Zum Hauptinhalt springen

Kein Patentrezept für Deradikalisierung

Von Katharina Schmidt

Politik

Justizminister Wolfgang Brandstetter äußert sich zur Fußfessel für Gefährder.


Hinweis: Der Inhalt dieser Seite wurde vor 7 Jahren in der Wiener Zeitung veröffentlicht. Hier geht's zu unseren neuen Inhalten.

Wien. Die elektronische Fußfessel für Gefährder kommt nur dann, wenn sie als Ersatz für die Untersuchungshaft dient. Das hat Justizminister Wolfgang Brandstetter am Dienstag am Rande einer Pressekonferenz klargestellt. Bereits jetzt ist in der Strafprozessordnung vorgesehen, dass die - vom Staatsanwalt beantragte und vom Gericht angeordnete - Untersuchungshaft als gelinderes Mittel durch eine Fußfessel ersetzt werden kann.

Diese Möglichkeit werde derzeit aber kaum genützt, daher werde er in einem Erlass "die Sensibilisierung der Staatsanwaltschaften für dieses Thema schärfen". Mit dem entsprechenden Erlass eine Fußfessel schon auf der Ebene unterhalb der strafrechtlichen Relevanz zu ermöglichen, wie es immer wieder diskutiert wurde, kommt für Brandstetter nicht in Frage. "Die Fußfessel ist in meinem Zuständigkeitsbereich eine Vollzugsform der Untersuchungshaft. Punkt", sagte er zur "Wiener Zeitung". Innenminister Wolfgang Sobotka verteidigte Dienstagabend im ORF-"Report" den Regierungsplan, Gefährder zur Terrorprävention mit Fußfesseln auszustatten. Diese allein seien aber kein Allheilmittel, sagte er.

Die Deradikalisierung von islamistischen Straftätern in Haft war das eigentliche Thema der Pressekonferenz, zu der Brandstetter Dienstagvormittag gemeinsam mit Veronika Hofinger und Thomas Schmidinger vom Institut für Rechts- und Kriminalsoziologie (IRKS) der Uni Wien geladen hatte.

Task Force Deradikalisierung im Justizministerium

Insgesamt sind derzeit 68 Personen wegen Beteiligung an einer terroristischen Vereinigung oder ähnlichen Straftaten in österreichischen Gefängnissen untergebracht, davon 47 in Untersuchungs- und 21 in Strafhaft. Im Sommer 2015 wurde eine eigene Task Force im Justizministerium zur Deradikalisierung in der Haft eingerichtet, unter anderem gibt es in den Justizanstalten jeweils zwei Verbindungsbeamte zum Verfassungsschutz, die speziell geschult werden. Wie berichtet ist auch die Beratung durch den Verein "Derad" Teil des Programms - die Mitglieder des Vereins versuchen, durch theologische Gespräche eine falsche Vorstellung vom Islam zu dekonstruieren. Außerdem sind bei radikalisierten Straftätern nach der Haft Sozialnetzkonferenzen mit der Bewährungshilfe verpflichtend, um sicherzustellen, dass der Entlassene in ein Umfeld zurückkehrt, das ihm sozialen Rückhalt ermöglicht.

Mit diesen Maßnahmen habe man "die Problematik und das Gefährdungspotenzial bisher durchaus beherrschen können", so Brandstetter. Allerdings gebe es noch immer viel zu tun. Das zeigt auch die vom Ministerium beim IRKS in Auftrag gegebene Begleitforschung zu den Maßnahmen. Seit Februar 2016 habe man mit mehr als 100 Personen Gespräche geführt, sagte Hofinger, 39 davon seien Dschihadisten gewesen, davon wiederum 4 Frauen. Eine der Haupterkenntnisse der Studie laut Hofinger: "Den Dschihadisten gibt es so nicht." Die Profile der Straftäter reichen von einer schwangeren Jugendlichen, die in ihr "Sehnsuchtsland" Syrien ausreisen wollte, bis hin zu Personen, die in Syrien gemordet oder andere Täter rekrutiert haben.

Das Problem dabei laut den Experten: Paragraf 278b Strafgesetzbuch (terroristische Vereinigung) sei zu weit gefasst, dadurch würden schon Personen verurteilt, die aus einem Gefühl der Ungerechtigkeit heraus auf Facebook mit dem Dschihad sympathisieren: "Das kann ein Problem für die Strafeinsicht der Insassen sein, weil sich dadurch das subjektive Gefühl, vom säkularen Staat unterdrückt zu werden, noch verstärken kann", sagte Schmidinger. Hofinger rät zu einer Differenzierung des Terrorparagrafen nach der Art der Straftat. Der Justizminister sieht aber keinen Anlass für legistische Veränderungen. Der Terrorparagraf sei mit Absicht weit gefasst, es sei die Aufgabe der unabhängigen Justiz, diesen dem Einzelfall entsprechend auszulegen.

Verbesserungsbedarf sehen die Experten auch in anderen Bereichen: So müssten die Deradikalisierungsgespräche durch den Verein "Derad" ausgebaut werden. Genauso müssten das Angebot im Erwachsenenbereich und die Gefängnisseelsorge ausgebaut, die Zusammenarbeit zwischen Justizanstalten und Verfassungsschutz verbessert werden.

Ein großes Dilemma stellt aus Sicht der Forscher die U-Haft dar: Die Deradikalisierungsmaßnahmen sollten möglichst früh beginnen, andererseits würden manche Staatsanwaltschaften in der U-Haft den Kontakt zum Beispiel zu "Derad" unterbinden. Aus dem einfachen Grund, dass durch eine beginnende Deradikalisierung das Strafverfahren gefährdet werden könnte. Generell stellt der Umgang mit radikalisierten Tätern in der Strafhaft die Anstalten vor ein Dilemma: Es müsse vermieden werden, dass sich die Täter von der Gesellschaft noch weiter benachteiligt fühlen, als sie es ohnehin schon tun. Das ist laut Hofinger aber schwierig, weil radikalisierte Täter schon länger in U-Haft und damit Isolationshaft sind als andere.

Normaler Umgang manchmal nötig, manchmal gefährlich

Ein möglichst normaler Umgang mit ihnen in der Strafhaft kann einerseits gut sein, weil die Einbindung in die Gemeinschaft der Justizanstalt deradikalisierend wirken kann, andererseits bestehe immer die Gefahr, dass andere radikalisiert werden. Auch bei dem 17-Jährigen, der einen Anschlag auf die Wiener U-Bahn geplant haben soll, ist unklar, ob er sich in Haft in Gerasdorf radikalisiert hat. Der Justizminister hat die Studienautoren damit beauftragt, die vergangenen Jahre im Leben des Jugendlichen zu durchleuchten, um herauszufinden, wie er sich radikalisiert haben könnte. Der 17-Jährige wird nach wie vor verhört.

"Es ist eine Illusion zu glauben, jemand kommt als Dschihadist in ein Gefängnis und kommt als liberaler Demokrat wieder heraus", resümiert Schmidinger. Es sei schon Erfolg, wenn er in Haft keine anderen Personen mitreißt und "disengaged" entlassen werden kann, also in der Zwischenzeit von seinen ursprünglichen Plänen abgelassen hat. Wichtig sei in vielen Fällen vor allem, die Entlassenen längerfristig zu betreuen. Ob das angesichts der knappen Budgetlage möglich ist, wird sich zeigen.