Adamovich: Einfluss der Parteien wird überschätzt. | Judikatur oft schon vorgegeben durch frühere Entscheide. | Wien. Wenn Herbert Haller mit Jahresende den Verfassungsgerichtshof (VfGH) altersbedingt verlassen muss - er ist heuer 70 geworden -, scheidet der einzige Verfassungsrichter aus, den weder SPÖ noch ÖVP nominiert haben. Haller sitzt seit 2003 auf Vorschlag der FPÖ im VfGH. Ihm folgt nun Georg Lienbacher nach, wie die Bundesregierung am Dienstag entschied - auf Vorschlag der ÖVP.
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Neben Haller wird auch Lisbeth Lass - seinerzeit erste weibliche Verfassungsrichterin - den VfGH verlassen.
Bei der Wahl ihres Nachfolgers durch den Nationalrat setzte sich am Donnerstagabend erwartungsgemäß der Vizerektor der Wirtschaftsuniversität (WU) Wien, Michael Holoubek, durch. Der 48-Jährige, der als Wunschkandidat der SPÖ galt, wurden von beiden Regierungsparteien gemeinsam aufgestellt. Holoubek erhielt 109 der 157 gültigen Stimmen.
Die Bestellung der Nachfolger von Lass und Haller macht deutlich, dass die Entscheidung, wer Verfassungsrichter wird, eine höchst parteipolitische ist.
Gewisses Naheverhältnis
"Wenn eine Besetzung ansteht, wird kein Geheimnis daraus gemacht, dass es die politischen Parteien sind, die das Sagen haben", schreibt etwa der frühere Zweite Nationalratspräsident Heinrich Neisser, in den 60er Jahren selbst Sekretär im Präsidium des Verfassungsgerichtshofs.
Auch der frühere VfGH-Präsident Ludwig Adamovich räumt im Gespräch mit der "Wiener Zeitung" ein, "ein gewisses Naheverhältnis spielt bei der Bestellung eine Rolle, nicht aber bei der Judikatur". Überhaupt werde "der politische Faktor in der Verfassungsgerichtsbarkeit überschätzt", weil in vielen Fällen die Entscheidungen ohnehin schon vorgegeben seien durch eigene Erkenntnisse des VfGH oder durch Entscheide des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte, meint Adamovich.
Dass es den Parteien dennoch sehr wichtig ist, wer im VfGH sitzt, erklärt Adamovich damit, dass diese jemanden wollen, "dem sie vertrauen können". Man dürfe jetzt aber nicht glauben, die Verfassungsrichter seien lauter Handlanger der Parteien. Vielmehr seien das - inklusive der neu zu bestellenden - "alles hochqualifizierte Leute mit viel Erfahrung", sagt Adamovich. Dass die Bestellung rein parteipolitisch erfolge, damit könne man leben, solange kein Missbrauch vorliege. Der VfGH dürfe zu keiner Versorgungseinrichtung für Leute werden, die sich nur als "getreuer Diener einer Partei" auszeichneten, so Adamovich.
Mangelnde Qualifikation kann man Lienbacher und Holoubek nicht absprechen. Beide sind Rechtsprofessoren an der Wirtschaftsuniversität Wien. Auch der Rechtsanwalt und Flughafen-Aufsichtsratschef Christoph Herbst wäre fachlich qualifiziert. Er gilt als heißer Kandidat für die Nachfolge von Willibald Liehr, der Ende 2011 aus dem VfGH ausscheidet, und über die der Bundesrat in einem Jahr entscheidet. 2012 werden Nationalrat und Bundesregierung dann noch die Nachfolger von Hans Georg Ruppe und Peter Oberndorfer entscheiden - für beide hat voraussichtlich die ÖVP das Vorschlagsrecht.
Wissen
Der Verfassungsgerichtshof besteht aus einem Präsidenten, einer Vizepräsidentin, zwölf Mitgliedern und sechs Ersatzmitgliedern, die vom Bundespräsidenten auf Vorschlag der Bundesregierung, des Nationalrats und des Bundesrats ernannt werden.
Die Amtszeit eines Verfassungsrichters endet mit Ablauf des Jahres, in dem er seinen 70. Geburtstag feiert. Verfassungsrichter müssen Jus studiert haben und mindestens zehn Jahre in einem Beruf tätig gewesen sein, für den dieses Studium vorgeschrieben ist. Die Bundesregierung darf nur Richter, Verwaltungsbeamte oder Uniprofessoren vorschlagen, die Parlamentskammern auch Rechtsanwälte. VfGH-Richter können - mit Ausnahme der Verwaltungsbeamten - ihren Beruf weiter ausüben.
Richter am VfGH dürfen weder der Bundes- noch einer Landesregierung angehören. Auch Mitglieder eines allgemeinen Vertretungskörpers (z.B. Parlament) und Parteifunktionäre sind ausgenommen.
Website Verfassungsgerichtshof