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Kein Freund des Kapitals

Von Michael Schmölzer

Politik

In der EU fragt man sich, ob der linke Oppositionschef Alexis Tsipras mit seinen radikalen Forderungen Ernst macht.


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Athen. Schon bei den Parlamentswahlen 2012 war er einem Wahlsieg nahe, jetzt nimmt Alexis Tsipras erneut Anlauf - und die Chancen, dass es klappt, stehen nicht schlecht: Der 40-jährige Chef der ultralinken griechischen Partei Syriza, Schreckgespenst der Finanzmärkte und der Brüsseler Kommission, könnte in der Tat die nächsten griechischen Parlamentswahlen gewinnen.

Beim Probelauf der EU-Wahlen im Mai hatte es bereits geklappt: Syriza landete mit 26,6 Prozent der Wählerstimmen auf Platz eins, die konservative Nea Dimokratia von Premier Antonis Samaras lag mit etwas über 22 Prozent deutlich dahinter.

Die Regierung in Athen gerät tatsächlich zunehmend ins Wanken: Am Mittwoch waren die Abgeordneten dazu aufgerufen worden, einen neuen Präsidenten zu wählen. Der Kandidat der Regierung, Stavros Dimas, ist nicht populär. Dementsprechend stimmten nur 160 Abgeordnete für Dimas. Er verfehlte damit wie erwartet die erforderliche Zwei-Drittel-Mehrheit im 300 Sitze zählendem Parlament. Sollte auch in den nächsten beiden Wahlgängen kein Präsident gewählt werden, müsste das Parlament aufgelöst werden. Die linke Opposition unter Tspiras hat Umfragen zufolge gute Aussichten, eine solche Wahl zu gewinnen.

Es gilt als unwahrscheinlich, dass das Regierungslager mit seinen 155 Mandaten Stavros im zweiten Wahlgang am 23. Dezember durchbringt. Bei einem letzten Wahlgang am 29. Dezember bräuchte der 73-Jährige allerdings nur 180 Stimmen.

Premier Samaras hatte die Wahl des Staatsoberhaupts um zwei Monate vorgezogen, um die politische Unsicherheit in dem hoch verschuldeten Land zu beenden. Samaras ist angeschlagen, er war zuletzt mit einigen Misstrauensanträgen konfrontiert, die er knapp überstand. Spätestens seit Oktober sind die Parlamentarier im Wahlkampfmodus, Schreiduelle sind an der Tagesordnung, für Argumente ist kein Platz mehr.

In Griechenland selbst gärt es, man war in den letzten Jahren mit einem kolossalen Einsparungsprogramm konfrontiert - Maßnahmen, die an die Lage Österreichs knapp nach dem Ersten Weltkrieg erinnern. Die Arbeitslosigkeit liegt bei 25,9 Prozent (zum Vergleich: Österreich 5,1 Prozent). Jetzt, knapp vor Weihnachten, werden vielen Griechen Armut und Hoffnungslosigkeit besonders bewusst.

Stellt sich die Frage, ob der EU mit Tsipras ein griechischer Che Guevara droht. Würde eine Syriza-Regierung den angekündigten Ausstieg aus dem griechischen Hilfsprogramm mit einem Volumen von 240 Milliarden Euro umsetzen? Wird Tsipras seine Versprechen tatsächlich einhalten und die Restschulden Griechenlands einseitig abschreiben? Wird Griechenland die Eurozone verlassen müssen, wie Samaras gedroht hat? Bei Syriza selbst betont man, dass der Kampf gegen das "Spardiktat" auf europäischer Ebene aufgenommen werden wird. Was dann schlussendlich dabei herauskomme, wisse man nicht.

Doch wer ist Alexis Tsipras? Der 40-Jährige startete seine politische Laufbahn als Schülervertreter in den 90er Jahren, machte rasch Karriere und erreichte die Spitze der ehemaligen "Eurokommunisten" Griechenlands. 2004 wurde er zum Syriza-Präsidenten gewählt, einem Bündnis, bestehend aus einem Zusammenschluss verschiedener Parteien und Gewerkschaftsbewegungen, von Maoisten, Gewerkschaftern und Grünen. Syriza sieht sich als Schwesterpartei der deutschen Partei Die Linke. Die regierende Nea Dimokratia hat Syrzia zuletzt in die Nähe des Linksterrorismus gerückt - wohl vor allem ein Zeichen dafür, wie aufgeheizt die Stimmung in Athen ist.

Je realistischer eine tatsächliche Machtübernahme wird, desto gemäßigter gibt man sich bei Syriza. Man will Griechenland in der Eurozone belassen, heißt es hier. Gegenüber den internationalen Kreditgebern versichert man, dass "einseitige Maßnahmen" nicht geplant seien. Man wolle mit den internationalen Gläubigern neu verhandeln und bessere Konditionen für Griechenland herausholen. Gleichzeitig hat Syriza Versprechen abgegeben, die teuer klingen. So sollen die öffentlichen Investitionen angekurbelt, Privatisierungen gestoppt, Löhne und Pensionen erhöht und die Finanzmärkte strikt reguliert werden. "Die Reichen, die Eliten, die Märkte und die oberen zehn Prozent" hätten durchaus Grund, sich Sorgen zu machen, heißt es bei Syriza. Diese würden ihre Privilegien einbüßen.

Warnung vor "falscher" Wahl

Das klingt für manche bedrohlich, die Märkte reagierten zuletzt entsprechend nervös mit Kurssprüngen nach unten. Europas Granden warnen die Griechen vor gefährlichen Entscheidungen: Kommissionschef Jean-Claude Juncker meinte zuletzt, die Griechen wüssten sehr genau, "was ein falsches Wahlergebnis für Griechenland und die Eurozone bedeuten würde". Am Montag legte EU-Wirtschafts- und Finanzkommissar Pierre Moscovici nach und warnte vor einem Rauswurf aus der Eurozone, sollte Syriza sich im Falle eines Wahlsieges nicht an die Vereinbarungen mit den Gläubigern halte. Flankiert wurde Moscovici von Gianni Stournaras, der als Chef der griechischen Zentralbank "irreparable Schäden" heraufbeschwor und vor einem erneuten Abflauen des Wirtschaftswachstums warnte.

Doch vor dem Hintergrund ihrer derzeitigen Lebensrealität erscheint das Schreckgespenst Syriza immer mehr Griechen gar nicht so furchterregend wie behauptet. Nicht vergessen ist auch, dass es exakt die Parteien waren, die jetzt in der Regierung sitzen, die Griechenland in den Ruin geführt haben. Die Mehrheit der Griechen lehnt vorgezogenen Parlamentswahlen aber ab: Denn die Frage, wie Syriza nach einem Wahlsieg eine Mehrheit für eine Regierungsbildung erhalten könnte, ist unbeantwortet.