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Kein Gas mehr in dieser Leitung

Wirtschaft

Nord Stream 1 wird gewartet. Gazprom dreht weiter am Gashahn und gefährdet die Bevorratung.


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Seit Montag, 6 Uhr morgens, fließt kein Gas mehr aus Russland nach Deutschland über die Nordseepipeline Nord Stream 1. Das hat der staatliche russische Energiekonzern Gazprom auf seiner Homepage mitgeteilt. Grund dafür sind Wartungsarbeiten an der Pipeline, die zehn Tage dauern sollen – offiziell. Weil aber Russland zunehmend Gas als geopolitische Waffe einsetzt, wächst die Sorge, dass der Gashahn auch nach dem 11. Juli zu bleibt.

Wenn das passiert, hätte das verheerende Auswirkungen auf die Versorgungssicherheit in Europa und auch auf den Plan der Regierung zur Bevorratung und Einspeisung von Gas. "Wir weisen voll und ganz jedwede Andeutungen oder direkte Mitteilungen zurück, dass die russische Seite Gas oder Öl als Waffe für einen politischen Druck benutzt", sagte zwar Kreml-Sprecher Dmitri Peskow. In der EU ist man dennoch alarmiert, denn Russland hat bereits fünf Staaten den Gashahn zugedreht und zuletzt die Liefermengen nach Österreich und Deutschland stark gedrosselt.

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OMV: Um 70 Prozent weniger

Der russische Staatskonzern Gazprom hat der OMV nach Beginn der Nord-Stream-1-Wartung die Liefermengen weiter gekürzt. Die OMV erhalte heute, Montag, um rund 70 Prozent weniger als nominiert, sagte OMV-Sprecher Andreas Rinofner auf APA-Anfrage. Zuletzt, seit Mitte Juni, hatte Gazprom ungefähr die Hälfte der bestellten Menge geliefert.

Ob die Gasspeicher trotz der Lieferkürzungen weiter befüllt werden können, hänge auch vom jeweiligen Tagesverbrauch und dem Zukauf am Spotmarkt ab, so der Sprecher. Die tatsächlich gelieferten Mengen und wie viel davon eingespeichert wurde, stehen erst ein bis zwei Tage später fest.

Routine oder Druckmittel?

Eigentlich handelt es sich um routinemäßige Wartungsarbeiten, also um Software-Updates, um die Kalibrierung der Stromleitungen, des Gas- und Brandschutzes. Auch eine in Kanada gewartete Turbine, deren Rücksendung eigentlich unter das Sanktionsregime fällt, wird nun doch geliefert, um die Wiederaufnahme der Gaslieferungen nicht zu gefährden.

Die 2010 fertiggestellte Pipeline Nord Stream 1 transportiert jährlich 55 Milliarden Kubikmeter Gas vom russischen Wyborg ins deutsche Lubim. Rund 26 Millionen Haushalte in Europa werden über diesen Strang mit Gas versorgt, vor allem in Deutschland.

Eigentlich spielt Nord Stream 1 für Österreich eine untergeordnete Rolle. Die OMV wird von Gazprom über die Ukraine-Route, also über die Pipeline "Druschba" (auf Deutsch "Freundschaft" Anm.), beliefert. Ein Lieferstopp in der Nordsee trifft aber auch Österreich.
Denn so wird das Angebot am Gasmarkt zusätzlich verknappt, der Gaspreis steigt und die Bevorratung mit Gas gerät dadurch ins Stocken. Zur Erinnerung: Am 18. Mai hat die Bundesregierung weitreichende Maßnahmen zur Befüllung der Gasspeicherkapazitäten beschlossen. Bis November sollen etwa die heimischen Speicher zu 80 Prozent befüllt sein. Zudem wird der Gazprom-Speicher in Haidach an das österreichische Netz angeschlossen.

