Warum Skepsis gegenüber dem Globalen Migrationspakt der UNO angebracht ist.
Hinweis: Der Inhalt dieser Seite wurde vor 5 Jahren in der Wiener Zeitung veröffentlicht. Hier geht's zu unseren neuen Inhalten.
Die zahlreichen juristischen Bedenken gegen den Globalen UN-Migrationspakt seitens der österreichischen Regierung sind bereits allgemein bekannt und verdienen - unabhängig vom Parteistandpunkt - eine objektivere Debatte: Die Republik entscheidet souverän über die Zulassung von Migration nach Österreich; Ablehnung des Menschenrechts auf Migration, Ablehnung der völkerrechtlichen Kategorie des "Migranten"; kein Zugang zu Sozialleistungen bei fehlenden Nachweisen der Staatsangehörigkeit oder Identität.
Eine große Anzahl wichtiger Studien sieht die Migration im Kontext der vier Freiheiten des globalen Kapitalismus und auch des europäischen Binnenmarktes: Waren, Kapital, Arbeit und Dienstleistungen. Wenn ohne eine entsprechende Gegenmacht beim Produktionsfaktor Arbeit die schrankenlose Freiheit der Globalisierung und der Oligopolmacht des Kapitals weiterwächst, ist die Folge Ungleichheit (nachzulesen bei Micha Kalecki, Kurt Rothschild, Thomas Piketty oder J. K. Galbraith).
Nun haben ja auch die beiden klassischen Einwanderungsländer USA und Australien erklärt, dem Pakt nicht beitreten zu wollen. Das Gewicht dieser beiden Staaten im internationalen Migrationsalltag ist enorm, leben doch laut Weltbank 18 Prozent der weltweiten 266 Millionen Migranten in den USA, und immerhin 6 Prozent in Australien, Kanada und Neuseeland. Die alten 15 Mitgliedsländer der EU beherbergen aber schon 20 Prozent der weltweiten Migration, die neuen EU-Länder nur 1,7 Prozent. Soll Europa sich also beim Umgang mit den mehr als 53 Millionen Einwanderern nicht doch an den USA und Australien orientieren und nicht am UN-Pakt?
Der US-Soziologe Ronald F. Inglehart hat unlängst darauf hingewiesen, dass man sich nicht wundern soll, wenn heute populistische Parteien wachsen, wenn rasant wachsende Ungleichheit die existenzielle Sicherheit von Millionen Menschen bedroht. Und der Soziologe Jason Backfield von der Harvard University betonte schon 2006, dass der europäische Binnenmarkt selbst mit seinen vier Freiheiten die Ungleichheit in Europa so enorm anwachsen lässt.
Auch der "Plan A" stellt den Konsens des Paktes in Frage
An einer zentralen Stelle des Paktes ist zu lesen: "Migration trägt, insbesondere wenn sie gut gesteuert wird, zu positiven Entwicklungsergebnissen und zur Verwirklichung der Ziele der Agenda 2030 für nachhaltige Entwicklung bei. Ziel des Globalen Paktes ist es, das Potenzial der Migration für die Erreichung aller Ziele für nachhaltige Entwicklung zu nutzen sowie die Wirkung zu erhöhen, die die Erreichung der Ziele in Zukunft auf Migration haben wird."
Skepsis gegenüber dem im Pakt deutlich vorhandenen Konsens, wonach Migration bloß eine Win-win-Situation darstellt, liest sich - sine ira et studio - aber immerhin auch im "Plan A" des früheren Bundeskanzlers Christian Kern, der noch heute auf der Webseite der SPÖ zu finden ist. Sicher eine gute Recherchearbeit der Experten aus ÖGB und AK, die dabei wahrscheinlich zu Rate gezogen wurden.
Migrationsprozesse, keine Annäherung von Wohlstands- und Lohnniveau - diese Argumente gegen ein allzu freies Migrationsregime teilt Kerns "Plan A" mit weiten Strecken der internationalen Migrationsforschung. Warum steht das aber nur im "Plan A" und nicht in der Stellungnahme der SPÖ zum globalen Migrationspakt? Der "Plan A" spricht sogar von einem "Brain Drain" aus den Auswanderungsregionen und davon, dass ganze Regionen - insbesondere in Osteuropa - zunehmend entvölkert werden.
