Passivhaus Austria kritisiert Energieausweis, der ein politisches Instrument sei und Mieter täuschen würde.
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Wien. Europas größte Passivhaussiedlung, Eurogate, befindet sich in Landstraße. Zumindest wenn es nach den verantwortlichen Bauträgern und Wohnbaustadtrat Michael Ludwig (SPÖ) geht. Einige Mieter sehen das mittlerweile aber anders. In drei der vier Eurogate-Gebäuden, von denen bereits Jahresrechnungen vorliegen, würde der tatsächliche Verbrauch mehr als das Doppelte des für Passivhaus-Standard geltenden Maximalwerts von jährlich 15 Kilowattstunden pro Quadratmeter (kWh/m²) betragen. Die Jahresabrechnungen liegen der "Wiener Zeitung" vor. Zudem wurde noch kein einziges der Gebäude durch die Passivhaus Austria zertifiziert.
Fragt man bei den zuständigen Bauträgern nach, so bestehen diese weiter darauf, dass ihre Gebäude Passivhäuser sind. So wie etwa Günther Stöllberger von der Arwag, zuständig für den Bauplatz 6. Dort weist der Energieausweis einen Wert von 4 kWh/m² aus. Der tatsächliche Wärmebedarf liegt aber bei 41,3 kWh/m² im Jahr 2013, wie Stöllberger auch bestätigt. Also knapp dreimal über dem maximalen Passivhauswert.
Man dürfe den rechnerischen nicht mit dem tatsächlichen Bedarf vergleichen, sagt dazu Stöllberger. Denn diese würden sowieso nie übereinstimmen. "Der tatsächliche Verbrauch hängt vom Nutzer ab. Dieser liegt bei sämtlichen Passivhäusern bei etwa 30 kWh/m². Rechnerisch sind wir aber weit unter 15 kWh/m²." Die Wärmedämmung und Luftdichtheit seien zu 100 Prozent in Ordnung. Probleme habe man noch mit der Temperaturbalance, wie er einräumt. "Wir werden die Anlage feinjustieren und gehen davon aus, dass wir in der nächsten Heizperiode den Gesamtenergieverbrauch unter 30 kWh/m² bekommen."
Für die Mieter ist das allerdings nur ein schwacher Trost. 30 kWh/m² wären noch immer das Doppelte des Passivhaus-Grenzwerts. Sie berufen sich zudem einmal mehr auf den Energieausweis. Verwundert zeigen sich die Mieter auch über einen bereinigten Energiewert von jährlichen 12,4 kWh/m², der ihnen von der Arwag für das Jahr 2012 - tatsächlicher Verbrauch 37 kWh/m² - vorgerechnet wurde.
Nicht geheiztes Stiegenhaus fließt in Wärmeberechnung ein
In dieser Berechnung wird unter anderem damit argumentiert, dass die Heizverbrauchsrechnung sich auf die Wohnnutzfläche des Gebäudes bezieht und nicht auf die Bruttogeschoßfläche, die im Energieausweis berechnet wird. In der Bruttogeschoßfläche sind allerdings auch die Aufstellflächen der Wände und das - nicht geheizte - Stiegenhaus inkludiert. 7 kWh/m² werden mit diesem Argument heruntergerechnet. Nicht miteinberechnet wurden hingegen die elektrischen Heizregister, mit denen Bewohner ihre Wohnungen nachheizen mussten. Ebenso seien die Mieter erst Ende Jänner 2012 eingezogen.
Die Mieter fordern: "Uns wurden im schlechtesten Fall jährlich 15 kWh/m² versprochen, die müssen halten. Wir können nicht schlechter abschneiden, als ein Niedrigenergiehaus." Die von der Arwag versprochenen Nachjustierungen sind für sie ein schwacher Trost. "Wie viele Justierungen brauchen wir noch?"
Vonseiten der Arwag heißt es dazu: Die Passivhauskriterien des Gesetzgebers, also der Stadt Wien, werden eingehalten. Ob die Passivhauskriterien des Gesetzgebers allerdings das richtige Werkzeug sind, bezweifelt die Passivhaus Austria.
Harald Konrad Malzer, wissenschaftlicher Beirat der Passivhaus Austria: "Der Energieausweis ist ein politisches Instrument, aber kein Projektierungs- oder Bemessungswerkzeug." Es würden viele Details fehlen. Dass sich der Ausweis etwa auf die Bruttofläche bezieht, sei "absoluter Schwachsinn". Auch werde die Luftdichtheit nur an einigen Stellen nach dem Zufallsprinzip berechnet. Diese müsse aber am ganzen Gebäude nachgewiesen werden. Malzer: "Vom Gesetzgeber werden Passivhaus-Standards veröffentlicht, ohne Grundlage dafür. Hier hat sich definitiv ein Etikettenschwindel eingeschlichen. Ein Golf-GTI mit Stern ist kein Mercedes. Ein ,Passivhaus nach Wohnbauförderrichtlinien‘ darf aber als solches gehandelt werden?"
Wien sollte sich hier ein Beispiel an Städten wie Brüssel nehmen, schlägt Malzer vor. "Dort muss der Standard mit dem PHPP (Passivhaus-Projektierungspaket), also auch wirklich nach unserer Definition des Passivhauses projektiert, ausgeführt und nachgewiesen werden." Diese Grundlage fehle in einer auf weitgehend, auch noch landespolitisch unterschiedlichen, Wohnbauförderungsgrundlagen basierender Definition eines frei definierten Quasi-Passivhaus-Standards in ganz Österreich. Dabei sei das Passivhaus ganz klar und international definiert.
Ungeschützter Begriffals Bumerang
"Das Problem ist, dass der Gesetzgeber eigene Richtlinien erstellen kann, weil Wolfgang Feist vor 20 Jahren das Passivhaus mit einem Open-Source-Gedanken begonnen hat." Die Passivhaus-Technologie sei daher auch nicht geschützt und jeder könne sagen, dass es ein Passivhaus ist. "Die Taktik war richtig, um das Wissen zu verbreiten. Der Nachteil ist, dass einige auf dem Fahrwasser halt mitschwimmen wollen. Das schadet unserer Bewegung." Der Energieausweis sei eine Täuschung gegenüber dem Mieter. "Wenn der Gesetzgeber eine Passivhaus-Förderung auszahlt und der kriegt das auf einer Grundlage, die ja gar nicht dem Standard entsprechen. Dann ist es auch eine politische Täuschung."
Von einer politischen Täuschung könne laut dem Büro des Wohnbaustadtrats Michael Ludwig (SPÖ) allerdings keine Rede sein. Förderungen werden nur an jene vergeben, die die Passivhaus-Kriterien des Passivhaus Instituts Darmstadt (Zentrale der Passivhaus-Bewegung, Anm.) erfüllen würden, heißt es. "Diese werden auch entsprechend geprüft." Der Energieausweis sei kein Kriterium für ein Passivhaus. Um die Förderung zu bekommen, muss das Gebäude aber nicht zertifiziert werden.
Der Passivhaus-Grenzwert ist also klar - die Frage ist nur, wie man ihn berechnet.