In der EU gibt es wenige klare Kritiker Chinas und erklärte Freunde Taiwans. Am deutlichsten ist dabei Tschechien.
Hinweis: Der Inhalt dieser Seite wurde vor 2 Jahren in der Wiener Zeitung veröffentlicht. Hier geht's zu unseren neuen Inhalten.
Sommerpause herrscht bei europäischen Spitzenpolitikern, wenn es um Chinas Militärmanöver vor Taiwan geht. Die Volksrepublik reagiert damit auf den dieswöchigen Besuch von US-Politikerin Nancy Pelosi auf der Insel, die China als Teil seines Territoriums ansieht. EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen verlor zu Pekings Aggression kein Wort, ebenso wenig wie Deutschlands Kanzler Olaf Scholz und Frankreichs Präsident Emmanuel Macron. Auch von Bundeskanzler Karl Nehammer war nichts zu hören, Außenminister Alexander Schallenberg (beide ÖVP) äußerte sich ebenfalls nicht. EU-Außenbeauftragter Josep Borrell sprach in einer Nachricht auf Twitter davon, dass Friede und Stabilität in der Taiwanstraße - der Meerenge zwischen China und Taiwan - erhalten werden sollen. Der Spanier nannte aber nicht einmal die Volksrepublik namentlich, geschweige denn kritisierte er Peking.
Äußerste Zurückhaltung hat in der Union Tradition. Je stärker China als Handelspartner wurde, desto defensiver traten Europäer auf. Am auffälligsten zeigte sich das bei der wichtigsten Volkswirtschaft des Kontinents. Deutschlands Exporte nach China betrugen 2005, im ersten Jahr der Kanzlerschaft Angela Merkels, rund 21 Milliarden Euro. Auf knapp 104 Milliarden Euro belief sich der Wert bei Merkels Abgang im vergangenen Jahr. 2007 ließ sich die damalige Kanzlerin nicht von der Empörung Pekings abbringen und empfing den Dalai Lama in Berlin zum "privaten Gedankenaustausch". Gegen Ende ihrer Amtszeit hatte Merkel zur chinesischen Masseninternierung der muslimischen Uiguren und der Zerschlagung der Demokratie in Hongkong nicht mehr als dürre Floskeln übrig.
Partner und Konkurrent
Zwar hat sich mittlerweile auch in der Union herumgesprochen, dass China nicht nur ein Handelspartner ist, sondern auch ein Konkurrent im Wettstreit zwischen Demokratien und autoritären Systemen. Als solche bezeichnete Nato-Generalsekretär Jens Stoltenberg Russland und China bereits vor einem Jahr. Bei einem Gipfeltreffen der Vertreter der Militärallianz wurden Chinas Zielsetzungen und selbstbewusstes Auftreten als "systemische Herausforderungen" gewertet. Zwei Jahre zuvor war in dem Zusammenhang lediglich von "sowohl Chancen als auch Herausforderungen" die Rede.
In der Praxis wagen aber nur wenige Staaten offen die Kontroverse mit Peking. Vorreiter dieser Bewegung ist Tschechien. Prags neuer Bürgermeister Zdenek Hrib verlangte 2020, dass eine Klausel über die Einheit Chinas aus dem Partnerschaftsvertrag mit Peking gestrichen wird. Als dies nicht geschah, kündigte Hrib das Abkommen mit Peking und schloss eine Übereinkunft mit Taiwans Hauptstadt Taipeh. Seine Begründung: "Die Wahl zwischen dem, was richtig ist, und dem, was leicht fällt, ist in erster Linie eine moralische Wahl."
Damit stieß der Politiker der linksliberalen Piratenpartei daheim nicht nur auf Wohlgefallen. Der populistische Regierungschef Andrej Babis und der für seine Ausfälle berüchtigte Präsident Milos Zeman sahen die guten Wirtschaftsbeziehungen zu China gefährdet. Das brachte Milos Vystrcil, Chef des Senats und damit der zweiten Parlamentskammer, nicht von einer Reise nach Taiwan ab. Der Bürgerliche sprach von einem "Konflikt zwischen den Grundwerten und Prinzipien, auf denen unser Staat aufbaut, und einer Vorgehensweise, die ich als ‚Groschenzählen‘ bezeichne".
