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Kein Grund zum Jubeln

Von Walter Hämmerle

Leitartikel
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Heute werden alle von einem großen Sieg für die Demokratisierung Europas, von einem historischen Durchbruch sprechen. Und das nur, weil Jean-Claude Juncker zum neuen Chef der EU-Kommission aufsteigt.

Diese Interpretation ist nicht ganz falsch, aber eben auch nicht völlig richtig. Die EU ist ein eigentümliches Gebilde, und deshalb lässt sich auch so schwer sagen, wie sich Demokratie auf dieses wilde Institutionengefüge aus einer Metaebene und 28 Staaten übertragen lässt. Zumal ohne Verfassung, die die Spielregeln der Machtausübung und ihrer Kontrolle zweifelsfrei festlegt. Europa ist hier noch immer Grenzland, wo sich oft der Stärkere, manchmal auch nur der Geschicktere durchsetzt. Im Fall Juncker ist dies das EU-Parlament. Aber ob dies reicht, um gleich von Demokratisierung zu sprechen?

Gerade wenn das EU-Parlament vom Kampfmodus auf Jubelstimmung umschalten will, sollte man sich bewusst die Gegenperspektive vor Augen führen: Gmeint ist nicht der Höhenflug der Europagegner und -kritiker vom rechten wie linken Rand - das gehört zur Demokratie, zumal die Mehrheit der politischen Mitte nach wie vor überwältigend ist. Viel wichtiger ist, dass eine Mehrheit der EU-Bürger das EU-Parlament offensichtlich (noch) nicht als zentrale demokratische Vertretungsinstanz akzeptiert.

Auch deshalb ist es bemerkenswert, dass und wie die Einwände der Briten in der Debatte über die Zukunft der Union vom Tisch gewischt werden, zumal es sich ja nicht um David Camerons Privatmeinung oder die exklusive Ansicht seiner konservativen Tories handelt. Für einmal nämlich ist sich die streitlustige Inselnation weitgehend einig. Man muss diese Haltung ja nicht teilen, aber darüber diskutieren sollte man doch. Und zwar öffentlich und in aller Ausführlichkeit. Und sei es nur deshalb, weil die Briten in Sachen Demokratie im Laufe ihrer Geschichte ein weitaus besseres Gespür bewiesen haben als die meisten Staaten Kontinentaleuropas.

Um Europa eine demokratische und effiziente institutionelle Architektur zu verpassen, genügt es nicht, nur das EU-Parlament zu stärken. Die Parlamente auf den unteren Ebenen - kommunal, (trans-)regional und national - müssen dabei eine tragende Rolle spielen. Denn ohne starke Stützpfeiler bricht auch die schönste Dachkonstruktion in sich zusammen. Diese Gefahr besteht weiterhin - trotz Juncker.