Australiens Asylpolitik steht im Schatten der Vergangenheit. Flüchtlinge werden auf Inseln "ausgelagert".
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Melbourne. Australiens Geschichte als Einwanderungsland ist von Gegensätzen geprägt. Über die Symbolkraft multikultureller Metropolen wie Sydney und Melbourne strahlt es als Vorzeigeland für Vielfältigkeit. Gleichzeitig sind Kolonialgeschichte und Ausgrenzung in die gequälte Seele dieser Nation eingeschrieben. Dasselbe Land, das bis 1966 formal nur "Weißen" die Einwanderung erlaubte, hat heute eine multiethnische Gesellschaft: Rund 25 Prozent der 21,5 Millionen Einwohner sind im Ausland geboren, darunter 300.000 in Indien und 320.000 in China.
Obwohl der Siedlerstaat Australien auf Gefangenenkolonien und Einwanderung über den Seeweg zurückgeht, weist er heute Bootsflüchtlinge kategorisch zurück und verbannt sie vorsorglich auf abgelegene Inseln.
"Mehr als neun Millionen Menschen sind seit 1788 nach Australien eingewandert", schreibt das Museum für Einwanderung in Melbourne - jedoch mit dem Zusatz: "Unzählige weitere haben es versucht und sind gescheitert."
Kampf um Bleiberecht
Unter dem Slogan #LetThemStay fordern Australier dieser Tage ein Ende der restriktiven Flüchtlingspolitik ihrer Regierung. Diese führen viele auf einen bestimmten Wendepunkt im Jahr 2001 zurück: Der norwegische Frachter "Tampa" rettet 438 großteils afghanische Flüchtlinge vor der zu Australien gehörenden Weihnachtsinsel, erhält ein Anlegeverbot, ankert aber dennoch unter Berufung auf einen Notfall. Die australische Armee stürmt daraufhin das Schiff und die Regierung deklariert, dass keiner der Asylsuchenden an Land dürfe. Wenige Tage später wird ein neues Gesetz zum "Schutz der Grenzen" erlassen, was später in der sogenannten "Pazifischen Lösung" mündet: Australien übersiedelt Asylsuchende zur "Abwicklung" auf Inseln, noch bevor sie das Festland erreichen.
Gleichzeitig werden tausende Territorien, wie etwa die Weihnachtsinsel, formal aus der Migrationszone ausgeschlossen. Das nimmt potenziellen Flüchtlingen, die dort landen könnten, von vornherein das Recht auf einen Asylantrag. Zusätzlich schließt Australien Verträge mit Staaten der Region, um "Schmugglern" entgegenzuwirken, aber auch um Asylsuchende länger in Transitländern festzunageln. Die meisten treten die gefährliche Überfahrt mit dem Boot von Indonesien an, was bereits Hunderte das Leben gekostet hat.
Regierung und Opposition unterstützen die aktuelle Politik, doch im März forderten Zehntausende in den Straßen australischer Städte ein Ende der "Hochsee-Abfertigung" von Flüchtlingen, vor allem die Schließung der Auffanglager auf der Insel Nauru und in Papua Neuguinea. Gefordert wird auch das Bleiberecht von 267 Asylwerbern, die in Australien medizinisch betreut und danach wieder nach Nauru deportiert werden sollen. Ende 2015 beherbergte Nauru rund 550 Asylsuchende, darunter 70 Kinder, während 926 weiter auf der Insel Manus in Papua Neuguinea ausharren. Rund 400 sind bereits mehr als zwei Jahre in diesen Lagern. Neben Umsiedlungs-Abkommen mit unüblichen "Zielländern" wie Kambodscha fängt die australische Armee in der "Operation Souveräne Grenzen" regelmäßig Boote ab und schleppt sie zurück nach Indonesien.
Schweigepflicht
Das UN-Flüchtlingshilfswerk kritisiert Australiens Vorgehen deshalb als "rückkehrorientiert", für Amnesty International sind die Zustände auf Nauru "repressiv" und "schockierend". Um das zu ändern, regt sich ziviler Widerstand: Ärzte in Melbourne weigen sich, Flüchtlingskinder nach der Behandlung für den Rücktransport auf Nauru freizugeben, Lehrer und Schüler halten Streiks und Straßenblockaden ab, um Abschiebungen zu verhindern.
Europa müsse aus den Fehlern Australiens lernen, anstatt diese Politik nachzuahmen, sagt die Jungpolitikerin Liz Walsh auf einem sozialistischen Symposium in Melbourne. Umrahmt von Plakaten, die weitere Demonstrationen ankündigen, nennt sie Australien "ein Vorbild für andere im Ausgrenzen von Flüchtlingen". Am selben Podium spricht später Christine Craik, die durch ihre leitende Rolle im Verband australischer Sozialarbeiter eine Sprachrohr-Funktion einnimmt. Das ist nötig, weil Australien den Beschäftigten der Lager jegliche Berichterstattung verbietet - ein System "absoluter Kontrolle und Geheimhaltung", wie es Craik nennt. Sozialarbeiter auf Nauru berichteten ihr von Fällen sexueller Belästigung, psychologischen und physischen Missständen unter Flüchtlingen sowie wiederholten Hungerstreiks. "Wir haben unsere Verantwortung dort wie Müll abgeladen", sagt Craik, woraufhin das Publikum mehrstimmig "Schande, Schande!" ruft.
