Europaministerin Karoline Edtstadler skizziert im Interview Österreichs Forderungen für eine europaweite Asylreform.
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Neben der Bewältigung der Folgen der Corona-Pandemie wird in Brüssel mit Hochdruck an einem Konsens für die Reform der bestehenden, weitgehend dysfunktionalen Asylregeln gearbeitet. Die "Wiener Zeitung" sprach mit Europaministerin Karoline Edtstadler (ÖVP) über Österreichs Vorstellungen und Forderungen.
"Wiener Zeitung": Frau Ministerin, was sind die aus Ihrer Sicht drängendsten Probleme der Europäischen Union?Karoline Edtstadler: Das sicher am längsten auf die lange Bank geschobene Problem der Union sind die Themen Asyl und Migration. Hier hatte die EU-Kommission eigentlich für März ein Paket angekündigt, das jedoch aufgrund der Pandemie verschoben werden musste. Nun soll es im Herbst präsentiert werden, und ich hoffe sehr, dass es jetzt endlich wirklich auf den Tisch kommt. Wir brauchen dringend eine gesamteuropäische Lösung für das Asylthema, weil wir das nur gemeinsam umsetzen können. Ein weiteres wichtiges Thema, für das ich mich besonders einsetze, ist die Konferenz für die Zukunft der EU. Hier hätte es bereits im Mai in Dubrovnik losgehen sollen, aber auch hier sorgte Corona für Verzögerungen. Nicht zuletzt die Pandemie hat etliche Schwächen der Union offengelegt, die wir endlich beheben müssen. Österreich verfolgt hier einen anspruchsvollen Plan, weil wir uns für einen neuen EU-Vertrag aussprechen. Das ist für viele Staaten eine heikle Frage, weil dann nationale Referenden notwendig werden, die man lieber vermeiden möchte, aber man sollte nicht schon zu Beginn einer Zukunftskonferenz die Option eines neuen Vertrags ausschließen.
Deutschland, das derzeit die EU-Ratspräsidentschaft innehat, will bei der Asylfrage noch heuer einen Durchbruch aus der wechselseitigen Blockadesituation schaffen. Welchen Beitrag wird Österreich hier leisten?
Wir unterstützen selbstverständlich die deutsche Präsidentschaft, allerdings müssen die Lösungen dabei so ausschauen, dass sich alle Länder darin wiederfinden können, und das wird die große Kunst sein. Gerade deshalb war und ist unser Zugang flexible Solidarität und ebensolche Verantwortung. Über keinen Staat darf drübergefahren werden, aber jeder Staat muss auch einen Beitrag zur Lösung des Problems leisten - sei es in Form einer Entsendung von Frontex-Beamten, sei es zur Hilfe vor Ort in Krisenregionen, sei es durch humanitäre Hilfe inner- oder außerhalb Europas oder eben in Form der Aufnahme von Flüchtlingen. Ich hoffe sehr, dass der Vorschlag der Kommission in diese Richtung gehen wird.
Damit dies funktioniert, muss die jeweilige nationale Belastung finanziell annähernd gleich sein, egal in welcher Form dann der Beitrag erfolgt. Wie wollen Sie das sicherstellen?
Es muss verschiedene Möglichkeiten für die Staaten geben, einen Beitrag zu leisten, aber was sicher nicht geht, ist, dass sich ein Staat freikaufen kann oder einfach erklärt, er hat mit der ganzen Sache ohnehin nichts zu tun, weil die Flüchtlinge ohnehin woanders hinwollen, und sie Bedingungen schaffen, dass keiner aufgenommen wird.
Wir müssen auch die Mitgliedstaaten an der EU-Außengrenze unterstützen. Wir haben aber auch jetzt während der Pandemie gesehen, dass illegale Migrationsrouten nahezu gänzlich zum Erliegen kommen, wenn die entsprechende Botschaft der Union ist, dass die Grenzen dicht sind. Ein Teil der europäischen Lösung muss also ein wirksamer Außengrenzschutz sein.