Interventionen in der Kultur
Nach Abwahl der Regierung Babis’ stellt Vystrcils Partei ODS den Regierungschef, und ein "Pirat" führt das Außenministerium an. Auch diesen Parteien geht es nicht nur um Werte, sondern ebenso um Wirtschaftsinteressen, insbesondere bei Mikrochips für die in Tschechien so wichtige Autoindustrie. Den Unterschied zu anderen Staaten fasst Senatspräsident Vystrcil so zusammen: "Wir haben Interesse an einer Zusammenarbeit mit allen demokratischen Ländern - und dies ohne Rücksicht darauf, ob dies jemand wünsche oder nicht."
Die Interventionen Chinas reichen bis in den Kulturbereich. So wurde laut der "Frankfurter Rundschau" versucht, die Ausstellung "MADe in China" im Prager DOX Centre for Contemporary Art zu verhindern. Erfolglos; noch bis 28. August ist zu sehen, wie sich der in Shanghai geborene und nun in Australien lebende Künstler Badiucao kritisch mit seiner Heimat auseinandersetzt. Er illustriert unter anderem, wie Staats- und Parteichef Xi Jinping grimmig blickend und mit Jagdgewehr in der Hand auf einem toten Winnie-Puuh-Bären sitzt.
Der China-kritische Kurs in Tschechien wird innerhalb der EU praktisch nicht offen thematisiert. Und doch gibt es Stimmen, die warnen, das Land nehme als EU-Mitglied die gesamte Union in Geiselhaft. Im Falle des Pelosi-Besuchs und Chinas Reaktion gab sich das Außenministerium in Prag jedoch auf Twitter genauso zurückhaltend wie andere Regierungen: Die Ereignisse wurden mit keinem Wort erwähnt. Wohl aber twitterte Senatspräsident Vystrcil auf seinem persönlichen Account: "Wer ist der nächste (Besucher, Anm.)?"
Den Ärger Pekings hat sich im Vorjahr auch Litauen zugezogen. In der Hauptstadt Vilnius wurde ein taiwanesisches Repräsentationsbüro eröffnet - und allein die Länderbezeichnung erzürnt China. Peking zog nicht nur seinen Botschafter aus Litauen ab, sondern verwickelte den baltischen Staat auch in einen Handelsstreit. Erlassen wurden Handelsbeschränkungen; vom chinesischen Importstopp waren unter anderem Rindfleisch, Milchprodukte und Alkohol aus Litauen betroffen. Die EU hat ein Verfahren gegen China bei der Welthandelsorganisation WTO eingeleitet.
Einfluss mit Infrastruktur
Damit scheren Tschechien und Litauen aus der sogenannten 17+1-Gruppe aus. Diese Plattform für Zusammenarbeit wird von China mit 17 Ländern aus Süd- und Mittelosteuropa gebildet; ihre Mitglieder reichen von Estland über Polen und Slowenien bis hin zu Kroatien, Rumänien und Serbien. Ein besonderes Anliegen ist das Format der ungarischen Regierung, die seit Jahren ihre Kontakte sowohl zu Russland als auch zu China pflegt. Ob der Bau einer chinesischen Universität in Budapest, der Kauf von Corona-Impfstoffen aus Peking oder die Ansiedlung chinesischer Industrieunternehmen - die Kooperation ist vielfältig.
Für Peking geht es dabei nicht nur um Investitionen im Rahmen des Prestigeprojekts der "Neuen Seidenstraße". Es geht auch um geopolitischen Einfluss, der umso stärker sein soll, je schwächer die EU wirkt. Das ist etwa bei einigen südosteuropäischen EU-Aspiranten der Fall, die von der Zögerlichkeit der Union bei der Erweiterungspolitik enttäuscht sind.
In Brüssel werden die Aktivitäten der Chinesen zwar nun mit Misstrauen beäugt. Dennoch kann es zu einem bizarren Zusammenspiel kommen, wie das Beispiel der Peljesac-Brücke in Kroatien zeigt. Das in der Vorwoche mit großem Pomp eröffnete Bauwerk stellt eine direkte Landverbindung vom Festland über die Halbinsel Peljesac bis nach Süd-Dalmatien dar. Umfahren wird damit ein Küstenstreifen, der zu Bosnien-Herzegowina gehört. Errichtet hat die Brücke ein chinesisches Bauunternehmen, das europäische Firmen mit seinem Angebot ausgestochen hat. Zum Großteil finanziert hat das Projekt jedoch die Europäische Union.