Die Nervosität in ganz Europa ist groß und alle Blicken sorgenvoll auf den 21. Juli. Am Dienstag beraten etwa Vertreter der Bundesregierung mit Deutschlands Wirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) in der Energiefrage in Wien. Energieministerin Leonore Gewessler geht zwar davon aus, dass die Lieferungen wieder aufgenommen werden, das ist allerdings mehr als fraglich. In Deutschland, aber auch in Österreich wächst die Rezessionsangst.  

70 Prozent weniger für OMV

Wartungsarbeiten an den Pipelines sind keine Seltenheit. In der Vergangenheit wurden aber in solchen Fällen zum Beispiel die Gasflüsse über die Ukraine erhöht. Diesmal ist aber das Gegenteil der Fall. Die OMV meldete ebenfalls am Montag, dass derzeit 70 Prozent weniger Gas aus Russland nach Österreich fließen, als eigentlich bestellt wurden. Seit Mitte Juni liefert Gazprom nur 50 Prozent der bestellten Liefermenge an die OMV.

Das bedeutet, dass sich die Einspeicherung dadurch jedenfalls verzögert, weil ja auch der tägliche Gasbedarf gedeckt werden muss. Dieser ist im Juli und August um zwei Drittel niedriger als in den kalten Wintermonaten, aber auch die Liefermengen aus Russland sind entsprechend gesunken. Österreich muss also mehr Gas tagesaktuell am Spotmarkt zukaufen und das ist derzeit sehr teuer, weil eben weniger Gas am Markt ist.

Parallel zu Nord Stream 1 verläuft auch die im September 2021 fertiggestellte Pipeline Nord Stream 2, an der auch die OMV über ein Konsortium beteiligt ist. Diese bekam aber nicht die endgültige Betriebsfreigabe durch die deutschen Behörden und die Inbetriebnahme wurde mit Kriegsbeginn abgesagt. Das Projekt war umstritten, weil es unter Umgehung der Ukraine Gas nach Europa liefert. Nun wird auch darüber spekuliert, dass der Ausfall von Nord Stream 1 als Druckmittel für die Inbetriebnahme von Nord Stream 2 verwendet werden könnte. (del)

Chronologie zur Unsicherheit der Gasversorgung

24. Februar 2022 - Die russische Armee marschiert im Zuge des seit Wochen schwelenden Ukraine-Konflikts in seinem Nachbarland ein. Die Europäische Union (EU) kündigt unverzüglich scharfe Sanktionen gegen den Aggressor an. Nach Österreich, das rund 80 Prozent seiner Gaslieferungen aus Russland bezieht, fließt das Gas nach der Invasion bis auf weiteres ungebremst weiter.

Ende Februar und März 2022 - Der Krieg führt, auch aufgrund der verhängten Sanktionen, zu Erschütterungen an den internationalen Rohstoffmärkten. Neben den Preisen für Güter wie Getreide, Düngemitteln und Treibstoff schießen die Gaspreise in die Höhe. In der EU und Österreich entspinnt sich unterdessen eine Debatte zu möglichen Alternativen für russisches Erdgas. Ziel ist es, schnellstmöglich von Russland unabhängig zu werden.

23. März 2022 - Russland kündigt an, Gaslieferungen in die EU nur mehr gegen Rubel zu akzeptieren. Zahlungen in Dollar oder Euro sollen nicht mehr angenommen werden. Die Lieferungen bleiben laut dem russischen Präsidenten Wladimir Putin aber weiter in vollem Umfang aufrecht.

24. März 2022 - Der österreichische Nationalrat beschließt angesichts niedriger Füllstände eine strategische Gasreserve. Der Speicherstand beträgt zu diesem Zeitpunkt rund 15 Prozent.

29. März 2022 - Die Gaspreise im Großhandel befinden sich auf Rekordhöhe. Der Österreichische Gaspreisindex (ÖGPI) stieg für April gegenüber dem Vormonat von hohem Niveau ausgehend um 6,5 Prozent. In der Wirtschaft werden massive Auswirkungen für Betriebe befürchtet. Die hohen Preise heizen nicht zuletzt auch die Inflation an.