Wo sollen Menschen Asyl beantragen können?
Das wird ein wichtiger Punkt sein, den ich auch mit den zuständigen Mitgliedern der EU-Kommission schon im Februar besprochen habe. Die Verfahren müssen schneller abgewickelt werden, und wir sollten uns darauf verständigen, dass Asyl nur mehr im Rahmen von Resettlement-Programmen gewährt wird. Uns geht es darum, all jenen Menschen zu helfen, die auch einen berechtigten Asylgrund haben und deshalb Schutz und Hilfe benötigen.
Wenn eine gemeinschaftliche Lösung steht, ist also Österreich bereit, weitere Flüchtlinge aufzunehmen - und zwar auch solche, die eben nicht im Inland einen Antrag stellen, weil das soll ja durch den Außengrenzschutz tunlichst verunmöglicht werden?
Wogegen wir uns verwehren, ist eine verpflichtende Verteilung von Flüchtlingen über ganz Europa, einfach weil das nicht funktioniert und die Flüchtlinge auch nicht in Bulgarien, Ungarn oder Rumänien bleiben wollen.
Wie sollen die Flüchtlinge dann von den Staaten an der Außengrenze, wo sie EU-Boden betreten, oder von Zentren außerhalb der EU verteilt werden?
Es gibt ja Staaten, die wollen Flüchtlinge aufnehmen, und es gibt Staaten, dazu zählen Österreich, Deutschland und Schweden, die haben bereits einen enormen Beitrag geleistet. Bei einer fairen Lastenverteilung muss auch das berücksichtigt werden. Es braucht einen gesamthaften Blick. Vor allem aber muss Europa die klare Botschaft aussenden, dass nur eine Chance auf Aufnahme hat, wer einen berechtigten Asylgrund vorweisen kann. Wenn das konsequent geschieht, dann werden automatisch auch die Migrationszahlen massiv sinken. Das muss natürlich ergänzt werden durch eine nachvollziehbare Einwanderungspolitik Europas, die sich nach den wirtschaftlichen Bedürfnissen und Notwendigkeiten richten muss.
In welchen Bereichen soll die EU vom Prinzip der Einstimmigkeit abweichen, um handlungsfähiger zu werden?
Eigentlich gibt es Einstimmigkeit nur mehr in Fragen der Außen- und Sicherheitspolitik sowie im Steuer- und Finanzbereich. Was wir dringend brauchen, das hat auch die Pandemie gezeigt, ist, nach außen stärker als Union aufzutreten. Bei Auslandsreisen mache ich immer wieder die Erfahrung, dass in vielen Bereichen niemand die europäische Position kennt, sondern allenfalls die nationale einiger weniger großer Staaten. Deshalb müssen wir die Rolle der EU in der Außen- und Sicherheitspolitik stärken und das geht nur über eine Abkehr von der Einstimmigkeit. Bei der Finanzpolitik gibt es so viele unterschiedliche nationale Traditionen und Zugänge, das kann und soll man nicht über einen Kamm scheren, deshalb sollte es hier bei der nationalen Souveränität bleiben.
Die ÖVP nannte sich früher stolz "Europapartei", gilt das immer noch?
Ja, hundertprozentig. Ich selbst sehe mich als glühende Europäerin, dazu braucht es aber mehr, als nur pro-europäische Parolen zu trommeln, dazu braucht es auch den Dialog mit den Bürgerinnen und Bürgern darüber, wie sie sich Europa vorstellen. Und wenn es berechtigte Kritik gibt, müssen wir die nach Brüssel tragen und uns für eine bessere Union einsetzen.
Und vertragen sich damit auch strategische Allianzen mit den Visegrad-Staaten und Blockadedrohungen beim EU-Finanzpaket?
Ja, sehr gut sogar, weil wir dadurch gezeigt haben, dass es kein Widerspruch ist, europäische Solidarität zu leben und trotzdem nationale Interessen durchzusetzen. Das sichert auch die Unterstützung der Bürger für die Union.