Warum ist dann der Pakt gut, trotz des weltweiten "Brain Drains"? Warum ist dann der Pakt gut trotz des enormen Zuzugs, den der Arbeitsmarkt im Westen niemals absorbieren wird können? Warum ist der Pakt gut, trotz der im "Plan A" diagnostizierten Folgen der Massenmigration wie steigende Arbeitslosigkeit und steigende Belastung für die Sozialbudgets und Druck auf das heimische Lohnniveau? Warum ist der Pakt gut, trotz der im "Plan A" sogar bekundeten Absicht der SPÖ, in der Europäischen Union - gegen jegliches geltende EU-Recht - durchzusetzen, dass in Branchen mit besonders hoher Arbeitslosigkeit das Instrument der Arbeitsmarktprüfung - solange eine angespannte Situation existiert - wieder eingeführt werden kann?
Viele neue Arbeitslose nach der Öffnung des Arbeitsmarktes
Der klare, harte und eindeutige rezente Befund des österreichischen Instituts für Wirtschaftsforschung (Wifo) vom 5. September zum selben Thema ist praktisch gleichlautend, dass die Öffnung des heimischen Arbeitsmarktes in den Jahren 2011 und 2014 die Arbeitsimmigration drastisch beschleunigt hat. Das führte laut Wifo sehr wohl zu Verdrängungseffekten: Von zehn neuen Arbeitslosen in dieser Zeit waren vier bis acht eine Folge der Zuwanderung. Andreas Schieder, der Spitzenkandidat der SPÖ bei der kommenden EU-Wahl, täte in seinem politischen Eigeninteresse wohl gut daran, nicht den UN-Migrationspakt zu verteidigen, sondern die Konsequenz der Wifo-Studie für Wien zu bedenken: So war die Bundeshauptstadt demnach von den Schocks seit 2011 am stärksten betroffen - auch, weil sie als Metropolregion für Arbeitssuchende aus dem Ausland besonders attraktiv ist.
Nun haben führende Migrationsforscher - wie der in Princeton lehrende Soziologe Alejandro Portes bereits in der "International Migration Review" des Jahres 1976 - festgestellt, dass das Problem des "Brain Drain", also der Abwanderung der besten Talente aus den armen Regionen im Rahmen der Migration, einfach nicht aus der Welt debattiert werden kann. Das "British Medical Journal" schrieb dazu schon 2002 - und seither hat sich die Lage noch verschlimmert -, dass die Migration medizinischer Fachkräfte aus Entwicklungsländern zu einem Hauptproblem der Weltgesundheit geworden ist. Der durch Massenmigration verursachte "Brain Drain" verschlechtert die ohnehin erschöpften Gesundheitsressourcen in armen Ländern und vergrößert die Lücke bei gesundheitlichen Ungleichheiten weltweit.
All die Stimmen, die in den vergangenen Tagen in den Medien in Österreich zum Migrationspakt zu Wort kamen, haben nicht darauf hingewiesen, dass allein in Afrika, wo die Gesundheitsbedürfnisse und -probleme am größten sind, jährlich rund 23.000 qualifizierte Akademiker auswandern. Mehr als 150.000 philippinische und 18.000 simbabwische Krankenschwestern arbeiten im Ausland. In der Weltbank-Publikation "Physician Brain Drain - Size, Determinants and Policy Issues" von Frédéric Docquier und Hillel Rapoport ist auch zu lesen, dass pro Jahr aus Indien 70.000 Ärzte auswandern, aus den Philippinen 20.000, aus Pakistan 16.000 und aus Mexiko 13.000. Es kann und darf nicht die Aufgabe internationaler Organisationen sein, das Geschäft der Headhunter zu betreiben. Nachhaltige Entwicklung ist das nicht, egal wie man zur türkis-blauen Regierung steht.
Arno Tausch ist Universitätsdozent der Politikwissenschaft. Er war von 1992 bis 2016 Analytiker und Migrationsattaché des Sozialministeriums. Mit Almas Heshmati und Ulrich Brand veröffentlichte er bei Anthem Press in London 2012 "Globalization, the Human Condition and Sustainable Development in the 21st Century". Für die AK Wien schrieb er zu diesem Thema in "Materialien aus Wirtschaft und Gesellschaft".