen Bankensektor erarbeiten. Dabei könnte eine Abtrennung des riskanten Investmentbanking vom schützenswerten Massenkundengeschäft angedacht sein.
Banken-Insolvenzrecht Die Debatte läuft EU-intern unter dem Stichwort "Krisenmanagement". Was kann präventiv getan werden? Falls eine Banken-Pleite droht: Wie können die Behörden eine Restrukturierung oder Abwicklung veranlassen? Noch ist strittig, wer das Risiko trägt. Damit hängt indirekt auch die Frage eines vorab von den Banken dotierten Einlagensicherungsfonds ab.
Transparenz Finanzgeschäfte unter der Hand oder über nicht-regulierte Schattenbank sollen der Vergangenheit angehören. So werden zentrale Abwicklungsstellen verpflichtend - etwa für den Derivatehandel, über den kaum Daten vorlagen. Für den Hochfrequenzhandel, also das computergestützte Kaufen und Verkaufen im Millisekunden-Bereich, gelten in Österreich ab 2. Juni neue Leitlinien - etwa zu Computersystemen, zur Echtzeitüberwachung, Personalanforderungen und Risikovorkehrungen.
Aufsicht Schon seit Anfang 2011 arbeiten Europas neue Finanzaufsichtsbehörden: Neben jener für Banken in London (EBA), Versicherungen in Frankfurt (Eiopa) und Börsen und Wertpapiere in Paris (Esma) gibt es nun einen Europäischen Systemrisikorat (ESRB), dem EZB-Chef Mario Draghi vorsteht.
Ratingagenturen Abgehakt ist die Regulierung der umstrittenen Bonitätswächter: Sie müssen sich in der EU registrieren lassen und unterwerfen sich Regeln. So müssen sie beispielsweise über ihre Methoden Auskunft geben und dürfen keine unvereinbaren Geschäfte mehr anbieten.
Hedgefonds Manager von Hedgefonds und privaten Beteiligungsgesellschaften müssen sich in der EU registrieren lassen und ihre Befähigung nachweisen. Zudem wird eine Mindestkapitalausstattung verpflichtend und der Anlegerschutz verbessert.
Banker-Boni Die Vergütung soll Managern keine Anreize für hochriskante Geschäfte geben: Deshalb könnten die Boni an das Grundgehalt gekoppelt werden. Das EU-Parlament will das im Zuge von Basel III mitregeln.
Finanztransaktionssteuer Die Kommission hat Vorschläge gemacht, das EU-Parlament ist dafür - aber unter den Mitgliedstaaten gibt es keine Einigung.
Zur Person: Frédéric Hache
Der Senior-Analyst bei Finance Watch arbeitete zuvor zwölf Jahre bei Banken wie BNP Paribas, Credit Suisse und KBC in. Finance Watch entstand im April 2011 nach einem "Hilferuf" von EU-Parlamentariern als Stimme der Zivilgesellschaft. Zu den bis dato 57 Mitgliedern der Non-Profit-Organisation zählen unter anderem Denkfabriken, NGO, Gewerkschaften und Verbraucherschützer.