Neben der Schweigepflicht fürs Personal werden auch Journalisten von Nauru ferngehalten: Der Inselstaat verlangt seit 2014 eine Bewerbungsgebühr von rund 8000 Australischen Dollar (5300 Euro) für Journalisten-Visa - davor waren es 400 Dollar gewesen. Unabhängige Informationen bleiben also Mangelware.
Somit inspiriert die "Hochsee-Abfertigung" von Asylanträgen nicht nur Mythen, sondern schafft auch Distanz zur Frage nach Verantwortung. Was in Nauru passiert, bleibt großteils auf Nauru. Ein neues Gesetz schränkt nun auch das Versammlungsrecht der Flüchtlinge ein, indem es für manche Formen des Protests Gefängnisstrafen von bis zu sieben Jahren vorsieht. Dennoch ist es erst im März zu einer Welle an Protesten im Lager gekommen, wobei einige Asylsuchende ihr 1000-tägiges Jubiläum auf der Insel deklarierten.
Im Schatten der Vergangenheit
Heute verzaubern Städte wie Melbourne und Sydney mit unzähligen Kulturfesten und ethnischer Vielfältigkeit. Dabei regierte lange Zeit die rassistische Politik des "Weißen Australien". Bis 1945 wurden alle "nicht-weißen" Migranten mit obskuren Diktiertests zurückgewiesen, wobei die rassistische Einwanderungspolitik erst zwischen 1966 und 1972 ein Ende fand. Der Rassismus nach außen, im Sinne der Einwanderung, wurde vom Rassismus "nach innen" begleitet.
Immerhin wurde Australien auf Kosten der Aborigines zu einer "weißen Nation auf einem scheinbar leeren Kontinent", sagt der Gewerkschafter Tim Arnot, der sich im Bundestaat Queensland seit Jahren für Flüchtlinge einsetzt. Als Siedlerstaat zelebriert Australien seit 1973 intensiv seine multikulturelle Gesellschaft, gleichzeitig hat es sich nach innen und außen zu einer "Inselfestung" entwickelt: Aborigines sind die ewigen Anderen der "weißen" Nation und Bootsflüchtlinge ihre scheinbare Bedrohung von außen.
Kritiker sehen im Abwehrdiskurs der aktuellen Flüchtlingspolitik eine Fortsetzung der historischen Ausgrenzung nach innen an den Außengrenzen der Nation. Ausgeschlossene zur Bestrafung auf Inseln zu verbannen, findet seit tausenden Jahren Anwendung, vom antiken Griechenland über Japan zum Exil Napoleons, und eben auch in Australien. Bis 1967 wurden Aborigines gar von Volkszählungen ausgeschlossen, und obwohl sie heute nur drei Prozent der Bevölkerung ausmachen, stellen sie 28 Prozent aller Gefängnisinsassen.
Auch wenn der Vergleich zwischen Aborigines und Flüchtlingen in vielerlei Hinsicht unpassend erscheint, zeigt er dennoch wichtige Parallelen auf. Was Nauru heute bezüglich Flüchtlingen symbolisiert, repräsentiert die Gefangenen-Insel Rottnest in Westaustralien für Aborigines: ein Zwangsexil der Ausgegrenzten. Das "weiße" Australien hielt auf Rottnest bis 1931 Aborigines gefangen und zwang sie zur Arbeit. Selbsternannte privilegierte Bürger stellten auch damals ihr Recht über das rechtloser Anderer, indem sie ihre eigene Freiheit durch das Zwangsexil der Anderen schützten. Ein Besuch auf Rottnest macht deutlich, dass Australier diese Geschichte weitgehend verdrängen. Mehr als 370 Aborigines liegen in unbenannten Gräbern auf der Insel, doch im früheren Zelltrakt der Gefängnisse waren jahrelang Urlauber in Luxuswohnungen untergebracht. Kaum ein Australier schien zwischen Sonnenbad und Eiscreme Interesse an der gequälten Geschichte der Insel zu zeigen, ebenso wenig wie tausende Schüler aus Westaustralien, die dort jährlich ihren Abschluss feiern.
Australien verdrängt heute auf ähnliche Weise seine Verantwortung für Flüchtlinge, sagt Aran Mylvaganam, der 1997 als 13-Jähriger unbegleiteter Flüchtling aus Sri Lanka in Australien ankam. Er kritisiert die australische Regierung vor allem dafür, die Bootsflüchtlinge zu "dämonisieren". Die individuellen Hintergrundgeschichten - wie seine eigene als verfolgtes Mitglied der Tamilen in Sri Lanka - werden dabei anonymisiert. Anstatt diese Geschichten und menschenrechtliche Verantwortung auf Inseln auszulagern und von der Öffentlichkeit wegzusperren, müsse mehr Transparenz geschaffen werden. Ansonsten laufe die Gesellschaft Gefahr, die Flüchtlinge der "Pazifischen Lösung" auf ähnliche Weise zu unterdrücken und zu verdrängen wie die Gräber unter der strahlenden Sonne von Rottnest.