Die Argumente, die in früheren Zeiten die Entfernung der Vorhaut gerechtfertigt haben, ziehen heute nicht mehr.
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Es wird noch dauern, aber alles deutet darauf hin, dass die Entscheidung des Kölner Oberlandesgerichts einen Meilenstein in der Abschaffung der Beschneidung von Kleinkindern darstellen wird. In ganz Europa ist seither eine öffentliche Debatte im Gange. Zuletzt brachte zum Beispiel die französische Zeitung "La Croix" eine ganze Seite über die rechtliche Lage in Deutschland und Frankreich (die Beschneidung ist im Land des Laizismus eigentlich verboten, aber geduldet).
Als Franzose, Atheist und Jude, der seit acht Jahren in Wien lebt, habe ich mit größtem Entsetzen die Diskussion in Österreich verfolgt. Unlängst hat sich auch noch der Ehrenpräsident der Israelitischen Kultusgemeinde, Ariel Muzicant, mit einem unseligen Vergleich in die Debatte eingeschaltet. Ein Verbot der Beschneidung sei für ihn "dem Versuch einer neuerlichen Shoah, einer Vernichtung des jüdischen Volkes, gleichzusetzen - nur diesmal mit geistigen Mitteln".
Handelte es sich dabei nicht um eine schamlose Respektlosigkeit den Opfern der Vernichtung der Juden im Zweiten Weltkrieg gegenüber, um eine Verharmlosung von historischem Ausmaß?
Als Humanist will ich natürlich nicht in schlechter Gesellschaft dastehen (wie der von ÖVP-Landeshauptmann Markus Wallner, der die Position des FPÖ-Landesparteichefs Dieter Egger übernimmt) und möchte daher grundsätzlich die verschiedenen Argumente Revue passieren lassen.
Das Argument, wonach es sich um die Achtung einer Jahrtausende alten Tradition handle, verdient keine weitere Diskussion: Sicherlich gibt es solche Traditionen wie den Stierkampf oder die weibliche Genitalverstümmelung, die zum Glück vom Aussterben bedroht sind. Manche berufen sich auf die in der österreichischen Verfassung fest verankerte Religionsfreiheit. Wie sieht es aber aus mit der Religionsfreiheit des Kindes? Wieso sollten Gläubige ihre Kinder wie Vieh markieren dürfen? Es geht doch um eine Verstümmelung, wenn auch mit viel weniger Folgen als bei der weiblichen Genitalverstümmelung.
Zurzeit wird die Beschneidung in den USA bei der Hälfte der Neugeborenen durchgeführt. Ursprünglich wurde sie von den ersten protestantischen Einwanderern praktiziert mit dem Motiv, damit die Masturbation zu unterbinden. Im 20. Jahrhundert haben jüdische Ärzte dann dieses Ritual mit pseudo-hygienischen Gründen legitimiert. Da wir aber heutzutage meistens nicht in der Wüste, wie manche Juden vor 3000 Jahren, leben, gibt es keinerlei Rechtfertigung, auf Schweinefleisch zu verzichten (es hält sich schlecht bei Hitze) und Vorhäute zu entfernen (auch Männer können sich heute waschen!). Keine medizinische Fakultät der Welt oder internationale Institution spricht sich grundsätzlich für eine Beschneidung aus medizinischen Gründen aus.
Die zuständigen österreichischen Ministerien haben die Überzeugung geäußert, dass kein Handlungsbedarf bestehe. Kennen sie aber nicht den Artikel 19 der Konvention über die Rechte des Kindes? Man soll Kinder "vor jeder Form körperlicher oder geistiger Gewaltanwendung" schützen.
Dossier: Debatte um die Beschneidung