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Weil in Sonntagsreden immer so inniglich von den gemeinsamen europäischen Werten, von einem Lebensgefühl gesprochen wird: Die Debatten über die Rettung Zyperns führen vor Augen, dass es mit der gemeinsamen Weltsicht so weit nicht her ist.
Immerhin: In Zypern erleben wir den raren Moment einer fast vollkommenen Einheit von Volk und Regierung. Wie sonst sollte die einhellige Ablehnung des Hilfspakets durch das Parlament interpretiert werden? Dass die Regierung dieses Hilfspaket zuvor ausverhandelte - nebbich, eine kurzfristige Verwirrung der politischen Zurechnungsfähigkeit.
Eine Pleite der Mittelmeerinsel wird wohl irgendwie abgewendet werden können - mit viel volkswirtschaftlicher Fantasie und Verrenkungen auf allen Seiten, ob mit oder ohne Beteiligung der Russen (was das bedeuten würde, ist eine ganz andere Geschichte).
Was uns noch länger beschäftigen wird, ist die Frage, wie die Union der bald 28 Staaten die aufgebrochenen Gräben bewältigen wird. Derzeit laufen alle Hoffnungen darauf hinaus, dass das Ergebnis der Wahlen zum EU-Parlament die politische Landschaft des Kontinents zumindest halbwegs authentisch widerspiegelt. Also ein buntes Bild aus Konservativen, Sozialdemokraten, Liberalen, Ökos, Euroskeptikern und einigen Einzelkämpfern.
Nur: Der Bruch, der im Zuge der Schuldenkrise die Staaten und Bürger entzweit, findet in diesem politischen Spektrum keinen Widerhall. Der neue Chef der Eurogruppe, Jeroen Dijsselbloem, der das umstrittene Hilfspaket für Zypern federführend ausverhandelte, ist ein niederländischer Sozialdemokrat; zwischen dem aktuellen konservativen Präsidenten Zyperns und seinem kommunistischen Vorgänger passt, was die Sicht auf die Krise angeht, politisch kein Blatt Papier. In den USA verkörpern wenigstens ansatzweise Demokraten und Republikaner den Bruch, der durch das Land geht. Das können Europas Parteien beim besten Willen nicht von sich behaupten. Und wenn doch, so sind dies rhetorische Pirouetten für Wahlkampfzwecke.
Die bittere Zwischenbilanz lautet: Von einem politischen Demos ist Europa weiter entfernt denn je. Und die existierende Parteienlandschaft spiegelt den Bruch nicht einmal in Ansätzen wider. Daran werden auch unionsweite Spitzenkandidaten für die EU-Wahlen wenig ändern.