Hinweis: Der Inhalt dieser Seite wurde vor 9 Jahren in der Wiener Zeitung veröffentlicht. Hier geht's zu unseren neuen Inhalten.
"Hi everybody", beginnt Barack Obama, leger am Tisch im Oval Office sitzend, in einem Video auf seiner Facebook-Seite. Dann kündigt er einen riskanten Alleingang in der umstrittenen Frage der illegalen Einwanderung an.
Die Sache ist vertrackt - nicht nur in den USA, auch in Europa, wo das Thema Wähler bewegt und Rechtspopulisten zu Höhenflügen führt.
Da ist zum einen die sachliche Ebene. In den USA leben circa 11,5 Millionen Menschen illegal - und immer mehr drängen nach. Über den Reformbedarf der US-Einwanderungspolitik besteht deshalb Einigkeit. Nur beim Wie trennen Demokraten und Republikaner Welten. Obama will den Kongress umgehen und illegalen Migranten, die seit vielen Jahren unbescholten im Land leben und hier geborene Kinder haben, ein Bleiberecht einräumen. Davon könnten bis zu fünf Millionen profitieren. Obama hat den Hausverstand auf seiner Seite: Alle 11,5 Millionen illegalen Immigranten abzuschieben wäre unglaublich aufwendig und teuer (Obama schob in seiner Amtszeit bisher zwei Millionen Illegale ab); hinzu kommt der humanitäre Aspekt, Familien nicht ohne Not auseinanderzureißen.
Die andere Ebene, auf der Obamas Handeln beurteilt werden muss, ist mindestens so grundsätzlicher Natur. Der Präsident wischt das Parlament beiseite - und dies unmittelbar nach einer Wahl, bei der die Bürger Obamas Demokraten demütigten und die Republikaner stärkten.
Obama schwingt sich zum Philosophenkönig empor, der kraft seiner Überzeugungen handelt. Das mag, auf einer abstrakten Ebene, bewundernswert erscheinen - endlich ein Leader, der noch dazu Gutes will. Doch Obama hat diese Entschlusskraft in so vielen Fällen, in denen ihm Verfassung wie Wähler Rückendeckung gegeben hätten, vermissen lassen, dass sein Schritt einen schalen Beigeschmack erhält. Nicht einmal die eigenen gelichteten Reihen stehen hinter ihm. Und die Republikaner, die ab Jänner die Mehrheit im Kongress stellen, drohen bereits mit einer Budgetblockade.
Obama hat es zweimal geschafft, zum mächtigsten Mann der Welt gewählt zu werden; und er ist zweimal gescheitert, als es darum ging, eine Mehrheit der Wähler für seine inhaltliche Agenda zu mobilisieren. Für diese Konstellation bräuchte es einen geschickten "Dealmaker" - einfach weil die US-Verfassung keinen Philosophenkönig im Amt des Präsidenten kennt.