Der zweite Angeklagte der gewaltsamen Ausschreitungen rund um den Akademikerball wurde am Montagnachmittag vom Vorwurf des Landfriedensbruchs freigesprochen.
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Wien. Überraschend war das Urteil im Prozess gegen den zweiten Angeklagten der Ausschreitungen rund um den Akademikerball. Der 43-jährige Hüseyin S. wurde Montagnachmittag wegen schwerer Körperverletzung und versuchter schwerer Körperverletzung zu sechs Monaten Haft verurteilt. Hüseyin S., der sich teilschuldig bekannt, wurde die Haftstrafe zur Gänze bedingt nachgesehen.
Für eine Verurteilung wegen Landfriedensbruchs hatte es in dem Fall aufgrund der fehlenden Anhaltepunkte nicht gereicht. Der anerkannte politische Flüchtling konnte das Gericht auf freiem Fuß verlassen. Zweieinhalb Monate Untersuchungshaft wurden seiner bedingten Strafe angerechnet.
300 Euro symbolisches Schmerzensgeld für Polizistin
Bei den Protesten gegen den Akademikerball am 24. Jänner habe Hüseyin eine Beamtin mit einer hölzernen Fahnenstange die Handgelenksbänder geprellt, bei der Demonstration gegen den Aufmarsch der "Identitären" am 17. Mai Steine und Flaschen in Richtung der Polizei geworfen, heißt es in der Anklageschrift der Staatsanwaltschaft. In Zuge seiner Verhaftung am 4. Juni soll sich Hüseyin gewehrt und einem Polizisten dabei zwei Finger verbogen haben. Die Körperverletzung an der Beamtin gab der 43-Jährige im Vorfeld zu.
Er habe "reflexartig" drei Mal auf die Sperrkette der Polizei eingeschlagen, hatte der Mann in seiner Einvernahme zugegeben. Grund: Die Polizei habe zuvor Pfefferspray eingesetzt. Er sei deswegen "aufgeregt" gewesen: "Das Ganze war nicht absichtlich. Ich wollte nur eine Reaktion zeigen." Es tue ihm leid, versicherte der Mann.
Um die Schadenersatzforderungen der Polizistin, einer gebürtigen Steirerin, die mit ihrer Einheit eigens nach Wien abkommandiert worden war, kümmerte sich seine Verteidigerin Nadja Lorenz. Sie übergab der Frau ein symbolisches Schmerzengeld von 300 Euro.
Weiter wurde Hüseyin vorgeworfen, dass er an den Protesten gegen den Aufmarsch der "Identitären" "führend teilgenommen" und andere Demonstrationsteilnehmer gegen die Beamten aufgestachelt hätte. Mit der Art, wie er "gestikulierte", soll er andere Demonstranten dazu aufgefordert haben, nach vorne, in Richtung Polizei zu drängen, um die Polizisten an ihrer Arbeit zu hindern. Hüseyin hätten für den Landfriedensbruch bis zu drei Jahre Haft gedroht.
Von dem Vorwurf des zweifachen Landfriedensbruchs konnten Hüseyin durch Video-Aufnahmen entlastet werden. Auch die für den Landfriedensbruch und Rädelsführerschaft benötigte Menschenmenge von "etwa hundert Personen" konnte Hüseyin S. nicht nachgewiesen werden. Der 43-jährige Mann hätte lediglich zehn bis zwölf Personen zugerufen - so die vernommene Beamtin. Und das sei deutlich zu wenig, urteilte Richter Andreas Böhm. Auch der Vorwurf, der Angeklagte hätte sich bei seiner Verhaftung unangemessen heftig gewehrt und die Beamten mit Fahnenstangen attackiert, wurde fallen gelassen.
Zwei Prozesse,zwei Urteile
Das mediale Interesse an dem Fall war Montagnachmittag groß, nicht zuletzt aufgrund des umstrittenen Urteils gegen den deutschen Studenten Josef S., der vor wenigen Wochen wegen schwerer Körperverletzung, Sachbeschädigung und Landfriedensbruch für seine Teilnahme an den Protesten gegen den Akademikerball verurteilt worden war. Deutsche und heimische Medien sprachen von einem kafkaesken Prozess und einem Skandalurteil.
Denn für viele stellte der 23-jährige unbescholtene Student aus Jena ein Bauernopfer der österreichischen Justiz dar, einen Schuldigen, den es für jene Nacht gebraucht hat. Binnen kürzester Zeit hatte sich ein Unterstützungskomitee gebildet, das ihn regelmäßig in U-Haft besuchte. Seine Heimatstadt lobte seine Zivilcourage. Seine Professoren sein moralisches Rückgrat. Und seine Familie seine Friedfertigkeit.
Demokratiepolitischrichtige Entscheidung
Im Fall von Hüseyin S. ist vieles anders. Seine Lobby war deutlich bescheidener. Der 43 Jahre alte türkische Kurde lebt als anerkannter politischer Flüchtling in Wien. Bevor er 2006 nach Österreich kam, befand er sich zehn Jahre lang in türkischen Gefängnissen. Zurzeit ist er erwerbslos, lebt von sozialer Unterstützung und ist seit Jahren in kommunistischen Gruppen aktiv. Die mediale Berichterstattung über ihn hielt sich bis zu Prozessbeginn in Grenzen. Kaum einer weiß etwas über den politisch aktiven Mann. Im Gegensatz zu Josef S. meldete er sich während des Prozesses zu Wort, antwortete dem Richter und bekannte sich teilschuldig.
Das Urteil - eine Bewährungsstrafe von sechs Monaten - für die begangenen Körperverletzungen bezeichnete Verteidigerin Nadja Lorenz als "gerechtfertigt". "Wir sind damit zufrieden", bemerkte Lorenz nach der Verhandlung gegenüber Medienvertretern. Dass das Gericht den inkriminierten Landfriedensbruch nicht angenommen habe, nannte sie "eine demokratiepolitisch richtige Entscheidung". Die Verteidigerin fand grundsätzlich lobende Worte für das Gericht. Es sei "sorgsam" und in "sehr angenehmer" Atmosphäre verhandelt worden.
Das Urteil ist nicht rechtskräftig. Der Staatsanwalt gab vorerst keine Erklärung ab.