Präsident Trump schafft ein Programm ab, das bisher Kindern von illegal in die USA eingewanderten Menschen Schutz bot. Eine Entscheidung mit weitreichenden wie unabsehbaren Folgen.
Hinweis: Der Inhalt dieser Seite wurde vor 7 Jahren in der Wiener Zeitung veröffentlicht. Hier geht's zu unseren neuen Inhalten.
LosAngeles/Washington. Sag noch einer, dass Radio tot wäre. Im Süden Kaliforniens gilt das Programm "Air Talk with Larry Mantle" zu den meistgehörten des gesamten Bundesstaats, sein Moderator als lebende Legende. In der täglich zwischen zehn Uhr vormittags und zwölf Uhr mittags im Sender KPCC ausgestrahlten Talkshow redet der 58-Jährige über das, was die Westküste der USA bewegt. In der Regel sind das drei Dinge: der Verkehr (oft), das Wetter (weniger) und die Politik, die in der Hauptstadt Sacramento gemacht wird (selten). Seit Ende vergangener Woche hat sich das schlagartig geändert. Nicht unbedingt, weil Mister Mantle das so geplant hat, sondern weil es seine Hörer verlangen. Die wollen scheinbar nur mehr über eines reden: die Abschaffung von Daca.
Massendemos geplant
Das Kürzel steht für "Deferred Action for Childhood Arrivals" und wurde 2012 von Barack Obama per Dekret eingeführt. Wie am späten Sonntagabend in Washington bekannt wurde, will Präsident Donald Trump das Programm, ausgerichtet auf den Schutz von Kindern, die von ihren Eltern illegal in die USA gebracht wurden, innerhalb der nächsten sechs Monate auslaufen lassen. Betroffen sind rund 800.000 Männer, Frauen und Kinder. Warum das die Hörer von Mantles Talkshow so aufregt, wird klar, wenn man sich die Zahlen genauer anschaut: Sie leben alle entweder im oder um den Großraum Los Angeles herum - und die Abschaffung des Programms wird keinen anderen Staat derart hart treffen wie Kalifornien. Der mit knapp 40 Millionen Einwohnern größte Bundesstaat der USA beherbergt über ein Viertel der von Daca Geschützten: rund 223.000 Menschen.
Gouverneur Jerry Brown sowie die zu zwei Drittel aus Abgeordneten der Demokraten bestehende Legislative hat gegen die Folgen der Abschaffung des Programms "Widerstand bis zum letzten Atemzug" angekündigt. Sollten sich die schlimmsten Erwartungen bestätigen, werden am kommenden Wochenende von San Diego im Süden bis zur Hauptstadt Sacramento im Norden Massendemonstrationen erwartet, die in puncto Beteiligung denen am Tag der Angelobung von Donald Trump als Präsidenten in nichts nachstehen dürften.
Auch wenn die Entscheidung des 70-jährigen Ex-Reality-TV-Stars angesichts seiner im Wahlkampf gemachten Aussagen über die Zukunft von Daca konsistent ist, kam sie am Ende doch einigermaßen überraschend. Während sich die Mitglieder des alten, aber zunehmend als machtlos vorgeführten Establishments der Republikanischen Partei - allen voran Paul Ryan, der Sprecher des Abgeordnetenhauses - für die Beibehaltung des Programms aussprachen, hatten konservative Hardliner bis zuletzt darauf bestanden, keine Gnade walten zu lassen und sich am Ende damit durchgesetzt. Justizminister Jeff Sessions und Ex-Chefstratege Steve Bannon, mittlerweile wieder Chef der rechtsextremen Nachrichtenwebsite Breitbart - bei dem sich Trump, wie vor ein paar Tagen bekannt wurde, trotz seines formalen Ausscheidens als Mitglied der Administration nach wie vor regelmäßig telefonisch Rat holt -, drängten den Präsidenten, sein Wahlversprechen einzuhalten. Als Kandidat hatte der seinen Wählern versprochen, Daca "am ersten Tag meiner Amtszeit" zu beenden.
Die Maßnahme, die er jetzt ergreift, lässt den im Volksmund als "Dreamers" bekannten Betroffenen formal noch eine kleine Chance, ihr Schicksal, künftig wieder als Illegale in dem einzigen Land leben zu müssen, das sie kennen, abzuwenden. Trump will dem Abgeordnetenhaus und dem Senat sechs Monate Zeit geben, eine gesetzlich festgeschriebene Ersatzlösung für Daca zu finden. Angesichts der Verfasstheit der mehrheitlich von den Republikanern regierten Institutionen kein unrealistisches, aber hochgradig unwahrscheinliches Szenario. Die menschlichen Schicksale, die sich in ihrer Verzweiflung mittlerweile täglich bei Leuten wie dem Radiomoderator Mantle melden, offenbaren derweil das ganze Ausmaß der Folgen von Trumps ohne Not getroffener Entscheidung.
"Hässlich und grausam"
In dem Glauben, sich auf das Wort der Regierung verlassen zu können, die Daten nicht anderweitig zu missbrauchen, hat jeder Einzelne, der sich bisher um die Aufnahme ins Daca-Programm beworben hat, alle seine persönlichen Informationen weitergegeben. Die Palette reicht von Fingerabdrücken über Leumundszeugnisse und ärztliche Atteste bis hin zur Wohnadresse. Nicht umsonst fürchten diese Leute jetzt, dass der nächste Schritt der Trump-Regierung nach der Abschaffung von Daca darin bestehen wird, die Agenten der US Immigration and Customs Enforcement (ICE) zu diesen Adressen zu schicken, um ihre Eltern, Geschwister und Verwandten zu deportieren. Nur einer von vielen konkreten Punkten, bei dem sofort, nachdem die Nachricht vom Ende von Daca durchgesickert war, prominente Trump-Kritiker wie Bernie Sanders einhakten.
In einer ersten Stellungnahme nannte der Ex-Präsidentschaftskandidat der Demokraten die Entscheidung über die Abschaffung des Programms "eine der hässlichsten und grausamsten, die ein Präsident je getroffen hat".