Eine aktuelle Studie von "Ärzte der Welt" zeigt die soziale Dimension der Wirtschaftskrise auf, unter der auch die Gesundheitssysteme der EU leiden.
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Die Krise - für die Helfer hat sie immer mehr Gesichter. Wie das von Athanassis, der mit seinen 78 Jahren in eine Lagerhalle bei Athen ziehen musste, weil er sich keine Wohnungsmiete mehr leisten konnte. Oder jenes des 13-jährigen Roma-Buben Iannis in der griechischen Stadt Perama, dem seine Schule den Unterricht wegen fehlender Impfungen verweigert hatte. Oder wie das Gesicht der 22-jährigen schwangeren Kubanerin Teresa, die auf der spanischen Insel Teneriffa lebt und ihre lebensnotwendigen Diabetes-Medikamente erst erhalten hat, als es fast schon zu spät war.
Die Geschichten dieser Menschen gehören zu einer Reihe von Berichten, die die "Ärzte der Welt" gesammelt haben. Die in Europa in zehn Ländern ansässige Hilfsorganisation hat sie in eine Studie einfließen lassen: Mehr als 8400 Patienten in 14 Städten wurden dafür befragt. Die Ergebnisse zeigen einmal mehr, wie die Gesundheitssysteme der EU unter der Wirtschaftskrise leiden.
Die Sparpolitik etlicher Staaten treffe dabei am härtesten diejenigen, die schon davor zu den verletzlichsten Bevölkerungsgruppen gezählt haben, warnen "Ärzte der Welt". Einwanderer, Obdachlose, aber auch mittellose EU-Bürger oder Menschen, die unter prekären Bedingungen leben: Sie sind es, die Hilfe bei den Anlaufstellen der Organisation suchen oder von deren mobilen Teams betreut werden. Der Studie zufolge konnten sich vier Fünftel von ihnen zuvor nicht untersuchen oder behandeln lassen, weil sie alles selbst hätten bezahlen müssen.
Gleichzeitig steigt aber auch die Zahl jener Menschen, die sich im eigenen Land die Gesundheitsversorgung mittlerweile nicht mehr leisten können. Besonders sichtbar wird dies in Griechenland. War dort vor wenigen Jahren nicht einmal jeder zehnte Patient ein Grieche, ist es nun jeder zweite. So hoch wie in keinem anderen untersuchten Land ist dort auch die Rate der psychischen Beschwerden: Die Hälfte der Befragten klagt darüber. Die Zahl der Anlaufstellen musste auf fünf erhöht werden, und mittlerweile gibt es dort nicht nur medizinische Versorgung, sondern auch schlicht die Verteilung von Nahrungsmitteln.
Für Nikitas Kanakis von der griechischen "Ärzte der Welt"-Sektion ist all das in erster Linie eine Folge der Sparmaßnahmen, die die Troika der internationalen Kreditgeber Athen auferlegt hat. "Wir machen nur, was die Troika verlangt, und dabei ist dem Staat egal, dass Frauen keine Impfungen mehr für ihre Kinder bekommen", klagt Kanakis.
Die Sparvorgaben wirken sich auch in anderen Ländern gravierend aus. In Portugal häufen sich die Fälle, in denen Menschen entscheiden müssen, ob sie Medikamente oder Lebensmittel kaufen. In Spanien wurde gleich eine ganze Gruppe per Gesetz von der Gesundheitsversorgung ausgeschlossen: Migranten ohne Aufenthaltsdokumente. Allerdings weigern sich ein paar Regionen offen, die Regelung umzusetzen.
Dabei würde die Hilfe für die Menschen weder ein Staatsbudget sprengen noch - wie von Populisten behauptet - zu einem "Gesundheitstourismus" führen. Denn kaum jemand wanderte wegen der medizinischen Versorgung in die EU ein: Es waren nicht einmal zwei Prozent.