Im Afghanistan-Konflikt spielte die Union auch wegen ihrer Beschaffenheit kaum eine Rolle.
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Afghanistan stand gar nicht auf der Agenda. Bei ihrem virtuellen Treffen, das für den heutigen Mittwoch angesetzt wurde, sollten sich die EU-Innenminister vielmehr mit dem Thema der illegalen Migration über Weißrussland befassen. Darauf gedrängt hatte Litauen, das auf EU-Hilfe bei der Sicherung seiner Grenzen pocht.
Doch die Ereignisse in Afghanistan überschlugen sich mit dem Vormarsch der Taliban und deren Machtergreifung - was auch die Regierungen der EU-Staaten zu hektischen Beratungen zwingt. Die Lage in dem asiatischen Land wird daher die Zusammenkunft der Innenminister überschatten, und schon am Dienstag befassten sich die EU-Außenminister in einer eilig einberufenen Sitzung mit ihr.
Das ändert allerdings kaum etwas an der Hilflosigkeit der EU. Diese hängt nicht nur damit zusammen, dass die Mitgliedstaaten in außen- und sicherheitspolitischen Fragen immer wieder zerstritten sind und sich lange um Kompromisse mühen, die dann oft nur lau ausfallen. Es hat ebenso mit dem Scheitern des Westens in Afghanistan zu tun, das die USA, die Nato und eben auch die EU trifft.
Vor allem aber die Nato - weil der Konflikt ein militärischer ist. Dafür ist die EU nun einmal nicht gerüstet. "Sie müsste in einem Umfeld tätig werden, für das sie nicht geschaffen ist": So bringt es Markus Kaim von der in Berlin ansässigen Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP) auf den Punkt. "Afghanistan ist kein Handlungsfeld für die EU, weil sie sich mit zwei Dingen schwertut", sagt der Experte für Sicherheitspolitik im Gespräch mit der "Wiener Zeitung": Zum einen sei die Gemeinschaft nicht auf militärisches Handeln ausgerichtet und zum anderen nicht als ein Machtpol aufgebaut. Vielmehr speise sie sich aus Kooperation.
Dennoch will der Politologe keine Anklage gegen die Europäer führen. Denn die westliche Politik generell habe derzeit keine Hebel, kaum Anknüpfungspunkte in Afghanistan. Dort sei nämlich der gesamte Referenzrahmen dafür auf den Kopf gestellt worden. "Bis vor kurzem haben wir nicht geglaubt, mit einer Taliban-Regierung kooperieren zu müssen", führt Kaim aus. Ebenso wenig sei zu glauben gewesen, dass Russland und China zu derart dominanten Regionalmächten werden. Beides sei aber eingetreten.
Und während es nun doch Gespräche mit den Taliban geben wird müssen - auch wenn es etwa um die Versorgung von Flüchtlingen geht -, können Moskau und Peking sich über ihre strategische Rolle freuen. "Verkürzt formuliert: Russland triumphiert, China drückt Häme aus", meint Kaim. Die beiden Staaten "haben ihre Fühler schon seit Wochen nach den Taliban ausgestreckt und wollen ihre Interessen auch im neuen Afghanistan gewahrt sehen. Noch dazu ziehen sich die USA aus diesem Hinterhof zurück: Das ist für Russland und China ein geopolitischer Sieg erster Güte."
Zwist um Aufnahme
In diesem Machtringen hat die EU kaum eine Chance. Sie könnte ihren Fokus aber auf anderes setzen: etwa humanitäres Engagement. Doch die Debatten drehen sich derzeit erneut vorrangig um Migration; ein Thema, das die Mitgliedstaaten seit Jahren spaltet. Schon braut sich in der EU der nächste Zwist über die Aufnahme von Flüchtlingen aus Afghanistan zusammen, während in Wien noch immer über Abschiebungen oder Nicht-Abschiebungen diskutiert wird.
EU-Wirtschaftskommissar Paolo Gentiloni hat bereits für einen Korridor für die Aufnahme von Schutzsuchenden plädiert. Die deutsche Bundeskanzlerin Angela Merkel will es noch nicht so weit kommen lassen. Sie möchte zunächst über "sichere Möglichkeiten für Flüchtlinge in der Nachbarschaft" reden.