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Kein Grund zur Panik

Von Walter Hämmerle

Leitartikel
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Von wegen "alles ist möglich": Die politische Postmoderne hat in Deutschland ihren Bruch erlebt. "Jamaika" ist gescheitert. Die Verhandler hätten auch nach vier Wochen "keine gemeinsame Idee" für die notwendige Modernisierung des Landes finden können, monierten die Liberalen, die mit dem Abbruch der Sondierungen Europas Führungsmacht in eine Krise gestürzt haben.

Wie tief diese Krise ist, darüber lässt sich streiten. Die Finanzmärkte, denen sonst kein Anlass zu gering ist für einen irrationalen Auszucker, ließen die Nachricht mit seltener Lässigkeit an sich abperlen. Ginge es um Frankreich, um Italien oder Spanien, wäre Panik angesagt.

Für Angela Merkel ist das Scheitern der bunten Koalition ein Niederschlag. Anfang November wurde Deutschlands Langzeitkanzlerin vom "Forbes"-Magazin zur "mächtigsten Frau der Welt" gekürt, zum siebten Mal in Folge. Die CDU-Vorsitzende hat ihre Partei in eine vage politische Mitte geführt. Den Verlust an Ecken und Kanten kompensierte Merkel mit einem Zugewinn an potenziellen Koalitionspartnern.

Entsprechend der Risikoverteilung drückte einer der Partner die Stopptaste. Eine geprügelte SPD nahm sich schon nach den Wahlen Ende September aus dem Rennen, nun sprang die FDP ab, die nach vier Jahren einer Koalition mit Merkel 2013 aus dem Bundestag flog.

Merkel steht nun mit dem Rücken zur Wand. In den vergangenen Wochen und Monaten hat sich eine schleichende Erosion ihres Ansehens zu einem rasanten Autoritätsverfall beschleunigt. Das Ende ihrer Ära ist absehbar. Dass sich Frankreichs nach vorne drängender Staatspräsident Emmanuel Macron öffentlichkeitswirksam um die Stabilität in Berlin sorgt, zeigt, wie schnell in labilen Zeiten die Gewichte innerhalb Europa in Bewegung geraten.

Da das Grundgesetz eine schnelle Flucht in Neuwahlen verbaut, liegen die Karten erneut beim Bundespräsidenten und den Parteien. Die stehen weiter in der Pflicht, aus dem Wählerwillen eine Regierung zu zimmern. Natürlich kann sich dem jede Partei entziehen. Bis es tatsächlich zu Neuwahlen kommt, kann es quälend lange dauern. Das verhindert, dass einer vorschnell auf seinen Vorteil schielt. Keine Partei muss regieren, aber jede muss für ihre Rolle vor den Wählern geradestehen. Die SPD steht einmal mehr vor schwierigen Wochen. Nicht nur sie: Die Berliner Republik steht weiter vor dem Umbruch.