Analyse: In der Demokratie lässt sich politische Durchsetzungsfähigkeit nicht per Verfassung verordnen.
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Wien. Die politische Sommerpause war noch keine 24 Stunden alt, da überraschte Neos-Chef Matthias Strolz die urlaubsbedürftige Innenpolitik mit der Forderung nach mehr Kompetenzen für den Bundeskanzler. Die Richtlinienkompetenz der deutschen Kanzlerin sei schon eine gute Sache, räsonierte Strolz am Wochenende im ORF-Radio. Völlig überraschend war es der Kanzler selbst, der noch am selben Tag Zustimmung signalisierte. Sogar ÖVP und Grüne demonstrieren rhetorisch Gesprächsbereitschaft.
Um nun keine falschen Erwartungen zu wecken: Man darf getrost davon ausgehen, dass diesbezüglich alles beim Alten bleibt. Und ausnahmsweise sogar mit guten Argumenten - politischen wie verfassungsrechtlichen.
Rein rechtlich fehlt es dem Bundeskanzler in Österreich nicht an formalen Kompetenzen, denn - laut Artikel 70 (1) Bundes-Verfassungsgesetz - verfügt er bereits über die ultimativen, indem er die Minister nicht nur zur Ernennung durch den Bundespräsidenten vorschlägt, sondern auch deren Entlassung beantragen kann. Indem der Kanzler auch den Vorsitz in der Bundesregierung und im Ministerrat führt, obliegt ihm auch die Koordination der Regierungsarbeit.
Sehr viel mehr an direktem Einfluss des Kanzlers auf seine Regierungskollegen ist darüberhinaus kaum möglich, da damit wiederum das Prinzip der Ministerverantwortlichkeit vor dem Gesetz und dem Nationalrat ausgehebelt werden würde.
Überhaupt ist auch beim deutschen Nachbarn umstritten, ob - und wenn ja, welche - konkreten politischen Folgen eine solche Richtlinienkompetenz genau hat, zumal damit lediglich die großen politischen Leitlinien einer Regierung gemeint sind. Man darf getrost davon ausgehen, dass ohne eine breite Übereinstimmung in solchen Grundsatzfragen überhaupt keine Regierungspartnerschaft zustande kommt, da sie die Grundlage jeder politischen Kooperation darstellt.
Und für Koalitionen zweier oder mehrerer Parteien taugt dieses Instrument schon gar nicht, um Meinungsverschiedenheiten per Basta-Dekret zu beenden. Ansonsten hätte Angela Merkel wohl schon längst den ungeliebten Maut-Plänen der bayrischen CSU ein Ende bereitet. Das Dilemma mit Koalitionen ist nämlich, dass diese schnell beendet sein können, wenn einer der Partner versuchen würde, den anderen durch ein schlichtes Machtwort an die politische Leine zu legen. Das funktioniert bei der Maut genau so wenig wie bei der innenpolitischen Debatte um eine Steuerreform. Deutschlands Vizekanzler und SPD-Chef Sigmar Gabriel brachte es vor einigen Monaten in einem Interview auf den Punkt: "Wer die Richtlinienkompetenz als Kanzler gegen den Koalitionspartner ausübt, der beendet die Koalition."
Treffender würde es auch Michael Spindelegger nicht formulieren können.
Das alles heißt natürlich nicht, dass ein Bundeskanzler zwingend zur Hilflosigkeit verurteilt ist. Nur wird dabei keine noch wohlklingende Verfassungsbestimmung helfen, sondern ausschließlich politisches Geschick und Überzeugungsfähigkeit.