30. März 2022 - Als Reaktion auf die Rubel-Ankündigung rufen zunächst Deutschland und später auch Österreich die Frühwarnstufe im dreistufigen Notfallplan für die Gasversorgung aus. Mit der ersten Stufe wird das Überwachungs- und Monitoring-System verschärft.

April 2022 - Nach den Enthüllungen russischer Gräueltaten im ukrainischen Butscha intensiviert sich die Debatte um die Energieabhängigkeit von Russland. Ein nicht unumstrittenes Öl-Embargo gegen Russland wird in den Raum gestellt. Österreich ist kaum von russischem Öl abhängig.

27. April 2022 - Der russische Staatskonzern Gazprom stoppt alle Gaslieferungen nach Bulgarien und Polen. Als Grund wird deren Weigerung, sich den neuen Zahlungsmodalitäten zu unterwerfen, angeführt. Nach Österreich fließt das Gas uneingeschränkt weiter. Die Regierung kündigt unterdessen an, für die strategische Gasreserve bis zu 6,6 Mrd. Euro aus dem Budget zur Verfügung zu stellen. Bis zur Heizsaison sollen die Speicher zu 80 Prozent gefüllt sein.

18. Mai 2022 - Die Bundesregierung beschließt weitreichende Maßnahmen zur Befüllung der Erdgasspeicher. Ungenutzte Gas-Speicherkapazitäten müssen abgegeben werden und der strategisch wichtige Gasspeicher Haidach in Salzburg soll an das österreichische Gasnetz angeschlossen werden.

21. Mai 2022 - Russland stellt seine Gaslieferungen nach Finnland ein.

24. Mai 2022 - Die Regierung kauft die ersten 7,7 Terawattstunden (TWh) Gas für die strategische Reserve an und nimmt dafür 958 Mio. Euro in die Hand.

30. Mai 2022 - Die EU verständigt sich auf ein Öl-Embargo gegen Russland. Effektiv betrifft das Embargo unmittelbar mehr als zwei Drittel aller Ölimporte aus Russland. Erdgas wird bis auf wenige Einschränkungen weiter importiert. Indes stoppt Russland jedoch auch seine Lieferungen in die Niederlande.

16. Juni 2022 - Gazprom reduziert seine Gaslieferungen durch die Ostseepipeline Nord Stream nach Deutschland. Auch Österreich ist mit reduzierten Gaslieferungen aus Russland konfrontiert. Zunächst wird 30 Prozent weniger geliefert, in weiterer Folge sind es nach Angaben des heimischen Öl- und Gaskonzerns OMV bis zu 50 Prozent weniger. Die Gasspeicher sind zu diesem Zeitpunkt zu rund 40 Prozent gefüllt.

23. Juni 2022 - Deutschland ruft infolge der gesunkenen Liefermengen und der anhaltend hohen Preise die Gas-Alarmstufe aus - die zweite Stufe im Notfallplan. Die politische Führung fürchtet um die Versorgungssicherheit. Österreich bleibt bei der Frühwarnstufe.

1. Juli 2022 - Die Speicherbefüllung läuft schleppend. Nach Angaben von Klimaministerin Leonore Gewessler (Grüne) gehen die Einspeicherraten deutlich zurück. Die Regierung kündigt an, sich über die aktuelle Lage und mögliche Maßnahmen zu beraten.

5. Juli 2022 - Die Regierung behält die Frühwarnstufe des Gas-Notfallplans bei - vorerst, wie Gewessler betont. Denn mit der Wartung der Gaspipeline Nord Stream 1 erwarte Österreich ein "kritisches Ereignis".

11. Juli 2022 - Die angekündigte Wartung der Nord-Stream-Pipeline beginnt. Experten und Beobachter befürchten, dass Russland weitere Gas-Lieferungen auch nach der Ende der rund zehntägigen Wartung zurückhalten könnte.